Krise in Bremen:Jetzt wird es "brutal" bei Werder

Lesezeit: 3 min

Will ungemütlicher werden: Bremens Trainer Viktor Skripnik. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Nach dem 0:6 in München ist der Druck bei Werder Bremen kaum noch zum Aushalten. Schon das zweite Saisonspiel wird für Trainer Skripnik zum Finale.

Von Ralf Wiegand

Viktor Skripnik aus dem ukrainischen Novomoskovsk ist 46 Jahre alt und von Beruf Fußballlehrer. Früher war er von Beruf Fußballprofi. Seit beinahe 20 Jahren arbeitet er für den SV Werder Bremen. Seine Karriere als Spieler endete 2004, im besten Jahr der Geschichte des Vereins, der damals Meister und Pokalsieger wurde. Danach trainierte er mal die dritte Mannschaft der Bremer, mal die zweite, die U 17, die U 18, die U 19 - immer gerade dort, wo ihn die Bremer brauchten. Der treue Viktor hatte seine Rolle gefunden, im Bauch des Vereins, auf Sicherheitsabstand zu Kameras, Scheinwerfern, Schlagzeilen.

Heute ist er mittendrin im Rummel Bundesliga, seit einem Jahr und zehn Monaten als Cheftrainer des SV Werder. Vom ersten Tag an, als er den Posten des damals gefeuerten Vorgängers Robin Dutt übernommen hatte, war klar, welcher Teil an seiner neuen Aufgabe ihm am wenigsten gefallen würde.

In einem Interview mit der Kreiszeitung Syke sagte er damals: "Diesen Medienrummel habe ich zehn Jahre nicht erlebt. Klar, beim Double 2004 war auch richtig was los. Aber da war ich einer von 25 Spielern, Thomas Schaaf war auch noch da. Und es gab kein Internet auf dem Handy. Das war angenehmer. Als Trainer stehe ich jetzt im Mittelpunkt. Mein Telefon brennt. Das bimmelt und brummt den ganzen Tag. Die Erwartung ist groß. Diesen Druck spürst du ständig."

Sogar Rauball ist "erschrocken"

Seit Freitagabend ist dieser Druck fast nicht mehr zum Aushalten. Nach dem 0:6 in München, bei dem sich die Bremer so jämmerlich anstellten, dass sich sogar Liga-Präsident Reinhard Rauball fremdschämte ("Ich war erschrocken über die Art und Weise, wie Werder Bremen ohne Gegenwehr dort gespielt hat"), fühlt sich Viktor Skripnik hundsmiserabel. Er komme sich vor wie "der Arsch der Welt". Dem treuen Viktor ist endlich mal das Messer in der Tasche aufgegangen.

Werder Bremen beim Saisonstart
:Bremen zerbröselt

Selten war Bremen so mittellos, so apathisch, so wurschtig wie beim 0:6 in München. Trainer Skripnik ist mit seiner Ratlosigkeit nicht unschuldig am Kollaps seiner Elf.

Von Jonas Beckenkamp

Selten stand ein Bundesliga-Trainer so früh in einer Saison derart unter Beschuss wie der von Werder Bremen. Pokal-Aus beim Drittliga-Aufsteiger Lotte, die Demütigung von München - das alles erinnert fatal an die Endphase von Robin Dutt, der 2014 seine Papiere allerdings erst nach dem neunten Spieltag nehmen musste. Auch Dutts in sich selbst zusammenfallende Mannschaft hatte kurz zuvor ein 0:6 in München kassiert, historisch auch deshalb, weil sie in 90 Minuten keinen einzigen Torschuss zustande gebracht hatte. Ein Heimspiel gaben ihm die Verantwortlichen damals noch. Es ging 0:1 gegen Köln verloren.

Skripnik hat das erste Heimspiel nach seinem 0:6 selbst zum Finale erklärt: "Wir bereiten uns vor wie auf ein Finale. Ein Finale am zweiten Spieltag", sagte er, als könne er selbst nicht glauben, dass sich die letzte Saison, in der sich bereits Endspiel an Endspiel reihen musste, ehe der Klassenerhalt am letzten Spieltag feststand, nahtlos fortsetzt. "Meine Entscheidungen werden brutaler", sagte Skripnik, "ein paar Spielern wird das nicht gefallen." Aber er habe jetzt eben genug gehört, "all die Worte vor dem Spiel oder in der Halbzeitpause hören sich toll an, 'Come on, boys' und so weiter. Aber wichtig ist nur, was auf dem Platz stattfindet. Es ist peinlich für mich und mein Trainerteam, das zu sehen."

Der Verein wird im Falle einer Niederlage, zu Gast in Bremen wird der FC Augsburg sein, sehen müssen, ob er Skripnik ein weiteres Mal vom freiwilligen Rückzug wird abhalten können, wie er schon in der vergangenen Saison mehr als ein Mal in der Luft lag. Sport-Geschäftsführer Frank Baumann hat dem Ukrainer zwar einen sehr eigenwillig befristeten Persilschein ausgestellt, in dem er sagte, auch wenn Werder "die nächsten acht Spiele nicht gewinnt", würde auf der Trainerposition nicht gehandelt.

"Wir haben uns für diesen Weg aus Überzeugung entschieden", sagte Baumann, der Kader sei neu, das Verletzungspech groß. Man brauche Zeit. Aber will Skripnik noch länger "Arsch der Welt" sein?

Skripnik genießt Respekt

Der Trainer genießt in der Vereinsführung großen Respekt dafür, dass er sich nach dem Ende der zerstörerischen Dutt-Ära bereit erklärte, den damals abgewrackten Tabellenletzten aus dem Stand zu übernehmen und damit auch seine berufliche Zukunft zu riskieren - in seiner vorigen Rolle als Trainer im Nachwuchsbereich hätte er wohl bis zur Rente weitermachen können.

Und sie schätzen auch, dass sich die treue Seele in allen Lagen vor seine Mannschaft stellte, dass er sich, obwohl sprachlich oft unbeholfen, vor seine Spieler warf. Dass er nie klagte, wenn Spieler aus finanzieller Not verkauft werden mussten. Die einen nennen solche Loyalität altgedienten Kräften gegenüber Werder-Filz, andere nennen es Haltung. Das war allerdings noch nie die Währung, mit der in der Bundesliga bezahlt wird.

© SZ vom 29.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Bundesliga
:Die Alten machen beim FC Bayern einen drauf

Wohin entwickelt sich der FC Bayern unter Ancelotti? Bei seinem Bundesligadebüt schickt der Italiener die älteste Startelf seit 2008 aufs Feld. Die Jugend sitzt zunächst auf der Bank.

Von Sebastian Fischer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: