Leichtathletik-DM:Sie reden! Übereinander!

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Zweimal Olympiasieger, zweimal Harting: Der sechs Jahre ältere Robert (vorne) ist 2017 der beste deutsche Diskuswerfer. Sein Bruder Christoph (hinten) findet bisher nicht zu seiner Form. (Foto: Bernd Thissen/dpa)
  • Christoph Harting, amtierender Olympiasieger, verpasst bei den deutschen Meisterschaften die WM-Norm,
  • Sein Bruder Robert sichert sich mit 65,65 Metern den Titel.
  • Am Ende geschieht etwas Ungewöhnliches: Die Brüder reden über ihr schwieriges Verhältnis.

Von Saskia Aleythe, Erfurt

Zwei Stampfer im Ring, ein Drehen, ein Werfen, der Diskus fliegt. Hoch, nicht weit, und landet vor der gelben Linie, die die WM-Norm von 65 Metern markiert. Am Kopf kratzen, ratloses Grinsen: Christoph Harting.

Klatschend zum Ring laufen, das Publikum zum Anfeuern animieren, drehen, werfen, der Diskus fliegt, bis hinter die gelbe Linie. Breite Brust, zufrieden lächeln: Robert Harting.

Es waren noch drei Versuche bei diesen deutschen Meisterschaften zu absolvieren im Diskuswurf, doch nach diesen Szenen im dritten Durchgang wusste man: Für Christoph Harting ist die WM sehr weit weg. Und für Robert kann sie kommen.

Vor zehn Monaten hatte der jüngere Harting die Zweikilo-Scheibe auf 68,37 Meter im Olympiafinale von Rio geschleudert, nun war bei 62,51 Metern Schluss. Christoph Harting, amtierender Olympiasieger, hatte am Samstagabend folgenden Status erreicht: Vierter bei den deutschen Meisterschaften, WM-Norm verpasst. Und auf der anderen Seite sein Bruder Robert: Erster, 65,65 Meter, schon vorab hatte er die erforderliche Weite für die WM erreicht und nun wieder mit konstanten Würfen bestätigt. Es war ein interessanter Kräftevergleich in Erfurt. Und dann passierte auch noch etwas Seltenes: Die beiden redeten, auch über ihr Verhältnis zueinander.

Eine Nachnominierung? "Ich will keine Extra-Wurst", sagt Christoph Harting

"Bei jedem, der bei Olympia etwas gerissen hat, weiß man: Im Jahr danach ist die Luft raus", sagte Christoph Harting auffällig entspannt. Im Jahr vor Olympia hatte er kein einziges Interview gegeben, nun beantwortete die Fragen fast fünf Minuten am Stück. Den Misserfolg im Jahr 2017 hat er einkalkuliert, nur halb so viele Trainingswürfe absolviert wie zuvor. "Man kann natürlich weiter so trainieren, aber dann wäre ich vielleicht in zwei Jahren ausgebrannt", hatte er vorab erklärt. Zusätzlich beschäftigte ihn eine Blockade im Rücken, doch die wollte er nun nicht als Ursache für den Leistungsabfall verstanden haben. "Wehwehchen hat man als Sportler grundsätzlich." Über Schlupflöcher für eine Nachnominierung trotz verpasster Norm machte er sich keine Gedanken, "ich will auch keine Extra-Wurst".

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Wo immer Christoph und Robert Harting zusammen auftauchen, entsteht ein seltenes Spannungsfeld: Trotz familiärer Verbundenheit pflegen die beiden eine distanzierte Koexistenz. Robert Harting, 32 Jahre alt, steht für Trikotzerreißen und den Olympiasieg 2012, für Lautsprechen und Kritik an Strukturen, die ihm in seinem Sport nicht passen. Noch bevor die Deutschen Meisterschaften in Erfurt überhaupt begonnen hatten, war Robert schon präsenter als alle anderen: Dem Redaktions- Netzwerk-Deutschland sagte er, dass er die gerade vollzogene Leistungssportreform des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) für fragwürdig hält. "Es fehlen Perspektiven, Leitlinien, Institutionen, ein mediales Konzept und vor allem Mut, Geld in die Hand zu nehmen und Entscheidungen zu treffen", sagte Harting.

Und irgendwo im Erfurter Steigerwaldstadion stand Christoph, der eigentlich das Thema dieser Meisterschaften vorab gewesen war: Ein Olympiasieger, der die WM-Norm womöglich verpasst? Oha!

Christoph Harting, 27 Jahre alt, einer, der die Öffentlichkeit scheut, prinzipiell lieber im Stillen agiert - und dann in Rio recht überraschend Olympiasieger wurde. Seitdem sind die Meinungen über ihn gespalten: Weil er bei der Siegerehrung rumhampelte und die Hymne mitpfiff, weil er einem TV-Moderator im Anschluss Interview und Handschlag verweigerte, weil er bei der anschließenden Pressekonferenz den Arrogantling gab. Unwürdig, fanden die einen, verständlich emotional, manch anderer. Die Sympathien fliegen ihm seitdem nicht unbedingt zu.

Schon in der Saison vor Olympia hatte es ein Zerwürfnis gegeben, über das beide nicht reden, das aber bis heute nachwirkt. "Ich liebe meine Eltern", hatte Robert stets geantwortet, wenn er nach seinem Bruder gefragt wurde, nur diesen einen Satz, nicht mehr. Was heißen sollte: Wenn er ehrlich über ihn reden würde, wären die Inhalte eher nicht elternfreundlich ausfallen. Die Zeit nach Olympia, wo Robert sich einen Hexenschuss zuzog und das Finale verpasste, prägte eine weitere Spaltung: Robert verließ den gemeinsamen Trainer, er heiratete die Diskuswerferin Julia Fischer, nun gibt es noch eine Harting in der Leichtathletik. Es war eine Hochzeit ohne Christoph.

"Man hat sich einfach dazu entschieden, getrennt zu agieren", sagte Robert Harting nun, er sprach dann doch über ihre Beziehung, wenn auch wenig detailliert. "Jeder hat seinen eigenen Wirkungsbereich." Schadenfreude empfinde er nicht, sagte Harting. Und der Jüngere, er fand den Meistertitel für seinen Bruder sogar "geil". "Dem Mann sind immer 68 Meter zuzutrauen, egal in welchem Zustand", sagte Christoph Harting. So viel Respekt gab es zwischen beiden schon lange nicht mehr.

Für Robert Harting könnte sich nun tatsächlich ein Comeback-Jahr entwickeln. Lange hatten ihn Knieprobleme geplagt, nach einem Kreuzbandriss im September 2014 kam er nicht mehr richtig auf die Beine. "Wer vor vier Jahren eine Aktie von mir gekauft hätte, wäre nun wahrscheinlich bankrott", sagte Harting. Und wusste im gleichen Moment auch: "Wer das Anfang dieses Jahres getan hätte, hätte nun fünf oder sechs Hundert Prozent Plus gemacht." Die Weltspitze um den Schweden Daniel Stahl (72,29 Metern) wirft derzeit noch ganz andere Weiten, doch wenn in vier Wochen die WM in London startet, warten auf Harting besondere Momente: Es ist das Stadion, in dem er 2012 Olympiasieger wurde.

© SZ vom 09.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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