Matthäus und die Weltmeister von 1990:Auf Jahre hinaus untragbar

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Mit Bulgarien verpasste Lothar Matthäus kürzlich die EM - und wurde als Trainer entlassen. Damit steht er exemplarisch für die traurige Generation der Weltmeister von 1990: Viele Mitglieder dieser großen Elf geben heute Autogrammstunden in Möbelhäusern - richtige Jobs haben sie nicht.

Christof Kneer

Am Montag erreichte eine Mail die Redaktionen, in der sich ein Fachmann zu Wort meldete. Jeder Gegner sei gegen einen deutschen Meister doppelt motiviert, erfährt man zum Beispiel in dieser online übermittelten Kolumne. Weitere kostbare Einschätzungen folgen, etwa, dass in Leverkusen "Feuer unterm Bayer-Dach" sei. Laut Kolumnist liegt das daran, dass Trainer Dutt einige Profis "nicht auf ihren angestammten Positionen spielen" lasse, André Schürrle etwa, den man rechts spielen lasse müsse, nicht links.

Als Spieler ein Held, als Trainer erfolglos und schon wieder entlassen: Lothar Matthäus. (Foto: AP)

Dazu ist zu sagen, dass links die Lieblingsposition von André Schürrle ist. Die von einer Agentur verschickte Kolumne heißt Klare Kante, bei dem Kolumnisten handelt es sich um Thomas Berthold. Er hat 62 Länderspiele bestritten und an drei Weltmeisterschaften teilgenommen.

Der Drittligist Arminia Bielefeld sucht gerade einen Trainer, aber Thomas Berthold wird es trotz der schönen Bewerbungskolumne nicht werden. Gewagt sei die exklusive Prophezeiung, dass Bielefeld auch Jürgen Kohler nicht verpflichten wird, ebenso wenig Guido Buchwald, Andy Brehme oder Klaus Augenthaler. Zwar verfügen sie über Merkmale, die sie als Trainer ausweisen, sie haben Zeit, sind bereit und schon mal entlassen worden.

Ihre Biographien enthalten aber ein dunkles Kapitel, über das sie gerne sprechen: Sie sind 1990 Weltmeister geworden. Dieser Titel ist wie ein Gaunerzinken, wie ein Zeichen, das ihnen die Branche an die Hauswand gemalt hat: Achtung, bei diesem Trainer nicht klingeln! Er ist ein 90er-Weltmeister!

Auf Jahre hinaus unschlagbar sei diese Generation, meinte der Weltmeister-Trainer Franz Beckenbauer damals. Die Wahrheit ist: Sie wurden auf Jahre untragbar. In dieser Woche hat es wieder zwei von ihnen erwischt.

Lothar Matthäus war die prägende Figur des Turniers, Olaf Thon verwandelte im Halbfinale im Elfmeterschießen den letzten Strafstoß. Matthäus ist gerade als bulgarischer Nationaltrainer entlassen worden, weil er sich angeblich mit den jüngeren Spielern nicht verstanden hat. Olaf Thon hat als Trainer des Fünftligisten VfB Hüls hingeschmissen, weil er sich angeblich mit den älteren Spielern nicht verstanden hat. Das ist der Dank.

Viele Mitglieder dieser großen Elf geben heute Autogrammstunden in Möbelhäusern, sie leihen Autohäusern ihr Gesicht, manchmal laufen sie in Benefiz-Spielen auf, für einen guten Zweck, der manchmal auch das eigene Konto ist. Sie spielen dann gegen eine Auswahl bayerischer Starköche, ihre Pässe kommen gestochen scharf wie früher. Manche dürfen in ihrem Heimatklub Techniktrainer werden wie Thomas Häßler in Köln, was immer noch besser ist als Juror der österreichischen Castingshow Austria's New Footballstar zu sein (was er auch schon war). Manche dürfen in ihrem Heimatklub im Vorstand sitzen wie Guido Buchwald beim Viertligisten Stuttgarter Kickers. Manche sind nach langer Reise immerhin im System Magath angekommen wie Pierre Littbarski, der in Wolfsburg als Co-Co-Trainer beschäftigt wird.

