Hockey-Männer vor dem Olympia-Finale:Mit todernstem Blick gegen Holland

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"Jeder vertraut hier jedem": Bundestrainer Markus Weise hat eine bemerkenswerte deutsche Hockey-Mannschaft geformt - im Finale am Samstag gegen Erzrivale Niederlande geht es nicht nur um Olympia-Gold, sondern auch um die Revanche für die Vorrunden-Niederlage. Doch Coach Weise denkt bereits an Rio de Janeiro.

Volker Kreisl, London

Vor kurzem hatte Markus Weise wieder eine Idee. Die jungen Leute, dachte er, sitzen so oft am Computer oder am Smartphone, wo man schnell zum Spaß findet. Richtiger Genuss, findet Weise, stellt sich aber nicht sofort ein. "Beim Lesen hast du nicht schon nach drei Seiten den Super-Spezialeffekt", sagt er. Also führte Hockeytrainer Weise im Trainingslager eine kleine Bibliothek ein, mit Büchern zum Weiterreichen, ganz freiwillig. Zum Auftakt: Der Fänger im Roggen von J. D. Salinger.

Wichtiges Tor gegen Australien: Florian Fuchs. (Foto: AFP)

Will man taktisch etwas erreichen, muss man in Schritten denken. In der Erziehung einer Mannschaft ist das ähnlich. Weise braucht Spieler, die Initiative übernehmen, in jeder Sekunde. Aber Reife kann man nicht verordnen, so wenig wie einen Torerfolg. Man kann nur wie auf dem Spielfeld die richtigen Schritte einleiten.

Am Donnerstag hat Weise eine weitere Stufe genommen als erfolgreicher Olympia-Trainer. Er steht wieder in einem Finale, und er hat die Chance, eine weitere Bestmarke zu setzen. Schon vorher war er der einzige Hockey-Trainer, der erst ein Frauen- (2004) und dann ein Männerteam (2008) zum Olympiasieg führen konte. An diesem Samstag, gegen die Niederlande, könnte er zum dritten Mal in Serie Gold holen.

Das 4:2 gegen Australien fußte auf zwei Vorteilen seiner Mannschaft. Einer war der außerordentliche Teamgeist, über den hinterher fast jeder Spieler sofort zu sprechen kam. "Jeder vertraut hier jedem", erklärte Moritz Fürste. In Weises Überlegungen bedeutet das: Jeder im Team weiß, dass der Adressat eines Passes so viel Initiative besitzt, das Spiel fortzusetzen. Gegen Australien war dies schön zu beobachten, an den Toren und den Strafecken, die aus dem Spielfluss entstanden - und auch am gesamten Spielverlauf.

Die Australier waren bekannt für ihre Bereitschaft, immer weiter zu laufen, sich auf den Gegner zu stürzen und dessen Ideen sozusagen einzuschnüren. Die Deutschen waren anfangs tatsächlich in Bedrängnis, dann zeigten sie aber die nötige Geduld und schnürten das Paket wieder auf. Denn sie hatten als zweiten großen Vorteil eine taktische Antwort auf das australische Pressing. Als Spielaufbau mit "verkapptem Fünfer" bezeichnete Angreifer Christopher Zeller diese Antwort. Dabei öffnen sich Räume für Diagonalpässe. Am Ende hatte sich Weises Team befreit und der Gegner, der fortwährend gelaufen war, keine Kraft mehr, um konzentriert zu verteidigen. Die Deutschen schossen drei Tore innerhalb von zehn Minuten.

Hockey-Trainer sind keine Profis, junge Menschen träumen nicht unbedingt von diesem Job. Dennoch übernahm Weise mit Mitte 20 Jugendmannschaften in Mannheim und kam dann bald zum deutschen Verband. Der Job hatte seinen Reiz. In kaum einer anderen Mannschaftssportart ist es möglich, derartig kreativ zu arbeiten und die Ideen wie im Labor zu testen und einzustudieren. Weise nennt dieses Labor "Oase".

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Kein Argwohn von Profiklubs, kein Quertreiben von Profi-Managern und keine Allüren von Spielern stören die Arbeit. Es ist die Oase der Amateure. Monatelang ist Weise mit seinen Spielern zusammen und entwickelt Taktik, und am Ende befindet sich im Repertoire unter anderem auch der "verkappte Fünfer".

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Das ist die Grundlage, der Rest muss sich aus der Initiative von 16 fliegend wechselnden Hockeyspielern ergeben und manchmal auch durch Einflüsse, die nicht steuerbar sind. Die Schlüsselszene für den Sieg im Halbfinale kam in der 50. Minute, die Deutschen lagen im Rückstand, als sie vermeintlich ausgeglichen hatten, was der Referee aber nach Videobeweis nicht anerkannte.

Die Entscheidung war korrekt, aber die Spieler entwickelten die Ahnung, dass sie dieses Finale nun verdient hatten. Fürste sagte: "Ab diesem Moment glaubten wir da unten, dass alle Fans auf unserer Seite sind."

Markus Weise sagte: "Eine solche Leistung kann man sicher auch toppen, aber es ist nicht mehr viel Platz nach oben." Was er bisher von seiner Mannschaft bei den Spielen gesehen hat, genügt dem 49-Jährigen jedenfalls. Er verspürt Lust auf weitere vier Jahre Arbeit in der Oase. "Ich könnte mir vorstellen, auch bis Rio 2016 weiterzumachen", sagt Weise.

Konkrete Gespräche mit dem Verband werden nach London geführt. Spieler werden danach die Mannschaft verlassen, neue Spieler werden kommen, die Entwicklung eines Teams und von dessen Taktik hört ja nie auf. Die Alten und die Neuen können sich dann auf weitere Angebote und erste Schritte in Weises Erziehungstaktik gefasst machen.

Bei der vergangenen Europameisterschaft hatte er einmal abends, kurz bevor man zu Bett ging, ein Video vom Rugby vorgeführt. Das heißt, eigentlich war es nur eine Sequenz von der Startaufstellung der Neuseeländer, die beim Rugby immer einen Furcht einflößenden Tanz, den Haka, aufführen. Aber auch um den Haka ging es Weise nicht, es ging ihm um diesen willensstarken, "diesen todernsten Blick" des neuseeländischen Kapitäns in dieser Szene. Das, fand Weise, der Hockeytrainer, war ein gutes Bild vor dem Schlafengehen.

© SZ vom 11.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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