Fußball-WM:Kroatien belohnt sich für die Leiden

Lesezeit: 4 min

Können doch noch rennen: Die Kroaten nach dem Abnutzungskampf gegen Russland. (Foto: AP)
  • Kroatien setzt sich im Viertelfinale der WM gegen Gastgeber Russland durch und spielt im Halbfinale gegen England.
  • Erst im Elfmeterschießen wird das kräftezehrende Duell entschieden.
  • Ivan Rakitic wird zum Held für Kroatien, der das Tor zu einem nahezu historischen Erfolg öffnet.

Von Javier Cáceres, Sotschi

Wer weiß schon, wie viel Angst ihn begleitete. Irgendwann wird er davon erzählen. Er ging gemächlich zum Punkt, und man hatte den Eindruck, dass die ganze Welt auf ihm lastete in diesem Moment. Er wischte sich mit dem Trikot das Gesicht ab. Lange. Dann trat Rakitic an.

2:2 hatte es im Duell zwischen Kroatien und Russland nach 120 Minuten gestanden. Dann traf er. Sicher. Mit rechts schoss Rakitic den Ball zum 4:3 im Elfmeterschießen in die linke Ecke. Wie im Achtelfinale gegen Dänemark entschied Rakitic als letzter Elfmeterschütze die Partie. Es war ein Tor, das die Tür zu einem nahezu historischen Erfolg öffnete. Kroatien warf den WM-Gastgeber Russland aus dem Turnier - und qualifizierte sich nach einem irrwitzigen Abnutzungskampf zum ersten Mal seit Frankreich 1998 für ein WM-Halbfinale, damals wurden die Kroaten Dritter. Nun kämpfen sie am Mittwoch (20 Uhr) gegen England um den Finaleinzug - also um den größten Erfolg in ihrer Geschichte.

Im Vorfeld kreiste die zentrale Debatte um die Frage, ob Russland defensiv agieren würde wie beim Überraschungssieg gegen Spanien im Achtelfinale. Dieses Rätsel war nach wenigen Sekunden gelöst. Kaum, dass die letzten Töne der russischen Hymne vom Schwarzen Meer verschluckt worden waren, das hinter den Stadionmauern liegt, orientierten sich die Russen nach vorne - angetrieben von einem Publikum, das von einem fieberhaften patriotischen Wahn befallen schien.

Den Ball rissen allerdings die Kroaten an sich; ihre Regisseure Luka Modric und Rakitic mühten sich redlich darum, dem Spiel eine Struktur zu verleihen. Der Frankfurter Pokalheld Ante Rebic kam zu zwei Torgelegenheiten (6./7. Minute), ansonsten aber litt die Partie rasch darunter, dass die Russen alle Extremitäten ins Spiel brachten.

Sie wollten sich ihren bisherigen Schnitt an Foulspielen (18,5 pro Partie) nicht versauen. Als die Kroaten in der 29. Minute ihr erstes Foul begingen, hatten die Russen schon sieben auf dem Zettel (bis zum Ende der regulären Spielzeit sollten acht weitere folgen). Und: Sie ließen sich nicht davon beirren, dass die Kroaten sie mit geduldigem Passspiel aus der Reserve zu locken versuchten. Im Gegenteil. Sie rannten in einem irrwitzigen Tempo den Kombinationen der Kroaten hinterher.

Fußball-WM
:Mit Maguires Wucht und Allis Lächeln

Erstmals seit 28 Jahren schafft es England ins WM-Halbfinale. Gegen Schweden zeigt das Team von Gareth Southgate eine seiner größten Stärken: die Standardsituationen.

Von Sven Haist

Als knapp eine halbe Stunde gespielt war, ging der Plan auf: Nach einem Einwurf auf der linken Seite landete der Ball bei Denis Tscheryschew. Der spielte einen Doppelpass mit Artem Dsjuba und schlug den Ball aus 20 Metern mit links unter die Querlatte. Kroatiens Torwart Danjiel Subasic, der bis dahin nur deshalb ins Schwitzen gekommen war, weil in Sotschi 70 Prozent Luftfeuchtigkeit herrschten, konnte dem Ball nur hinterher schauen.

Kroatiens Chancen waren eher Zufallsprodukte

Die Freude der Russen währte acht Minuten lang, dann waren sie es, die sich defensiv in Apathie übten: Mario Mandzukic konnte auf der linken Seite unbedrängt in den Strafraum laufen und gefühlvoll und präzise auf seinen Sturmpartner Andrej Kramaric flanken. Der Hoffenheimer nutzte den ersten Zustand der Konfusion der Russen, um mit einem Kopfballaufsetzer zum zwischenzeitlichen Ausgleich zu vollenden (38.).

Es war das erste Mal im Turnier, dass die Russen nach einer Führung einen Ausgleich hinnehmen mussten. Und war daher die spannende Frage auf, ob das die Psyche der Mannschaft von Stanislaw Tschertschessow beeinflussen würde. Die Antwort: Sie spulte ihr Sprint-Programm weiter herunter, ohne fußballerische Inspiration zu offenbaren.

Auch die Kroaten wussten kaum zu überzeugen, ihre Chancen waren eher Zufallsprodukte. So etwa bei einem Fallrückzieher von Kramaric oder beim Pfostentreffer von Ivan Perisic: Eine wild in den Strafraum geschlagene Flanke trat Rebic wieder in den Fünfmeterraum, die unzureichende Kopfballabwehr der Russen schlug der einstige Wolfsburger und heutige Inter-Mailand-Stürmer ans linke Gestänge (60.).

Danach bot sich ein seltsames Schauspiel. Obwohl die Russen bis zur Pause laut offizieller Fifa-Statistik vier Kilometer mehr zurückgelegt hatten als die Kroaten (57:53), wirkten die Gäste ermattet. In ihr Spiel mischten sich Unkonzentriertheiten, es häuften sich die Fehlpässe. Ivan Rakitic? Wie verschluckt. Nach 75 Minuten raffte sich der brillante Modric zu einem Sprint über den halben Platz auf - und erhielt den Ball nach einer Außenrist-Flanke von Rebic und einer Kopfballablage von Mandzukic im Strafraum zurück. Sein Schuss aus zwölf Metern wurde aber abgeblockt.

Im Anschluss daran schloss Russlands Trainer Tschertschessow die Runderneuerung der Offensive ab: Nachdem Alexander Jerochin und Fedor Smolow für Samedow und und Tscheryschew gekommen waren, kam auch Jurij Gasinkij für Dsjuba. Der wirklich bemerkenswerte Wechsel war allerdings der dritte der Kroaten: Unmittelbar nachdem der defensive Mittelfeldspieler Mateo Kovacic für den Torschützen Kramaric eingewechselt worden war (88.), verletzte sich Torwart Subasic. Er hielt die letzten Minuten durch, wehrte einen Schuss aus unmöglichem Winkel von Smolow ab, wurde nach Ablauf der regulären Spielzeit ausgiebig massiert - und hielt durch.

Rakitic wird zum Helden des Abends

In der Verlängerung - in der ein vierter Wechsel erlaubt gewesen wäre - musste sich dann Sime Vrsaljko verletzungsbedingt abmelden. Damit war die Option, den Torwart auszuwechseln, gestorben - ein Risiko vor allem mit Blick auf ein mögliches Elfmeterschießen. Doch nach einer Ecke von Modric, der in den letzten 20 Minuten der Einzige war, der Verve entwickelte, gingen die Kroaten in Front. Verteidiger Domagoj Vida traf per Kopf zum 2:1 (101.).

Es blieben 15 Minuten, in denen die Kroaten nur eine Aufgabe hatten: zu leiden. Gegen ein russisches Team, das offenkundig die größeren Kraftreserven hatte. Und mit einem angeschlagenen kroatischen Torwart, der immer wieder aufschrie, weil sein Oberschenkel schmerzte. Er rettete noch gegen Kusjajew (112.). Doch in der 115. Minute war der kroatische Keeper machtlos, als Mário Fernandes nach einem Freistoß aus sechs Metern per Kopf den Ausgleich erzielen konnte - weil die kroatische Abwehr eine schier unglaubliche Passivität zeigte. In der 118. Minute parierte Subasic noch einen 20-Meter-Schuss von Sobnin.

Doch dann kam es zum Elfmeterschießen, zum Drama. Subasic parierte den Elfmeter von Russlands Auftaktschützen Smolow; Fernandes jagte den Ball neben das Tor, nachdem Kovacic gescheitert war. Es war der Fehler, der Rakitic, den Weg ebnete, zum Helden des Abends zu werden.

© SZ vom 08.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ-Liveticker zum WM-Viertelfinale
:Glücklic

Kroatien setzt sich im Elfmeterschießen gegen Russland durch und zieht ins Halbfinale ein. Zieht mit: der SZ-Liveticker.

Von Dirk Gieselmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: