Krise des BVB:53 Mal probiert, 53 Mal nix passiert

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Pech oder Unvermögen? Henrikh Mkhitaryan hatte jedenfalls keinen Erfolg in der Hinrunde. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Henrikh Mkhitaryan ist das Sinnbild der verzweifelten Dortmunder Versuche, ein Tor zu erzielen. Dabei läuft die Mannschaft so viel und so schnell wie keine andere. Zahlen, Daten und Erkenntnisse aus der Krisen-Vorrunde des BVB.

Von Thomas Hummel

Als Borussia Dortmund einmal eine Bundesliga-Hinrunde mit noch weniger Punkten abschloss als im Jahr 2014, regierte im Westen Kanzler Willy Brandt, im Osten wurde gerade Erich Honecker Staatssekretär der SED. Der BVB-Toptorjäger hieß Jürgen Schütz, der Trainer Horst Witzler. Jürgen Klopp war gerade erst vier Jahre alt und übte wohl im Sandkasten das Gegenpressing nach Bagger-Klau.

1971 kam Dortmund (umgerechnet auf die Drei-Punkte-Regel) gerade mal auf 14 Zähler. Heute sind es 15. Klopp wird im Gegensatz zu Witzler damals auch zu Beginn der Rückrunde Trainer in Dortmund sein. Und hat ein paar aussagekräftige Zitate für die Weihnachtszeit hinterlassen: "Dass wir dastehen wie die Vollidioten, geschieht uns recht. Wir haben die beschissenste Vorrunde gespielt." Oder: "Falls jemand das Gefühl hat, das wäre die beste Phase meines Lebens, täuscht er sich gewaltig."

Wie konnte der Champions-League-Finalist 2013 nur im zweiten Halbjahr 2014 so abstürzen? Eine Annäherung an die epochale Krise in Zahlen. In Zusammenarbeit mit dem Sportdatenanbieter opta.

Zehn Niederlagen in den ersten 17 Spielen: Damit musste der Klub schon in der Hinrunde mehr Pleiten einstecken, als jemals in einer gesamten Bundesliga-Spielzeit unter Jürgen Klopp (Trainer seit 2008).

Null Siege in den vergangenen acht Auswärtsspielen: Dabei holte die Mannschaft auch nur einen von 24 möglichen Punkten. So lange warteten die Borussen zuletzt 2003 auf einen Auswärts-Dreier in der Bundesliga. Der BVB stellt bei nur vier Punkten das schlechteste Auswärtsteam der Liga. Insgesamt gab es sieben Niederlagen - so viele wie in den vorherigen drei kompletten Spielzeiten zusammen.

30 Punkte hinter dem FC Bayern: Das gab es zuletzt am 34. Spieltag 2007/08 (damals 36 Punkte) - also bevor Jürgen Klopp kam.

Gegentore: In elf der 17 Partien kassierte der BVB zwei Gegentore, mehr waren es allerdings nie. Nur zweimal spielte er zu Null, gegen Mönchengladbach und Hoffenheim.

Chancenverwertung: Dortmund hat die zweitschwächste der Liga mit nur 8,7 Prozent genutzter Torchancen - nur der HSV ist in dieser Hinsicht schlechter (5.7%).

Auffälligstes Beispiel für die herbe Schwäche im Torabschluss ist Henrikh Mkhitaryan. Der allgemein als hochbegabter Offensivspieler angesehene Armenier war in der Hinrunde an 53 Torschüssen direkt beteiligt - daraus resultierte aber kein einziges Tor.

Mkhitaryan schoss 34 Mal erfolglos auf das gegnerische Gehäuse, so häufig wie kein anderer Spieler. Dazu gab er 19 Torschussvorlagen - davon verwerteten seine Mitspieler aber genau keine. Übertroffen wird Mkhitaryan in Kategorie verzweifelter Vorlagengeber nur von Augsburgs Raul Bobadilla (20) und Mitspieler Shinji Kagawa (24).

Die Armenier wählten ihn trotzdem zu fünften Mal zum nationalen Fußballer des Jahres. Über Jürgen Klopp sagte Mkhitaryan: "Es macht mich traurig, ihn so zu sehen. Er kann am wenigsten dafür. Er ist immer für uns da, und es ist umso frustrierender, dass wir nicht in der Lage sind, ihn auch durch Siege wieder glücklicher zu machen."

Doch wie nur wird Jürgen Klopp wieder glücklicher? Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hat hier eine Idee: "Es wird dann wieder funktionieren, wenn wir wieder zu unseren Wurzeln zurückkehren und über eine extreme körperliche Fitness und Bereitschaft der Spieler unseren Fußball spielen, den wir eigentlich über die ganzen Jahre mit sehr viel Erfolg gespielt haben."

In der Tat spricht einiges dafür, dass der BVB in dieser Hinrunde nicht mehr die Intensität auf den Platz brachte, als in den Jahren zuvor. Einiges spricht aber auch dagegen.

(Foto: opta)

So ist die Mannschaft laut Datenerfasser opta mit 120,3 Kilometern pro Spiel das laufstärkste Team der Liga (der FC Bayern liegt hier mit durchschnittlich 114,5 Kilometern an vorletzter Stelle).

(Foto: opta)

Auch absolvierte der BVB mit 243 Sprints pro Spiel die meisten aller Bundesligisten (hier rangiert Schalke 04 mit 188 ganz hinten). Mit Pierre-Emerick Aubameyang haben die Dortmunder den schnellsten Spieler der Liga in ihren Reihen.

Auf der anderen Seite deuten mehrere Faktoren darauf hin, dass den Dortmundern nach ihren vielen vergebenen Torchancen (siehe oben) regelrecht die Puste ausging. In der fiktiven Tabelle der ersten Spielhälfte liegen sie auf Rang sechs. Die Rangliste der zweiten Hälfte weist sie als Schlusslicht aus.

Die Dortmunder gewannen keines der neun Spiele nach einem 0:1-Rückstand (acht Niederlagen, ein Remis).

Doch wie gesagt, an Jürgen Klopp soll es nicht liegen. "Wir sind total von ihm überzeugt. Vor einigen Wochen wurde er noch in den Himmel gelobt, und die gleichen Leute sagen jetzt, es geht nicht mehr. Das finde ich nur peinlich", sagte Watzke.

Ob ein Trainerwechsel Wirkung zeigt, ist ja ohnehin stark umstritten. In dieser Saison hatten die Klubs bislang Glück. Bremen, Hamburg, Schalke und Stuttgart haben während der Hinrunde ihren Trainer getauscht - durchweg mit Erfolg. Alle Klubs konnten ihre Bilanz nach dem Trainerwechsel verbessern.

Damit hatten die Dortmunder selbst vor 43 Jahren weniger gute Erfahrungen gemacht. Nach der miserablen Bilanz musste Trainer Horst Witzler kurz vor Weihnachten 1971 gehen. Für ihn kam Herbert Burdenski. Der schafft es, in der Rückrunde noch schlechter abzuschneiden, holte nur zwölf Punkte. Borussia Dortmund stieg ab (bis heute zum letzten Mal), dabei stand mit Arminia Bielefeld nach dem Bundesliga-Skandal um verschobene Spiele ein Absteiger bereits fest.

Seit Einführung der Drei-Punkte-Regel 1994/95 gab es nach der Hinrunde 63 Vereine mit 15 oder weniger Punkten. 31 dieser Klubs stiegen am Saisonende ab. Mathematisch liegt die Gefahr für einen Ausflug in Liga zwei für Borussia Dortmund demnach bei 49,21 Prozent.

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