Iker Casillas bei Real Madrid:Engelsgesicht hält nur noch irdische Bälle

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Drin? Nicht drin? Iker Casillas, einst bekannt als der Mann mit den schnellen Händen, hat unter den Real-Fans inzwischen viele Kritiker. (Foto: imago)
  • Torhüter Iker Casillas ist eine lebende Legende bei Real Madrid, der Heilige, "San Iker".
  • Jetzt steht der Torwart bei den Fans der Madrilenen massiv in der Kritik. Auch einige Mitspieler bekommen Pfiffe ab, der Waliser Gareth Bale zum Beispiel.
  • Im Halbfinalrückspiel in der Champions League gegen Juventus Turin soll Casillas Real mit entscheidenden Paraden doch noch zum Einzug ins Finale in Berlin verhelfen.

Von Oliver Meiler, Barcelona

Mit lebenden Legenden ist das so eine Sache: Der Ruhm kann auch zu Lebzeiten verwirken. Manchmal geht das ganz schnell, begleitet von einer Dosis Melancholie. Die Welt des Sports ist voll von solchen Geschichten. Bei Iker Casillas aber, seit einer gefühlten Ewigkeit Torwart von Real Madrid und von Spaniens Nationalmannschaft, hielt man den Sturz aus der Verklärung lange für unmöglich. Er war ja "El Santo", der Heilige, . Und einen Heiligen demontiert man nicht.

Es gab Zeiten in der Karriere des Jungen mit dem Engelsgesicht aus Móstoles, einem schmucklosen Arbeitervorort Madrids, da war man in Spanien überzeugt, dass er Wunder wirke. Für einen Keeper ist er eher klein gewachsen: 1,85 Meter. Er beeindruckt nicht mit seinem mächtigen Auftritt, zur Mauer fehlt ihm die Spannbreite. Seine Hände aber, die waren immer schnell und überall, sie retteten Real tausend Mal, oft auch Spanien.

Alles half er gewinnen: eine Weltmeisterschaft, zwei Europameisterschaften; nationale Meisterschaften, europäische Königsklassen, interkontinentale Pokale. In einem anderen Verein hätten sie für einen wie ihn schon lange vor dem Ruhestand eine Bilderwand im Museum freigeräumt und ein hübsches Plätzchen für eine Bronzestatue bestimmt.

Aber Real Madrid ist anders: Der "Madridismo" fordert von seinen Legenden Legendäres in jedem Spiel. Am vergangenen Wochenende pfiff ein Teil der Fans im heimischen Santiago Bernabéu den Heiligen wieder gnadenlos aus, obschon ihm beim 2:2 gegen den FC Valencia keines der beiden Gegentore anzulasten gewesen wäre. Aber eben: Pariert hat er die Bälle auch nicht. Er ist immer noch gut, aber halt nur noch irdisch gut.

Der Torwart reagiert erstmals unwirsch auf die Pfiffe

Und so pfiffen sie so laut und so zahlreich wie nie zuvor, bis Casillas zum ersten Mal überhaupt unwirsch reagierte. Liest man ihm von den Lippen, formen sich die zu Flüchen mit anatomischen Bezügen. Dazu fiel auf: ein demonstratives Verwerfen des rechten Arms, das sich zweifelsfrei als Verwünschung des Publikums werten lässt. Es ist viel kaputt. Wenn Casillas nun aber an diesem Mittwoch im Halbfinalrückspiel in der Champions League gegen Juventus Turin nicht mindestens ein Wunder bewirkt, eine entscheidende "Parade aus einer anderen Galaxie", wie es die Zeitung El País nennt, und damit eine höchst bescheidene Saison Reals doch noch irgendwie rettet, dann ist es um die Legende definitiv und unwiederbringlich geschehen.

Dabei ist er erst 33 Jahre alt, kein Alter für seine Rolle. Man würde dann schon Schlussbilanz ziehen. Und ihn wohl bitten, den Verein seines Lebens zu verlassen oder ins zweite Glied zu treten. Real verhandelt seit Monaten mit David De Gea, dem geduldigen designierten Nachfolger von Casillas in der Nationalmannschaft. De Gea, ein lang gewachsener Mann mit hübschen Reflexen, spielt bei Manchester United, käme aber gerne heim. 40 Millionen Euro würde sein Transfer kosten, heißt es, viel Geld für einen Torhüter.

