Männer-Finale in Wimbledon:Djokovics Wut ist fortgeflogen

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Erleichtert und glücklich: Novak Djokovic in Wimbledon. (Foto: Getty Images)

Die größte Schwäche von Novak Djokovic ist sein Hadern, seine Wut. Auch deshalb hat er Boris Becker als Trainer verpflichtet. In einem denkwürdigen Wimbledon-Finale bleibt Djokovic ruhig und setzt sich in fünf Sätzen gegen Roger Federer durch. Danach dankt er seinem Gegner.

Von Michael Neudecker, London

Novak Djokovic hat den Rasen beschimpft, mehrmals in den vergangenen beiden Wochen, einmal hat er ihn sogar getreten. Niemand beschimpft oder tritt den Rasen in Wimbledon, der Rasen von Wimbledon ist für die Briten, was die Kuh für die Inder ist. Roger Federer liebt diesen Rasen so sehr wie die Briten das tun, er hat hier schon sieben Mal das wichtigste Tennisturnier der Welt gewonnen, und das ist nur einer der vielen Gründe, weshalb Federer beim Publikum in Wimbledon beliebter ist als jeder andere. Im Finale am Sonntag war Roger Federer der Held, Novak Djokovic der Schurke.

Aber der Held gewinnt nicht immer.

Roger Federer lag oft zurück in diesem Match, im vierten Satz 2:5, Djokovic hatte einen Matchball, es sah nicht so aus, als könnte Federer Wimbledon ein achtes Mal gewinnen. Das Publikum schrie "Come on, Roger", unaufhörlich, es bejubelte jeden seiner Punkte euphorisch, Federer rief auch "Come on", auf Englisch, manchmal rief er "Chumm jetz", auf Schweizerdeutsch. Und kam zurück, gewann den vierten Satz 7:5, war im fünften Satz nahe dran, das Match ganz zu drehen. Und verlor dann doch.

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Fünf Sätze, fast vier Stunden Spielzeit, am Ende zwei ausgelaugte Kontrahenten: Im Finale von Wimbledon liefern sich Novak Djokovic und Roger Federer ein mitreißendes Match. Am Ende siegt der Serbe verdient - und erklimmt auch die Spitze der Weltrangliste.

6:7 (7), 6:4, 7:6 (4), 5:7, 6:4, drei Stunden und 56 Minuten. Das Wimbledon-Finale 2014 war "ein großartiges Match, ich bin stolz, Teil davon gewesen zu sein", sagte Federer auf dem Centre Court, als die Pokale überreicht wurden, er könne kaum glauben, dass er es in den fünften Satz geschafft habe. "Danke, Roger, dass du mich gewinnen hast lassen", sagte Djokovic.

Als Wimbledon 2014 begann, war die Prognose, Federer könne hier noch einmal gewinnen, kaum mehr als ein romantischer Wunsch seiner Fans, sogar vieler Spieler. "Fast jeder von uns wünscht sich, dass Roger Wimbledon noch mal gewinnt", so hatte der Deutsche Christopher Kas die Stimmung in der Umkleidekabine für die Spieler jenseits der Top 16 beschrieben, aber Federer ist schon 32, er hatte seit seinem Sieg bei den Australian Open 2010 nur ein einziges Grand-Slam-Turnier gewonnen, das in Wimbledon 2012, und es sah zuletzt nicht so aus, als könne er noch einen 18. Grand-Slam-Titel zu seiner beeindruckenden Sammlung hinzufügen.

Dann begann das Turnier, und Federer begann zu spielen, mitunter flog er, völlig mühelos flog er bis ins Finale. Er gab einen einzigen Satz ab und verlor nur ein einziges Aufschlagsspiel, Djokovic dagegen hatte Probleme, kämpfte, rutschte, schimpfte. Nur: Djokovic hatte es mit Gegnern wie dem Franzosen Tsonga, dem Kroaten Cilic und dem Bulgaren Dimitrov zu tun, Federers schwierigster Gegner war der Kanadier Raonic, der ihm etwas zu wenig Gegenwehr leistete. Als schließlich das Finale begann, war die Stimmung bei den Spielern und Experten so, dass romantische Wünsche manchmal nicht in Erfüllung gehen.

Federer gewann dann den ersten Satz im Tie-Break, verlor den zweiten und dritten. Es war ein mitreißendes Match auf höchstem Niveau, die Ballwechsel waren lang, oft gewann Djokovic, er machte wenig Fehler, weniger als Federer, es lief für Djokovic.

Bis zum 5:2 im vierten Satz. Federer hatte Aufschlag, aber Djokovics Returns waren gut, eine Rückhand Federers ins Netz, 30:40, Matchball Djokovic, da waren knapp drei Stunden gespielt. Aufschlag Federer, der Ball berührte die Linie, doch Djokovic verlangte eine Challenge, den Videobeweis also, auf der Leinwand war zu sehen, dass der Linienrichter Recht hatte: Einstand. Es folgte noch ein Federer-Ass, das Publikum schrie begeistert auf, bald darauf stand es 5:5. Gleich danach gelang Federer das Break zum 6:5, und als er den Satz 7:5 gewonnen hatte, war es im Stadion so laut, dass man die Ansage des Schiedsrichters kaum hören konnte.

Die größte Schwäche von Novak Djokovic ist sein Hadern, seine Wut, die er auch in den vergangenen beiden Wochen manchmal nicht kontrollieren konnte; auch deshalb hatte er ja Boris Becker als Trainer verpflichtet. An diesem denkwürdigen Sonntag war es anders. Djokovic blieb ruhig, er haderte kaum, nicht einmal im fünften Satz, als Federer einen Breakball hatte, die Chance zum 4:3. Djokovic spielte einfach weiter, wie er immer spielt: mit wuchtigen Schlägen von überall, mit einer Laufbereitschaft, die nur er aufbringt. Er gewann dieses Aufschlagsspiel, 4:3, die Uhr stand bei drei Stunden 42 Minuten.

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Nach fast vier Stunden aufwühlendem Hin und Her verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse, es war ein faires, kräftefressendes Duell. Das Publikum bejubelte nun auch Djokovic.

Bald darauf, Federer lag bei eigenem Aufschlag 4:5 zurück, passierten ihm ein paar Fehler, eine Rückhand ins Netz, eine Rückhand ins Aus, eine Vorhand ins Aus: zwei weitere Matchbälle für Djokovic. Die Zuschauer warfen ihm noch ein paar Rufe hinein, dann schlug Federer den Ball mit der Rückhand ins Netz, und es war vorbei.

Novak Djokovic, mit diesem Sieg wieder Nummer eins der Weltrangliste, sank auf den Boden, den Tränen nahe, er rupfte ein paar Grashalme aus und steckte sie sich in den Mund. Aber das werden sie ihm in Wimbledon bestimmt nachsehen.

© SZ vom 07.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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