Korruption in der Ukraine:Geldübergabe bei McDonald's

Korruption in der Ukraine: Viele ukrainische Fußballklubs stehen unter Verdacht.

Viele ukrainische Fußballklubs stehen unter Verdacht.

(Foto: AFP)
  • Es geht um Spielabsprachen im großen Stil: Eine Manipulationsaffäre erschüttert den Fußball in der Ukraine.
  • 35 der 52 Profiklubs des Landes sollen involviert sein, auch Vereine aus der ersten Liga.
  • Trotz umfangreichen Belegen wurde aber noch niemand festgenommen.

Von Florian Hassel

Es war offenbar eine Routineangelegenheit, zu der sich ein Funktionär des Fußballvereins Sumy im Nordosten der Ukraine am 29. März in einem Kiewer Café mit einem Schiedsrichter traf. Alexander S., der Unparteiische, sollte in Luzk im Westen der Ukraine drei Tage später ein Zweitligaspiel zwischen Sumy und dem FC Wolyn pfeifen. Funktionär Wladislaw K. bot dem Schiedsrichter 100 000 UAH (umgerechnet 3256 Euro), damit dieser das Spiel zugunsten Sumys entscheide. "Ich verstehe, dass Wolyn auch ein ausgezeichnetes Angebot machen wird", sagte Funktionär K.: "Wenn Wolyn mehr gibt, geben auch wir noch mehr."

Die Verhandlungen endeten offenbar zur allseitigen Zufriedenheit: Am 1. April gewann der FC Sumy gegen Wolyn Luzk mit 1:0. Tags darauf übergab der Klubfunktionär dem Schiedsrichter in einer Kiewer McDonald's-Filiale 3900 Dollar - das legen Überwachungsvideos nahe, die die ukrainische Polizei am Dienstag in Kiew präsentierte.

Zwei Pelzmäntel und 30 000 Dollar Bestechungsgeld

Diese mutmaßliche Spielabsprache ist angeblich nur die Spitze eines Eisbergs, der die Champions-League-Endspiele der Frauen (Donnerstag) und Männer (Samstag) in Kiew überschattet. Dem ukrainischen Innenminister Arsen Awakow zufolge sollen mindestens 320 Fußballspieler, Trainer, Klubpräsidenten und -besitzer am Verschieben von Fußballspielen beteiligt gewesen sein. Unter Verdacht stehen Angaben Awakows zufolge gleich 35 von insgesamt 52 Profi-Fußballklubs - darunter auch fünf Klubs der Premjer-Liha, der höchsten Spielklasse der Ukraine.

Nach Einschätzung des Innenministers sollen fünf Verbrechergruppen mit Wetten auf manipulierte Spielverläufe und Ergebnisse jährlich rund fünf Millionen Dollar Gewinn eingestrichen haben. Teils seien die Wetten anonym in asiatischen Wettbüros aufgegeben worden. Angeblich verfügen die Ermittler über Beweise über verschobene Spiele in mindestens 57 Fällen - und versuchen, weiteres Material zu sichern. Am Dienstag rückten Polizisten und Staatsanwälte unter Führung der Generalstaatsanwaltschaft zu 40 Durchsuchungen bei Fußballoffiziellen in zehn Regionen der Ukraine aus. "Einen solchen Skandal hat es in der ganzen Geschichte der unabhängigen Ukraine noch nicht gegeben", fasste der Infodienst Strana zusammen.

Laut dem Vizepräsidenten des ukrainischen Fußballverbandes, Nasar Cholodnitzky, begann der Verband 2017, Spiele und Wetten in den drei höchsten Spielklassen systematisch zu analysieren - und schlussfolgerte, dass "das erste, das zweite, das dritte Spiel etwas unsauber" verlief. Früher seien solche Informationen im Fußballverband versandet, diesmal wurden sie weitergegeben. Die Korruption im ukrainischen Fußball habe sich "im Verlauf von Jahrzehnten herausgebildet", sagte Cholodnitzky. Wie verbreitet sie war, kam nur selten ans Tageslicht.

Im September 1995 zum Beispiel boten Verantwortliche von Dynamo Kiew dem zum Champions-League-Spiel gegen Panathinaikos Athen angereisten spanischen Schiedsrichter Antonio López Nieto zwei Pelzmäntel und 30 000 Dollar Bestechungsgeld an, wenn Nieto das Match zugunsten Kiews entscheide. Nieto beschrieb den Bestechungsversuch damals in seinem Spielbericht an den europäischen Fußball-Verband Uefa. Dynamo Kiew wurde zunächst für drei Jahre von europäischen Wettbewerben ausgeschlossen - eine Strafe, die auf ein Jahr reduziert wurde.

Korruption reicht in der Ukraine bis in die Milliarden

Bei den aktuellen Ermittlungen spielt angeblich weder Dynamo Kiew eine Rolle noch Schachtar Donezk, der zweite Spitzenklub des Landes. Seit Sonntag ist Donezk nicht nur Pokalsieger, sondern Meister als Sieger im Dauerduell mit Kiew. Dafür führt das Innenministerium sowohl den bereits für die Europa League 2018/19 qualifizierten Verein Worskla Poltawa (Tabellendritter) und Sorja Luhansk (Tabellenvierter) unter jenen 35 Klubs auf, die an Schiebungen beteiligt gewesen sein sollen. Mit PFK Olexandrija (Siebter), Olimpik Donezk (Neunter) und Sirka Kropywnytzkyi (Zehnter) gehören zudem drei weitere der zwölf Vereine zählenden Top-Liga zum Kreis der Verdächtigen.

Hinter dem Vorgehen der ukrainischen Behörden stehen Fragezeichen. Die Ukraine steht wegen fehlender Erfolge im Kampf gegen Korruption bis in die Regierung international am Pranger. Innenminister Awakow gab zuletzt ein deutlich größeres Vermögen an, als sein offizieller Verdienst erklärt. Vize-Fußballverbandschef Cholodnitzky ist im Hauptberuf Leiter einer Anti-Korruptions-Sonderstaatsanwaltschaft. Er wird Absprachen mit Verdächtigen in Ermittlungen zu Korruptionsfällen beschuldigt - was er bestreitet.

Für ukrainische Maßstäbe, wo Korruption bis in die Milliarden reicht, hört sich der Gewinn durch die Verschiebung der Fußballspiele - angeblich fünf Millionen Dollar pro Saison - gering an. Erstaunlich ist auch, dass trotz der weit verbreiteten Korruption und angeblichen Belegen in 57 Fällen niemand festgenommen wurde. Dem Sport-Infodienst Championat zufolge hätten Ermittler früher zuschlagen wollen, dann aber entschieden, erst die ukrainische Fußballsaison zu Ende gehen zu lassen. Wie glaubwürdig deren Ausgang noch ist, wenn massenhaft Spiele verschoben wurden, steht auf einem anderen Blatt.

Obwohl fünf Klubs der höchsten Liga beteiligt sein sollen, präsentierten die Ermittler nur Belege für die Verschiebung von Zweitligaspielen. Bisher fehlen auch detaillierte Angaben, wer wo in welchen asiatischen Wettbüros gesetzt und gewonnen haben soll. Ukrainischen Medien zufolge soll der italienische Experte Francesco Baranca, Generalsekretär des gegen Wettbetrug und verschobene Spiele vorgehenden Verbandes Federbet, an den Ermittlungen beteiligt gewesen sein. Auch er hatte sich zunächst nicht geäußert.

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