Krisensitzung beim HSV:Ein desaströs uneiniger Verein

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Bert van Marwijk bleibt Trainer in Hamburg, vorerst. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Nach dem desaströsen 0:3 gegen Hertha BSC kommt es beim Hamburger SV zum handfesten Streit mit den Anhängern. Im Aufsichtsrat wird bis in die Nacht gerungen: Darf Trainer van Marwijk bleiben? Oder übernimmt Felix Magath die Macht? Am Ende bleibt alles beim Alten.

Von Jörg Marwedel

An dieses 0:3 gegen Hertha BSC werden die Fußballprofis des Hamburger SV noch lange denken. Nicht nur, weil es die sechste Niederlage am Stück war, die den Abstiegsplatz 17 vorerst zementiert hat. Sondern auch, weil sie eine Stunde nach Schlusspfiff schlimme Buße tun mussten. 250 Fans hatten sich vorm Spielertrakt versammelt, sie schrien "Vorstand raus", "Scheiß Millionäre", "Wir sind Hamburger und ihr nicht". Das bisherige Idol Rafael van der Vaart hätte sich fast mit aufgebrachten Kritikern geprügelt.

Als ein Großteil des Teams nebst Klubchef Carl Edgar Jarchow der Aufforderung der Unzufriedenen nachkam, mit ihnen zu reden, kam es zu Handgreiflichkeiten. Einige Randalierer wollten die Barriere der Ordner und Polizisten durchbrechen, Pfefferspray und Schlagstöcke wurden eingesetzt.

Und als die Spieler zu ihren Wagen gehen wollten, wurden einige geschubst, es gab Tritte gegen die Autotüren. Stürmer Jacques Zoua brach in Tränen aus. Das also blieb von dem Vorhaben der Zuschauer, das verunsicherte Team alle zehn Minuten mit einem Beifallsorkan zu unterstützen.

Der HSV-Vorstand beriet noch am Samstagabend über den erfolglosen Trainer Bert van Marwijk. Zu einer Entlassung konnte sich die Führung aber nicht durchringen. Man müsse überlegen, wo die Schwachstellen liegen, sagte Jarchow, "wir glauben nicht, dass es der Trainer ist".

Das sehen einige Aufsichtsräte anders, sie haben die Schwachstellen-Analyse erweitert: Am Sonntag um 15 Uhr wurden Jarchow und Sportchef Oliver Kreuzer vom Gremium einbestellt, Kreuzer wurde nach etwas mehr als einer Stunde wieder fortgeschickt. Auch über die Ablösung des Vorstandes wurde offenbar beraten. Und über den ganz großen Umbruch.

Die Not erscheint so groß, dass viele Räte in dem früheren HSV-Helden Felix Magath, 60, die einzige Chance sehen, den erstmaligen Bundesliga-Abstieg noch zu verhindern. Bereits am Donnerstag trafen sie sich mit dem zuletzt beim VfL Wolfsburg als Trainermanager tätigen Magath. Der soll angeblich seine Zusage gegeben haben, übergangsweise in der gewohnten Doppelfunktion zu agieren.

Bei Facebook, seinem neuen Lieblingsmedium, nahm Magath schon Stellung zur Lage bei seinem Herzensklub. Es bereite ihm Sorge, "dass der HSV hinter undurchschaubaren Strömungen, Gruppen- und Einzelinteressen kaum noch sichtbar" sei, schrieb er. Und weiter: "Mittlerweile muss man nach diesem Rückrundenstart sogar mit dem Abstieg unseres Hamburger SV rechnen."

Auch aus der Krisensitzung heraus soll es Kontakt mit Magath gegeben haben. Erst um kurz vor 23 Uhr, nach fast acht Stunden Beratung, ging die Runde auseinander - und alles blieb beim Alten. "Der Vorstand hat den Aufsichtsrat informiert, dass er gedenkt, mit Trainer Bert van Marwijk weiterzumachen. Die Sitzung ist beendet, und es gibt kein Ergebnis zu verkünden", sagte HSV-Pressesprecher Jörn Wolf im Foyer des Hotels Grand Elysee. Und weiter: "Herr van Marwijk wird am Montag beginnen, die Mannschaft auf das Pokalspiel gegen Bayern München am Mittwoch vorzubereiten."

Van Marwijk bleibt also Trainer, Kreuzer bleibt Sportchef, Jarchow bleibt der Vorstandsboss. Und der HSV bleibt der Verein, der es wie kein zweiter in der Bundesliga versteht, in der Öffentlichkeit ein in jeder Hinsicht desaströs uneiniges Bild abzugeben. Acht Stunden tagen und nichts entscheiden - erstaunlich.

Auf dem Platz, gegen die Berliner Hertha, war die Maske der Entschlossenheit schon nach 15 Minuten gefallen. Da brachte erst Verteidiger Heiko Westermann Hajime Hosogai hinter der Strafraumgrenze zu Fall, dann wehrte Keeper René Adler den Strafstoß von Adrián Ramos bravourös ab.

Doch statt in dieser Parade ein aufbauendes Zeichen zu sehen, stellten sich die HSV-Spieler beim Eckball von Marcel Ndjeng so schläfrig an, dass Sami Allagui mühelos zum 0:1 einschieben konnte. Danach fühlten wir uns "tot", sagte später der verzweifelte Abwehrrecke Westermann, "das war kurz vor dem Aufgeben". Nach 15 Minuten!

Tatsächlich ist zurzeit wenig Leben festzustellen in der Elf des HSV. "Wir müssen uns eingestehen, dass wir zu Recht da stehen, wo wir stehen", sagte Westermann. Marcell Jansen, der schon einmal mit Mönchengladbach und einmal auch mit dem HSV in ähnlicher Situation war, befand: "Diesmal ist alles noch beschissener." Bei einem Boxkampf müsse man doch irgendwann mal zurückschlagen, aber er habe das Gefühl, man könne überhaupt keine Tore mehr erzielen. Klingt fast, als könne dem HSV jetzt nichts mehr helfen.

Wahrscheinlich hätte ein Trainer geholfen, der etwas für den Zusammenhalt tut. Bert van Marwijk hat dafür offenkundig wenig getan. Zwar hatte er auf Druck von oben vorerst die trainingsfreien Tage gestrichen, aber seine Personalpolitik, die vom willigen, aber oft überfordert wirkenden Manager Oliver Kreuzer mitgetragen wird, führt genau zum Gegenteil von Teamgeist.

Dass van Marwijk ausgerechnet zwei knapp dem Teenager-Alter entwachsene Talente - Stürmer Ola John (Benfica Lissabon) und Mittelfeldspieler Ouasim Bouy (Juventus Turin) - für dreieinhalb Monate als vermeintliche Retter geleast hat, ist schon ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher ist, dass er seinen beiden niederländischen Landsleuten sofort einen Platz in der Startelf reservierte, obwohl sie fast ohne Spielpraxis kamen.

Felix Magath würde zumindest diesen Fehler korrigieren. Ob er aber mehr für den Teamgeist tun würde? Sein früherer Mitspieler Uli Stein hat ihm kürzlich erst vorgeworfen, eine "Ich-AG" zu sein. Das immerhin würde dann zur angestrebten neuen Organisationsform des HSV passen.

© SZ vom 10.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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