Fußball:Im Fußball schlägt die Realität schon lange die Satire

Fußball: Der Fußball und das Geld: Viele Fans ärgern sich über die immer weiter zunehmende Kapitalisierung ihres Lieblingssports.

Der Fußball und das Geld: Viele Fans ärgern sich über die immer weiter zunehmende Kapitalisierung ihres Lieblingssports.

(Foto: imago)

China in der Regionalliga, Red Bull gegen Red Bull in der Champions League, Ronaldo vor Gericht: eine ganz normale Woche im puren Kapitalismus namens Fußball. Die schlechte Nachricht: Es wird so weiter gehen.

Kommentar von Sebastian Fischer

Es brauchte in dieser Woche einen Experten, der noch nie in einer der einschlägigen Experten-Runden saß, um die einzige echte Wahrheit über den modernen Fußball auszusprechen. Nun war Christoph Radtke, Geschäftsstellenleiter beim Viertliga-Absteiger FK Pirmasens wütend. Für seinen Verein, in der vergangenen Saison immerhin nur der Sechstschwächste, ist kein Platz in der Regionalliga Südwest, obwohl die Liga damit 19, also eine ungerade Anzahl an Mannschaften führt. Stattdessen soll die spielfreie 19. Mannschaft an den Spieltagen gegen die U20-Nationalmannschaft von China spielen, die sich dafür ein Jahr im Südwesten Deutschlands einquartiert. Wut ist selten ein guter Ratgeber für kluge Aussagen, doch Radtke sagte im Gespräch mit Zeit Online trotzdem das einzig Richtige, was man über den Fußball sagen muss: "Das ist purer Kapitalismus."

Es geht bei dem Deal, chinesische Jungsportler für die Olympischen Spiele 2020 üben zu lassen, natürlich nicht um die nette Idee der Völkerverständigung. Es geht um Geld, das DFB und DFL im Austausch auf dem boomenden chinesischen Markt kassieren wollen, mit Reisen der Nationalmannschaft, mit Reisen der Bundesligisten, mit Fernsehverträgen, wohl irgendwann mit einem DFB-Pokalfinale in Shanghai statt Berlin. Man könnte jetzt anführen, was das Gejammer soll, und, dass endlich mal die klammen Regionalligisten davon profitieren - sie erhalten bis zu 20 000 Euro für zwei Freundschaftsspiele. Man könnte einfach nur über die Geschichte lachen, wäre sie ein absurder Einzelfall. Doch sie passt perfekt ins mittlerweile gänzlich absurde Bild.

Nur mal kurz die Ereignisse der vergangenen Wochen zusammengefasst: Das ZDF hat die Rechte für die Champions League verloren, weil sie dem Vernehmen nach 600 Millionen Euro für drei Jahre gekostet haben, also surreal teuer waren. Für den besten europäischen Fußball muss der Fernsehzuschauer in Deutschland von der Saison 2018/2019 an also im Pay-TV bezahlen. In dieser Champions League treten schon in diesem Jahr Red Bull Salzburg und RB Leipzig an, zwei Teams mit dem identischen Hauptsponsor, ohne den es keines der Teams geben würde. Vor ein paar Monaten teilten sie sich noch denselben verantwortlichen Funktionär samt Stab und spielten in fast identischen Trikots. Sie mussten den Fußballwortschatz nur flugs um das schöne Wort "Entflechtung" ergänzen, ein paar Türschilder abmontieren und Sponsorenverträge umschreiben, da war die Uefa machtlos. Red Bull spielt also künftig gegen Red Bull, präsentiert von Gazprom, zu erwerben bei DAZN oder Sky. Fußball, das Spiel der einfachen Leute.

Derweil findet der Confed Cup in Russland statt, das Vorspiel für die WM. In Russland mussten für Fifa-Wettbewerbe fast schon standesgemäß die Bauarbeiter auf den Baustellen leiden und gar sterben, die ganze Sause steht unter dringendem Korruptionsverdacht. Aber dagegen zu demonstrieren, das ist in Sotschi, Sankt Petersburg und Moskau freilich nur bedingt erlaubt. Lieber sollen die paar Zuschauer, die in den Arenen sitzen, dem Portugiesen Cristiano Ronaldo zujubeln, während dieser versucht, von seiner Steueraffäre abzulenken. Der spanische Fiskus ist aufgrund der im Spiegel veröffentlichten Enthüllungen der Plattform Football Leaks zu der Ansicht gelangt, Ronaldo habe 14,77 Millionen Euro Steuern hinterzogen. Weil ihn die lästigen Pflichten eines Steuerzahlers derart nerven, will er wohl Spanien verlassen. Es heißt, Paris St. Germain sei bereit, mehr als 100 Millionen Euro zu bezahlen. Für einen Hochbegabten. Aber für ein Vorbild?

Ein Vorbild für junge Fußballer war in der vergangenen Saison in Köln der Stürmer Anthony Modeste. Doch er verlässt die Stadt nun, um künftig geschätzt zehn Millionen Euro im Jahr zu verdienen und in der sportlich unbedeutenden chinesischen Liga für Tianjin zu spielen. Man sollte das nicht ihm vorwerfen. Aber sollte man dieses Geschäft gut finden? Ein Geschäft, das sich zum Ende dieser Woche übrigens zu verzögern drohte. Denn, so berichtet der Express, die Zahlungen an Modestes Berater, nennen wir sie A-Hörnchen und B-Hörnchen, seien noch unklar. Sie, die Vertreter der Gilde der wahren Zerstörer des Sports, wollen da schon mitverdienen, wie es Usus. ist. Wofür eigentlich genau? Man sollte diese Frage demnächst mal Jörg Schmadtke, dem Kölner Manager stellen. Er kann nämlich, wie man weiß, sehr schön "Eierköppe" sagen.

Mannheim will lieber gegen Pirmasens als gegen Chinas U 20 antreten

Früher waren satirische Zukunftsvisionen ein beliebtes Hobby in Sportredaktionen: eine Bundesligasaison mit sechs Red-Bull-Klubs, sechs von VW und sechs aus China. Inzwischen hält keine Satire mehr mit der Realität einer simplen Woche in der Sommerpause mit. "Wo soll das hinführen?", könnte man nun fragen und auf die Studie des Vereins FC PlayFair verweisen, wonach 70 Prozent der Fußballfans die Grenze der Kommerzialisierung erreicht sehen. Allerdings: Der Verein hat bislang 899 Fans auf Facebook. Wenn sich Cristiano Ronaldo dort mit seinen Schuhen fotografiert, gefällt das 1,8 Millionen. Das Spiel ist zu gute Unterhaltung, wie gerade zum Beispiel die sportlich wertvollen Auftritte der U21-Nationalmannschaft bei der EM in Polen und die entsprechenden Einschaltquoten zeigen. Wer will schon wirklich ein Unterhaltungsprodukt hinterfragen?

Ein paar gibt es schon noch. Waldhof Mannheim hat bekanntgegeben, bei den Spielen gegen Chinas U20 nicht mitzumachen und stattdessen dem FK Pirmasens ein Freundschaftsspiel angeboten. Sollte dieses Spiel zustande kommen, man könnte ein Fest daraus machen, ein Fest zu Ehren des puren Fußballs. Das ließe sich auch hervorragend vermarkten. Das Carl-Benz-Stadion zu Mannheim wäre sicher schnell ausverkauft. Und für alle, die keine Karten bekommen, würde das ZDF übertragen.

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