Missbrauchsvorwürfe im Skisport:Charly Kahr und die Lawinengefahr

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Sie soll in Bludenz für ihn aussagen: Österreichs "Jahrhundertsportlerin" Annemarie Moser-Pröll, 65, mit ihrem Ex-Trainer Karl Kahr, 85. (Foto: imago sportfotodienst)
  • Der ehemalige österreichische Skitrainer Karl Kahr wehrt sich vor Gericht gegen Vorwürfe, er habe Rennläuferinnen missbraucht oder es versucht.
  • An diesem Freitag ist das Ski-Idol Annemarie Moser-Pröll als Zeugin geladen.
  • Kahr hat auch die SZ mittlerweile vor dem Landgericht in Wien verklagt.

Von Johannes Knuth, München

Nicola Werdenigg hat vor Kurzem ein Buch veröffentlicht. "Ski, Macht, Spiele", heißt es; die ehemalige österreichische Skirennläuferin zeichnet darin noch einmal all das nach, was ihre stolze Skination seit Monaten aufwühlt: Missbrauch im nationalen Skiverband (ÖSV) und an diversen Skischulen, damals und teils noch heute. Werdenigg hatte im November 2017 erstmals öffentlich über diesen Missbrauch geredet, dass sie von einem Teamkollegen vergewaltigt wurde, und wie vergiftet das Klima an Internaten und im Verband in den 1960er- und 70er-Jahren gewesen sei. Weitere Opfer meldeten sich daraufhin zu Wort, Werdenigg berichtete wiederum von Fällen, in denen heutige Funktionäre untätig geblieben seien sollen. ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel drohte öffentlich mit Klage (stimmt gar nicht, er sei da falsch zitiert worden, sagte er später). Und nun?

"Ich wollte nur einen Schneeball werfen, um das System wachzurütteln", schreibt Werdenigg in ihrem Buch. Das Echo, und wohl auch manche unbeholfene Reaktion des Verbands, hätten dann eine Lawine ausgelöst. Eine, die selbst der bekennende Lawinensuchexperte Schröcksnadel nicht mehr in den Griff bekomme.

Diesen Freitag als Zeugin geladen: Ski-Idol Annemarie Moser-Pröll

Karl Kahr ist einer der Protagonisten, der dabei erfasst wurde. Der 85-Jährige war langjähriger Cheftrainer im ÖSV, von 1966 bis 1970 betreute er die Nationalauswahl der Frauen. Mittlerweile haben ehemalige Läuferinnen behauptet, dass Kahr sie damals sexuell missbraucht oder es zumindest versucht habe; die Staatsanwaltschaft Leoben ermittelt. Kahr hat derweil Klagen gegen die Vorwürfe angestrengt, der erste Prozess beginnt an diesem Freitag vor dem Bezirksgericht in Bludenz.

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Was war genau passiert? Nachdem Werdeniggs Lawine im November losgerollt war, hatte sich auch Annemarie Moser-Pröll zu Wort gemeldet, Österreichs erfolgreichste Skiläuferin und einst Teamkollegin Werdeniggs. "So lange ich im aktiven Rennsport mit dabei war", sagte Moser-Pröll, "hat sich bei uns überhaupt nichts zugetragen, nicht das Geringste." Eine weitere Teamkollegin, berichtete die Kronen- Zeitung zuletzt, habe Moser-Pröll daraufhin eine "wütende Nachricht" geschickt - privat, in der sie Kahr "des Missbrauchs bezichtige". Moser-Pröll muss Kahr darüber bald darauf informiert haben - denn Kahrs Anwalt verklagte die ehemalige Läuferin und deren Ehemann, der ebenfalls an Moser-Pröll geschrieben hatte, dann am 29. Januar. Wegen Verleumdung.

"Mich verwundet, dass Herr Kahr vertrauliche Mitteilungen dazu benutzt, um als Privatkläger auftreten zu können", entgegnete Martin Mennel, Anwalt der Beklagten, im Vorfeld des Bludenzer Prozesses im Standard. Durch Kahrs Klage, die dessen Anwalt auf dem Zeitungsboulevard ausgebreitet hatte, seien Vorwürfe und Namen seiner Mandanten ja erst in die Öffentlichkeit gezerrt worden. Da werde "möglicherweise versucht, eine Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben", so Mennel. Moser-Pröll soll am Freitag übrigens in Bludenz aussagen, dem Vernehmen nach unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Und unter Eid, sagt Mennel, das ist ihm wichtig: "Wenn die Wahrheit auf den Tisch kommt, sehe ich kein Problem für meine Mandanten."