Natürlich weiß Casillas um die Kontakte. Niemand verheimlicht sie ihm. Die Vereinsspitze verteidigt ihn auch nicht in der Öffentlichkeit. Man hat Präsident Florentino Pérez in letzter Zeit nie sagen hören: "Iker ist so lange unser Mann im Tor, als er das wünscht, seine Verdienste um den Verein sind immens." Obschon man Pérez auch jetzt wieder nach seiner Meinung über die Pfiffe fragte, hielt er sich mit Plädoyers zurück. Er mag Casillas nicht so sehr. Man darf gar vermuten, dass der Präsident, ein Meister der Intrige, die Demontage im Hintergrund fördert.

Begonnen hat sie schon vor einigen Jahren, als José Mourinho noch Trainer war und beschloss, den Kapitän aus Reals Stammelf zu mobben und ihm den Provinztorhüter Diego López vor die Nase zu setzen. Nachfolger Carlo Ancelotti rehabilitierte Casillas, doch die Aura war weg. Zuweilen ließ auch Ancelotti Casillas auf der Bank sitzen und stellte für ihn Keylor Navas auf, den Torwart aus Costa Rica - immer nur im Heimspiel im Bernabéu, immer gegen kleinere Gegner, um die gefallene Nummer eins vor den Pfiffen zu schützen.

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Nach dem fulminanten Sieg gegen den FC Bayern siegt Barça auch in der Primera División. Die Katalanen bauen ihre Führung vor Real Madrid aus, das gegen Valencia nur unentschieden spielt. Felix Magath soll Trainer bei Austria Wien werden.

Selbst Cristiano Ronaldo kassiert Pfiffe

Casillas' Vertrag läuft noch bis 2017. 14,5 Millionen Euro stehen ihm dafür zu. Freiwillig, so hört man aus seiner Entourage, steigt er nicht aus. Pfiffe bekommen auch andere ab, Gareth Bale zum Beispiel, der Waliser, der vor zwei Jahren für fast 100 Millionen Euro nach Madrid gewechselt war. Bale schaffte es bisher nicht, sich vollends zu integrieren. Sein Manager glaubt, dass die Schuld allein bei den Mitspielern seines Klienten liegt, die ihm den Ball zu wenig abspielten: "Würde Bale mehr Bälle kriegen", sagte Jonathan Barnett in einem Interview vor einigen Tagen, "wäre er der beste Mann Reals."

Nun, vielleicht liegt da das Problem: Man holte ihn ja nicht, um der Beste zu sein. Man hat schon einen Besten, Cristiano Ronaldo, und der mag seine Herrschaft nicht gerne teilen. Sein ausgeprägter Egozentrismus auf dem Fußballplatz wiederum trägt auch dem Portugiesen immer mal wieder Pfiffe der eigenen Fans ein. Am vorigen Wochenende war das wieder der Fall. Da verschoss Ronaldo gegen Valencia einen Elfmeter und damit wohl gleich auch die letzte Chance Reals auf die spanische Meisterschaft. Die relative Erfolglosigkeit schmerzt natürlich umso mehr, als sie in eine Zeit fällt, da der FC Barcelona und dessen Bester, Lionel Messi, wieder als titelreif gelten.

Die Madrider Sportzeitung Marca, die dem Verein Real traditionell hold bis hörig ist, schrieb nun vor der Begegnung gegen Juventus Turin in fetten Lettern über die ganze Frontseite: "Tregua" - das ist ein Begriff aus dem Kriegsjargon und meint Feuerpause, Waffenstillstand. Gemeint war eine Pfeifpause für den Frieden, wenigstens für zwei Stunden. Das Spiel sei transzendental, schrieb die Zeitung in ihrem Appell, es durchdringe das Schicksal des Klubs und überstrahle alles. Früher, da strahlte mal ein Heiliger so viel Selbstvertrauen aus, dass die Gegner geblendet waren und die Fans erleuchtet. Lange ist es her. Geblieben ist Melancholie.

© SZ vom 13.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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