Australian Open:Mischa Zverev genießt die Tage seines Lebens

Lesezeit: 4 min

Plötzlich im Mittelpunkt: Tennis-Profi Mischa Zverev. (Foto: dpa)
  • Im Viertelfinale der Australian Open trifft Mischa Zverev auf Roger Federer.
  • Der 29-Jährige tritt in Melbourne aus dem Schatten seines zehn Jahre jüngeren Bruders Alexander.
  • Hier geht es zu allen Ergebnissen der Australian Open.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Am Sonntagabend kam Mischa Zverev gerade von der Arbeit zurück in die Umkleide, da erhielt er eine Textnachricht von einem Freund aus den USA. Der habe bei ESPN John McEnroe gehört, wie der gesagt hätte: "Mischa Zverev ist mein neuer Lieblingsspieler." Da hatte sich Mischa Zverev "schlapp gelacht", wie er später amüsiert berichtete. Sekunden danach bog exakt dieser McEnroe um die Ecke, in 3-D, "und sagte mir, ich sei sein neuer Lieblingsspieler". Da hat Mischa Zverev erst gestaunt - und noch mehr gelacht. "Er sagte auch, er freue sich, dass ich dieses Old-School-Tennis spiele", verriet er. Im Internet kursierte sofort eine kleine Sequenz, wie sie sich unterhalten. Jemand hatte sie gefilmt, aus gutem Grund.

Zverev hat endlich den großen Durchbruch geschafft.

Mit genau dieser Schlagzeile hatte die Tennisfachwelt ja seit Monaten nahezu stündlich gerechnet, dieser Zverev war immer und überall in aller Munde. Was der nicht alles mit dem Ball anstellen kann. Diese Athletik, diese Cleverness auf dem Platz. Nur: Damit war stets Alexander Zverev gemeint. Der 19 Jahre alte Profi hat auch jetzt ein wunderbares Turnier gespielt, in der dritten Runde hatte er den 14-maligen Grand-Slam-Champion Rafael Nadal in vier Stunden und fünf Sätzen fast bezwungen. Auch Krämpfe am Ende verhinderten seinen Coup, den nun zur größten Überraschung allerdings sein Bruder schaffte.

Boris Becker gibt Zverev einen Ratschlag

"Unwirklich" kam Mischa Zverev der 7:5, 5:7, 6:2, 6:4-Erfolg im Achtelfinale der Australian Open vor. Er hatte Andy Murray besiegt, den Weltranglisten-Ersten, den Schotten, der fünfmal schon im Finale in Melbourne stand und nach dem überraschenden Ausscheiden des Serben Novak Djokovic gegen den Usbeken Denis Istomin endlich seinen ersten Titel hier holen wollte. "Er hat den Sieg verdient", erkannte Murray an, der gerade in Satz drei und vier nicht zulegen konnte und seine zu kurze Erholungsphase nach der vergangenen Saison beklagte.

Vor dem Match war Mischa Zverev auf der weitläufigen Anlage noch Boris Becker über den Weg gelaufen, der fürs Fernsehen kommentiert. Da riet ihm der sechsmalige Grand-Slam-Sieger von einst, "ich solle nach den Siegen zuvor am Boden bleiben", schilderte Zverev. Das war ein guter Rat, wie der Linkshänder in den 3:33 Stunden am Sonntag auf dem Platz demonstrierte. Er blieb sich treu als Serve-&-Volleyspieler, wie 118 Netzattacken belegten, in denen er wirkte, als stünde er im Halteverbot und müsse nach vorne sprinten, um Strafzettel zu vermeiden. Murray kam damit nicht klar. Vorher Becker, danach McEnroe, dazwischen 15 000 Menschen, die einen mit Ovationen aus dem Stadion entlassen - verständlich, dass Zverev sagte: "Es war definitiv das beste Match meines Lebens."

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:Mischa Zverev spielt gegen Murray wie ein Panther

Völlig überraschend schlägt der deutsche Außenseiter den Weltranglistenersten in vier Sätzen und erreicht das Viertelfinale der Australian Open - hinterher ist er selbst perplex.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Und es sind die Tage seines Lebens. Der ganze Clan ist dabei, die Eltern, frühere russische Spitzenspieler (Vater Alexander hatte am Sonntag auch noch Geburtstag), die die Söhne trainieren, die Freundin, die Betreuer. "Wir können jetzt alles zusammen genießen", auch das sagte Mischa. Als er während des Murray-Spiels in die Box schaute und Mutter Irina lächeln sah, wusste er: "Da ist eine gute Atmosphäre, und das half mir, fokussiert zu bleiben."

Mischa Zverev ist ein sehr intelligenter Mensch, er kann Dinge prägnant erklären und einordnen, er hat so manches anspruchsvolle Hobby. So besitzt er den Pilotenschein. Er hat seine Erfahrungen schon gemacht, wie er sagte. Anfangs hielt er nicht ganz das Versprechen, ein absoluter Spitzenprofi zu werden, Rang 45 war seine beste Platzierung in der Weltrangliste, Verletzungen warfen ihn zurück. 2014 musste er am Handgelenk operiert werden. Jener Eingriff war aber auch ein "schicksalhafter Moment", wie Zverev der SZ in Melbourne vor Tagen sagte.

An seinem eigenen Tiefpunkt begann der Aufstieg seines Bruders, um den sich seitdem öffentlich so viel dreht. Die Nummer 24 in der Weltrangliste ist Alexander schon, eine kommende Nummer eins, versicherte selbst Nadal. Aber Mischa kämpfte sich zurück, auch, weil ihm Alexander den Glauben vermittelte, es wieder in die Top 100 schaffen zu können; er war bis auf Rang 1067 gefallen damals. Mit dem Erreichen seines ersten Grand-Slam-Viertelfinales verbessert sich Mischa Zverev schon mindestens auf Rang 35.

Federer lobt Zverevs Spiel

Er erfährt jetzt, obwohl seit 14 Jahren Profi, eine völlig neue Situation. Es dreht sich seit diesem Sonntag das erste Mal komplett um ihn alleine, und der Bruder, längst als kommender Champion positioniert, muss den Claqueur geben. Während des Spiels seines älteren Bruders kommentierte der frühere Profi und jetzige Kommentator Brad Gilbert auf Twitter, dass Alexander "immer noch keine Faust macht und gelangweilt wirkt", was zumindest in den Einblendungen so rüberkam. Aber am Ende ging er aus sich heraus und jubelte ungläubig schauend wie Mischa, als der den ersten Matchball verwandelt hatte.

Am wenigsten Sorgen muss man sich trotz der plötzlichen Sonderrolle um Mischa machen, er hat sich sogar im Moment seines größten Erfolges an ganz andere Zeiten erinnert. Als er nach der OP am Handgelenk nicht spielen konnte, begleitete er eine Zeit lang Nachwuchsspieler in den USA als Coach, "in Südtexas, es waren wirklich nicht die nettesten Orte der Welt", erzählte er. Um rasch hinzuzufügen: "nichts gegen Südtexas." Mischa Zverev, auch das weiß man jetzt, hat Humor.

Nun wartet eine feine Aufgabe auf Zverev: das Match gegen sein Vorbild Roger Federer. "Ein Traum", sagte er zu dem anstehenden Viertelfinalgegner am Dienstag; Zverev ist der erste Deutsche in der Runde der letzten Acht in Melbourne seit Tommy Haas 2008. Der Schweizer setzte sich in der "Night Session" in einer furiosen Partie 6:7 (4), 6:4, 6:1, 4:6, 6:3 gegen den Japaner Kei Nishikori durch, zeitweise hob die Arena ab vor Lärm. Sechs Monate hatte Federer pausiert wegen einer Knieverletzung, sein Comeback ist bereits geglückt.

"Ich mag Mischa sehr", das teilte Federer mit, "er hat ein sehr schönes Spiel." Sogar der Maestro ist beglückt.

© SZ vom 23.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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