Andere werden Betclic-Botschafter, sie stellen den Namen "Thomas Berthold" einem Wettunternehmen zur Verfügung, in dessen Namen sie dann eine Kolumne verfassen. Klare Kante, Feuer unterm Bayer-Dach. Und in ihren trophäendekorierten Wohnzimmern müssen die Weltmeister von 1990 zusehen, wie die besten Mannschaften des Landes von den Zweitligaspielern Joachim Löw und Jürgen Klopp verantwortet werden oder vom 74er-Weltmeister Jupp Heynckes.

Zufall? Vielleicht. Aber eher nicht.

Das Leben von Lothar Matthäus
:Ein Mann von Welt

Weltmeister, Weltfußballer, Weltenbummler: Lothar Matthäus war einer der besten Fußballer des Landes - jedoch mit durchaus streitbarem Charakter. Zuletzt versuchte er sein Glück als bulgarischer Nationaltrainer - doch nach nur einem gewonnen Spiel war auch dort wieder Schluss. Mittlerweile tritt er als Experte im Fernsehen auf.

Ein Leben in Bildern.

Deutscher Meister bist du ein Jahr, Weltmeister bleibst du immer" - dieser Satz stammt von Rudi Völler, er kann ihn sich leisten, er hat den Transfer ins richtige Leben geschafft. Sein dicker Kumpel Reiner Calmund hat ihn nach dem Karriereende fröhlich zu Vertragsverhandlungen mitgeschleppt, der Calli hat den Rudi einfach ins Funktionärsbüro hineingewuchtet, Widerstand zwecklos, Schluss, Aus, Micky Maus. Heute kümmert sich Völler unter der Berufsbezeichnung Sportdirektor darum, dass kein Feuer unterm Bayer-Dach ausbricht.

Das Leben von Lothar Matthäus
:Ein Mann von Welt

Weltmeister, Weltfußballer, Weltenbummler: Lothar Matthäus war einer der besten Fußballer des Landes - jedoch mit durchaus streitbarem Charakter. Zuletzt versuchte er sein Glück als bulgarischer Nationaltrainer - doch nach nur einem gewonnen Spiel war auch dort wieder Schluss. Mittlerweile tritt er als Experte im Fernsehen auf.

Ein Leben in Bildern.

Die Geschichte der 90er-Weltmeister ist eine traurige Geschichte, es ist die Geschichte einer Sportart, die sich ungerührt an ihren Helden vorbei entwickelt. Die 90er waren die letzten Helden einer Generation, die sich das Kicken selbst beibrachte und keine Rhetorikseminare besuchte.

Das Jahr 1990 markiert ziemlich genau die Zeitenwende, der Fußball stand an der Schwelle zur kompletten Kommerzialisierung, aber er war noch nicht ganz so weit. Jene deutsche Nationalmannschaft, die sechs Jahre später Europameister wurde, siegte dagegen schon in der neuen Zeit.

In ihr standen adrette, geschäftstüchtige und/oder charismatische Typen wie Oliver Bierhoff, Stefan Kuntz, Mehmet Scholl, Thomas Helmer oder Matthias Sammer, ihre Persönlichkeitsstruktur passte perfekt in die frisch angebrochene, bis heute gültige Epoche, in der diese modernen Menschen die A-Nationalelf und den DFB-Nachwuchs managen, dem 1. FC Kaiserslautern vorsitzen oder ihre Gesichter in die Kamera halten. Jürgen Klinsmann spielte 1990 und 1996 mit, aber inhaltlich war er schon immer ein 96er.

Die 90er-Weltmeister können nicht lassen vom Fußball, sie sind emotional immer noch abhängig von ihm, aber der Fußball, den sie heute vorfinden, ist nicht mehr der, den sie kennen. Der Fußball wartet nicht auf seine Helden, er hat sich inhaltlich fortentwickelt, und jeder Monat, den die Ja-gut-ich-sach-mal-Generation länger aus dem Geschäft ist, wird gegen sie verwendet. Man darf das schade finden, weil Lothar Matthäus nach allem, was man hört, das Zeug zum modernen Trainer hätte. Sein Problem ist nur, dass er sich von den hoffnungsvollen Talenten, die er fördert, meistens wieder scheiden lässt.

© SZ vom 21.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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