Leichtathletik: Der Fall Semenya:"Das ist eine Hetzjagd"

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Christina Schieferdecker vom Verein Aktion Transsexualität und Menschenrecht zur beabsichtigten Genanalyse der südafrikanischen 800-Meter-Weltmeisterin Caster Semenya.

Thomas Hummel

Mit dem Fall der 800-m-Weltmeisterin Caster Semenya (Südafrika) rücken die Anliegen inter- bzw. transsexueller Menschen in den Blickpunkt. Bei Semenya veranlasste der Weltverband IAAF eine Genanalyse, um festzustellen, welches Geschlecht die 18-Jährige hat. Christina Schieferdecker, 41, zweite Vorsitzende des Vereins Aktion Transsexualität und Menschenrecht in Ludwigsburg, über Semenya und warum der Sport Menschen mit geschlechtlichen Abweichungen ausgrenzt.

Caster Semenya siegte über 800 Meter - und muss sich einem Geschlechtstest unterziehen. (Foto: Foto: ddp)

sueddeutsche.de: Frau Schieferdecker, wie erleben Sie den Fall Caster Semenya?

Schieferdecker: Ich finde das ziemlich grotesk. Dass das Parlament in Südafrika eine Beschwerde bei der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen einreichen will, verstehe ich gut.

sueddeutsche.de: Können Sie sich in das Mädchen hineinversetzen?

Schieferdecker: Kürzlich versuchte eine indische Läuferin, Selbstmord zu begehen, nachdem bei ihr ein Gentest ergab, dass sie nicht bei den Frauen mitlaufen darf. Ich kann mir vorstellen, Caster Semenya befindet sich in einer ähnlichen Gefahr. Als Frau hat sie bestimmt schon in der Jugend unter ihrem männlichen Aussehen gelitten. Dann findet sie etwas, in dem sich das positiv auswirkt und nun fallen alle Leute über sie her.

sueddeutsche.de: Für Sie ist das Diskriminierung.

Schieferdecker: Rennt eine Frau schnell, heißt es: Das muss ein Mann sein. Ich kenne viele Männer, die 800Meter nicht in 2:06 Minuten laufen können. Sind das deshalb Frauen? Das ist eine Hetzjagd. Ich habe auch schon den Ausdruck Hexenverfolgung gehört.

sueddeutsche.de: Der Weltverband IAAF sagt, er habe den Gentest veranlasst, weil Semenya aussehe wie ein Mann.

Schieferdecker: Ich frage mich, nach welchen Kriterien man das beurteilt. Es gibt viele Frauen mit breiten Schultern oder sehr kleinen Brüsten. Andersherum gibt es Männer fast ohne Bartwuchs mit schmalen Schultern. Ich sehe da die Gefahr einer Stereotypisierung. Ein solches Vorgehen wird im übrigen von der UN auch menschenrechtlich geächtet.

sueddeutsche.de: Heute sind aber fast alle Sportarten in Wettbewerbe bei Frauen und Männern eingeteilt. Wo finden inter- bzw. transsexuelle Menschen da ihren Platz?

Schieferdecker: Es gibt keinen.

sueddeutsche.de: Vermutlich, weil viele Menschen der Auffassung sind, dass etwa Caster Semenya, sollte sie intersexuell sein, zu stark ist für die anderen Frauen.

Schieferdecker: Das mag sein. Aber wenn man in der Kategorisierung Mann-Frau bleibt, müsste man sie dennoch mitlaufen lassen.

sueddeutsche.de: Es gibt bereits Spekulationen, irgendwann für Intersexuelle eine dritte Kategorie zu schaffen.

Schieferdecker: Das kann ich mir nicht vorstellen. Zwischen Intersexuellen gibt es wieder zu viele Unterschiede. Das hätte nichts mit Chancengleichheit zu tun.

sueddeutsche.de: Wie kann der Sport diese Menschen integrieren?

Schieferdecker: Ich könnte mir vorstellen, dass man irgendwann nicht mehr nach Geschlechtern trennt, sondern nach Leistungsstärke. So ähnlich wie im Boxen, wo man nach Gewichtsklassen einteilt. Es gibt Menschen ganz unabhängig vom Geschlecht, die haben einen starken Muskelaufbau und hohe Testosteronwerte. Auf der anderen Seite gibt es etwa Männer mit wenig Testosteron. Die werden sie bei der WM in Berlin übrigens nicht finden, weil sie zu schwach sind. Ist das nicht auch Diskriminierung?

sueddeutsche.de: Verstehen Sie, dass dies große Teile der Gesellschaft irritiert?

Schieferdecker: Die meisten Menschen stimmen mit dem heute allgemein anerkannten Geschlechtsbild überein. Doch natürlich ist es so: Es ist nicht einfach, dieser Sache gerecht zu werden.

sueddeutsche.de: Und im Breitensport?

Schieferdecker: Die meisten inter- und transsexuellen Menschen, die ich kenne, machen keinen Sport. Der Umgang ist zu diskrimierend, gerade im Sport, wo Frauen- und Männerbilder stark gepflegt werden. Schon in der Jugend werden Menschen, die nicht der geschlechtlichen Norm entsprechen, gehänselt wegen ihres Äußeren und ziehen sich dann lieber zurück. Das ist für viele sehr belastend, denn auch sie würden zum Beispiel gerne mal schwimmen gehen.

© SZ vom 24.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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