Wer den Skisport befleckt, rüttelt an einem Heiligtum des Landes, das kann man jetzt auch wieder vor dem Prozess in Bludenz verfolgen. Die Kronen -Zeitung, Sponsor und Hofpostille des ÖSV, veröffentlichte zuletzt einen Brief von zehn ehemaligen Skirennläuferinnen, die sich für Kahr ins Zeug legten. "Wir haben - als Zeitzeugen - während unserer aktiven Zeit im Skirennsport nie eine negative Wahrnehmung von physischer oder psychischer Gewalt deinerseits erfahren", heißt es da. Nur haben vier der zehn Fahrerinnen nie unter Kahr trainiert, sie stießen teils Jahre später in den Weltcup. Keine Gewalt?

Werdenigg und zwei anonyme Läuferinnen zeichneten am 8. Februar, knapp zwei Wochen nach Kahrs Klage in Bludenz, in der SZ ein anderes Bild: Unter Kahr und Sportdirektor Toni Sailer sei damals ein Klima der Verrohung in den Verband eingezogen. Eine Läuferin berichtete, sie sei von Kahr im Alter von 16 Jahren vergewaltigt worden, eine weitere schilderte weitere angebliche Vorfälle, unter anderem berichtete sie, wie sie den Versuch einer Vergewaltigung erlebt habe. Beide stützten ihre Angaben, indem sie eidesstattlichen Erklärungen unterschrieben. Kahr hat die SZ mittlerweile vor dem Landgericht in Wien verklagt; die Vorwürfe seien "samt und sonders aus der Luft gegriffen", teilte sein Anwalt mit. Überhaupt sei sein Mandant - Träger des Silbernen Ehrenzeichens der Republik, Ehrenbürger der Stadt Schladming - längst keine Person des öffentlichen Interesses mehr.

Unterdessen melden sich neue mutmaßliche Betroffene. Bei der Untersuchungskommission des ÖSV sind ebenfalls drei anonyme Hinweise zu Kahr eingetroffen. Allerdings bedürfe keine einer staatsanwaltlichen Verfolgung, lässt Waltraud Klasnic auf Anfrage mitteilen, die Leiterin der Kommission; sie hält die Angaben wohl für zu geringfügig oder zu unkonkret. Andere Betroffene wenden sich lieber an Werdenigg - auch, weil sie dem Aufklärungswillen des Verbandes misstrauen, glaubt die 59-Jährige.

Werdenigg hat mittlerweile ihre eigene Initiative angeschoben, #WeTogether heißt sie, es soll eine Art Sammelpunkt sein: für Opfer, die Hilfe benötigen, und für Experten und Projekte, die Machtmissbrauch im Sport verhindern und aufbrechen. Missbrauch, sagt Werdenigg "kann nur in Strukturen passieren, die in sich geschlossen sind", und der Skisport sei vor allem in ihrer Zeit ein solcher Mikrokosmos gewesen. Zum einen, weil er Athleten und ihre Förderer als Helden inszenierte, die keinen Makel haben durften (eine mutmaßliche Vergewaltigung durch den Nationalhelden Sailer wurde sogar von der Regierung vertuscht). Zum anderen, weil die mutmaßlichen Opfer in ihrem unmittelbaren Umfeld missbraucht wurden, und sich an keine Stelle wenden konnten, ohne ihre Karriere zu gefährden.

Auch deshalb, schreibt Werdenigg in ihrem Buch, sollte man die #MeToo-Debatte endlich als das begreifen, was sie sei: "Wenn Menschen ihre schlimmen Erfahrungen öffentlich äußern, machen sie anderen Betroffenen Mut." Und geben einen weiteren Anlass dazu, über alte Machtmechanismen, über eine Kultur des Wegsehens zu diskutieren - und was sich daran geändert hat.

© SZ vom 06.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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