München:Wie ein Hampelmann

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Beim 2:1 in Hoffenheim bricht der FC Bayern in Unterzahl alle Widerstände. Zur Dominanz kommt Willenskraft - für die Liga ist das eine bittere Botschaft.

Von Benedikt Warmbrunn, Sinsheim

Und dann rannte Manuel Neuer los. Der Torwart, der sich schon als Feldspieler bewiesen hatte, als Mittelliniengrätscher, als Kopfballungeheuer, er rannte, als wollte er auch noch einen Rekord als Kurzstreckensprinter aufstellen. Neuer rannte, und er ließ alles hinter sich, dieses verflixte frühe Gegentor, Pfostentreffer, Lattentreffer, diesen Gelbrot-Platzverweis innerhalb einer Minute, diesen Elfmeterschuss an den Pfosten neben sich, all das hatte sich in Neuer angemischt zu einem explosiven Turbo, und der Antrieb reichte, bis Neuer in die Arme von Torwarttrainer Toni Tapalovic springen konnte.

Ja, sagte der Torwart des FC Bayern eine knappe halbe Stunde später, "das waren die Emotionen."

Während Neuer zu Tapalovic rannte, hüpfte Trainer Pep Guardiola wie ein Hampelmann, er überragte all die geballten Fäuste der Auswechselspieler um ihn herum. Und am anderen Ende des Spielfeldes verknoteten sich die verbliebenen Feldspieler des FC Bayern in einen höchst komplizierten Neun-Mann-Knoten.

All das wohlgemerkt: Emotionen in der Schlussminute des zweiten Spieltags.

Wenige Sekunden zuvor, 23 Sekunden vor dem Ende der regulären Spielzeit, hatte Robert Lewandowski das 2:1 gegen die TSG Hoffenheim erzielt, ein Tor, das die Pointe zu einem kuriosen, intensiven Spiel lieferte. Ein Tor, das dem FC Bayern den Saisonauftakt rettete und dafür sorgte, dass ein ohnehin aufgewühltes Klima nicht noch weiter aufgewühlt wird. Lewandowskis Tor war also ein erster emotionaler Höhepunkt in dieser Spielzeit der Bayern. Für den Rest der Liga war es eine ganz bittere Botschaft: "Die Gegner sind hinter uns, das ist schön", sagte Philipp Lahm, "die registrieren auch, dass wir am Ende mit zehn Mann gewonnen haben."

Das Spiel beginnt mit dem schnellsten Tor der Liga-Historie - Sammer hatte so etwas geahnt

Dieses 2:1 (1:1) bei der TSG Hoffenheim war kein Sieg, wie ihn sich Trainer Guardiola am liebsten wünscht, es war kein Sieg der überlegenen Taktik - auch wenn der FC Bayern die dominante Mannschaft war. Es war ein Sieg über alle denkbaren Widerstände, ein Sieg, der andere Eigenschaften aufdeckte. "Wir haben Leidenschaft gezeigt", sagte Lahm. "Die Moral der Truppe ist schon richtig super", sagte Thomas Müller. Leidenschaft, Moral, das zeichnete das Team am Samstag aus. Zwei Spieltage sind gespielt, und schon wirkt der FC Bayern dadurch fast übermächtig. Nicht nur wegen seiner technischen oder individuellen Fähigkeiten. Sondern auch, weil sich das Team darauf nicht verlässt.

Gegen Hoffenheim waren jedoch nicht nur die letzten Minuten "ein bisschen verrückt", wie es Guardiola formulierte. Die Verrücktheit dieser Partie zeigte sich schon unmittelbar nach dem Anpfiff. Nicht einmal neun Sekunden waren gespielt, da führte der Gastgeber. Nach einem einzigen Ballkontakt. David Alaba passte etwas leidenschaftslos zu Jérôme Boateng, im Tor rutschte Neuer aus, Kevin Volland sprintete in den Fehlpass. 1:0, das schnellste Tor der Ligageschichte. Ein Gegentor, das alle überraschte. Außer den ewig argwöhnischen Sportvorstand.

"Ich wusste: 15.30 Uhr, die Sonne, das Hotel, alles ein bisschen mh-mh, es war alles prima, aber es war auch: Es war nett, es war schön", sagte Matthias Sammer, "man entwickelt ja ein bisschen ein Gefühl für gewisse Situationen. Der Blödsinn ist halt nur, wenn man bestätigt wird. Das zeigt ja nur, dass man nicht verblödet ist."

Und das frühe Gegentor war nicht der letzte Mh-mh-Moment für den FC Bayern. Thomas Müller traf zwar noch vor der Halbzeitpause mit dem Oberschenkel zum Ausgleich (41.), aber ansonsten warteten in den 89 Minuten und 32 Sekunden zwischen Vollands Tor und Lewandowskis Tor zahlreiche Herausforderungen auf den Titelverteidiger. Da waren die zahlreichen Chancen, ein Pfostentreffer von Müller (35.), ein Lattentreffer von Arturo Vidal (69.), noch ein Pfostentreffer von Müller (88.), hinzu kamen mehrere starke Paraden von TSG-Torwart Oliver Baumann. Vor allem aber war da die 72. Minute.

Boateng foulte Volland vor dem eigenen Strafraum, die erste gelbe Karte für den Innenverteidiger. Beim Freistoß drehte sich Boateng in den Schuss hinein, mit dem Ellenbogen blockte er den Ball, die zweite gelbe Karte, Platzverweis. Und Elfmeter. Auf Eugen Polanskis rechtem Fuß ruhten daraufhin die Hoffnungen der gesamten Liga-Konkurrenz. Er traf den Pfosten.

Anschließend rannte der FC Bayern eine Viertelstunde lang mit wilder Entschlossenheit auf das Hoffenheimer Tor zu, dann flankte Douglas Costa, Mario Götze ließ den Ball durch, und Lewandowski öffnete den angestauten Emotionen ein Ventil. Neuers Sprint, Guardiolas Hüpfer, ein großer roter Knoten: "Wenn wir mit einem Unentschieden abgereist wären, wäre das auch ein Witz gewesen", sagte Neuer.

Allein der ewig argwöhnische Matthias Sammer versuchte anschließend, die Bedeutung dieses späten Sieges herunterzureden. "Wir sind bei Marathon-Kilometer drei. Da gibt es noch keine Medaillen", sagte Sammer. Erschreckend ist das allerdings allenfalls für die Konkurrenz.

© SZ vom 24.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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