Berliner Olympiastadion:Leichtathleten fürchten den Kahlschlag

Olympiastadion in Berlin

Noch immer ein Hingucker: Rund 40 000 Zuschauer verfolgten bis zuletzt das Istaf im Berliner Olympiastadion.

(Foto: Sören Stache/dpa)
  • Der Berliner Senat denkt über einen Umbau des Olympiastadions nach.
  • Die blaue Laufbahn könnte entfernt werden, damit die Fans des Fußball-Bundesligisten Hertha BSC näher ans Spielfeld rücken.
  • Die deutsche Leichtathletik fürchtet, dass bald gar keine internationalen Titelkämpfe mehr nach Deutschland vergeben werden.

Von Joachim Mölter

Christoph Harting und Julian Reus sind Leichtathleten, das ist aber ihre einzige Gemeinsamkeit. Harting ist groß (2,07 Meter), schwer (120 Kilo) und international erfolgreich (Olympiasieger im Diskuswerfen). Im Vergleich dazu ist Reus eher klein (1,76), leicht (75) und bloß national eine Größe als Meister und Rekordhalter über 100 Meter (10,01 Sekunden). Harting und Reus schauen also aus vollkommen unterschiedlichen Perspektiven auf ihren Sport, das merkt man auch bei der zentralen Frage, welche die Leichtathleten hierzulande zunehmend beschäftigt: Soll die blaue Rundbahn aus dem Berliner Olympiastadion entfernt werden, damit die Fans des Fußball-Bundesligisten Hertha BSC näher ans Spielfeld rücken und für mehr Stimmung sorgen können?

Diese Idee hat jedenfalls der Berliner Senat ins Spiel gebracht, nachdem Hertha BSC mit dem Bau eines reinen Fußball-Stadions gedroht hatte, am liebsten auf der Wiese neben der altehrwürdigen Arena, notfalls aber auch in Brandenburg. Das Land Berlin als Eigentümer des Olympiastadions fürchtet nun die finanziellen Folgen, die der Auszug des Hauptmieters haben würde. "Ein Stadion-Neubau darf nicht zum Millionengrab für das Olympiastadion werden", mahnte der für Inneres und Sport zuständige Senator Andreas Geisel. Deshalb also der Vorstoß, die Arena um- und die Bahn auszubauen.

Der für den TV Wattenscheid rennende Reus findet es "eigentlich gar nicht notwendig, darüber zu diskutieren"; bei seinem Saisoneinstand am Sonntag in Regensburg sagte er: "Zum Olympiastadion gehört die Rundbahn, und damit ist die Debatte für mich schon beendet."

Der für den SCC Berlin werfende Harting hingegen bringt Verständnis für die Fußballer auf. Deren Wunsch nach einem Stadion ohne Laufbahn sei angesichts von 17 Hertha-Heimspielen pro Saison und dem jährlich dort ausgetragenen DFB-Pokalfinale "nur nachvollziehbar", sagte er am Dienstag auf einer Pressekonferenz, bei der für das Istaf am 27. August im Olympiastadion geworben wurde, das Internationale Stadionfest. Das ist die einzige regelmäßige Leichtathletik-Veranstaltung, die im Olympiastadion stattfindet, dazu kommt alle paar Jahre ein Großereignis: Zuletzt waren das die Weltmeisterschaften 2009, demnächst folgen die Europameisterschaften 2018.

"Es wäre einfach nur schade"

In Leichtathletik-Kreisen fürchtet man nun, dass bald gar keine internationalen Titelkämpfe mehr nach Deutschland vergeben werden. In einem am Dienstag verbreiteten offenen Brief warnt der gemeinnützige Verein "Freunde der Leichtathletik", das Vorhaben der Politiker und Fußball-Funktionäre in Berlin bedeute "den Höhepunkt des Kahlschlags der Leichtathletik in deutschen Großstadien".

In Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf, Stuttgart und Hannover sei die Leichtathletik bereits vertrieben worden, auch im Münchner Olympiastadion habe sie weichen müssen. "Fällt auch Berlin aus, gibt es in Deutschland kein vom Internationalen Leichtathletik-Verband zertifiziertes Class-1-Stadion mehr", heißt es in dem Schreiben weiter: Die EM 2018 wäre "auf Jahre hinaus die letzte internationale Großmeisterschaft und das hochrangige Eintages-Meeting Istaf dann ebenfalls Vergangenheit".

Dieses Szenario mag sich - bei allem Verständnis für seine einheimischen Fußballer - auch Christoph Harting nicht vorstellen. "Es ist eines der traditionsreichsten und historischsten Stadien der Welt", sagte der 27-Jährige über die für Olympia 1936 erbaute Arena: "Es wäre einfach nur schade, wenn es das so nicht mehr gäbe."

Allein schon wegen seiner monumentalen Architektur müsste man das Olympiastadion als Denkmal, als Kulturgut erhalten, das an die Zeit des Nationalsozialismus erinnert. Die Arena ist historisch aufgeladen, sowohl was den Sport angeht, als auch was die Politik betrifft: Dort ist der Jamaikaner Usain Bolt bei den Weltmeisterschaften vor acht Jahren die immer noch gültigen Weltrekorde über 100 und 200 Meter gerannt. Vor allem aber hat dort anno 1936 der dunkelhäutige Amerikaner Jesse Owens der Rassenideologie der Nazis mit einem Lächeln vier Goldmedaillen entgegengehalten - über 100, 200 und 4x100 Meter sowie im Weitsprung.

Diese Erinnerung darf man nicht einfach vergraben, diese Bahn darf man nicht einfach zuschütten und dem Kommerzsport opfern, finden die "Freunde der Leichtathletik". Wie Christoph Harting hoffen sie auf einen Kompromiss, auf "ein tolerantes Miteinander von Leichtathleten und Fußballern im Stadion", wie es in dem offenen Brief heißt: "Rom und Paris haben das geschafft und auch London. Warum nicht auch Berlin?"

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