Handball bei Hannover-Burgdorf:Alles-Gewinner statt Alles-Verlierer

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Kapitän und bester Werfer: Hannover-Burgdorfs Nationalspieler Kai Häfner jubelt. (Foto: dpa)
  • Der Aufstieg von Hannover-Burgdorf zum Tabellenführer überrascht die Handball-Bundesliga.
  • Sogar gegen Topteams wie Flensburg und Kiel gelingen plötzlich Siege.
  • Die Mannschaft profitiert von der Arbeit des neuen Trainerduos.

Von Carsten Scheele, Hannover

Surreal, dieses Wort fällt gerade häufig bei den Handballern des TSV Hannover-Burgdorf; anders lässt sich die Situation in der Tabelle auch kaum beschreiben. Vier Bundesliga-Spieltage sind absolviert, und Hannover ist tatsächlich Erster, weit dahinter folgen die großen Drei, die Rhein-Neckar Löwen (Sechster), Flensburg-Handewitt (Achter) und der Rekordmeister THW Kiel (Neunter). "Das fühlt sich alles noch sehr surreal an", sagt also Torwart Malte Semisch, denn vor einigen Wochen war die Welt für Hannovers Handballer ziemlich trüb.

Da erhielten sie nur mitleidige Blicke, weil sie gerade einen traurigen Rekord aufgestellt hatten: Nach einer starken Hinserie konnte Hannover in der Rückrunde kein Spiel gewinnen. Inklusive Sommerpause waren es acht Monate und vier Tage ohne jegliches Erfolgserlebnis. Um es kurz zu machen: Nichts lief zusammen, gar nichts.

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Vier Spiele, zwei Niederlagen: Die goldenen Zeiten des Rekordmeisters THW Kiel sind Geschichte. Trainer Alfred Gislason kritisiert das Team, der Unmut über Torwart Andreas Wolff steigt. Und der Manager fordert mehr Einsatz: "Beißen, kämpfen und kratzen".

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"Kein Spieltag lässt sich voraussagen"

Und jetzt das: 8:0 Punkte nach vier Spielen, mit Siegen gegen Flensburg und Kiel, auch Wetzlar und Lübbecke blieben chancenlos. Die Wandlung von den Alles-Verlierern zu den Alles-Gewinnern verwundert auch Geschäftsführer Benjamin Chatton - einerseits. "Die Liga zeigt ein völlig neues Gesicht, kein Spieltag lässt sich voraussagen", sagt Chatton, mit 36 Jahren der jüngste Manager der Liga. Andererseits wurden im Verein bewusste Entscheidungen getroffen, die sich nun auszahlen.

Als nach der schlimmen Rückrunde der Trainer, Jens Bürkle, trotz eines Vertrages bis 2019 gehen musste, blieb Chatton bei der Suche nach einem Nachfolger auf ausgedünntem Markt bei einem spanischen Duo hängen. Antonio Carlos Ortega, 46, der frühere Trainer von Veszprem, ist eines der Gesichter der großen Zeit des FC Barcelona in den 1990er- und 2000er-Jahren: Der Linkshänder gewann zwischen 1996 und 2005 sechsmal die Champions League, wurde Olympia-Dritter. Gemeinsam mit seinem sehr prominenten Assistenten, dem Weltmeister Iker Romero, der 2015 seine Spielerkarriere bei den Füchsen Berlin beendete, kam er im Sommer nach Hannover, was in der Branche auf Verwunderung stieß, waren sie dort doch bislang ohne ganz große Namen ausgekommen.

Die beiden Spanier erfinden den Handball nun nicht gerade neu, ihre Erfahrung und ihre Ideen tun dem Team aber gut. Nach alter spanischer Schule wird in Hannover neuerdings konsequent über den Kreis gespielt, dabei helfen die Zugänge Ilija Brozovic (Kiel) und Jewgeni Pewnow (Gummersbach). Die Abwehr um Defensivchef Sven-Sören Christophersen packt mächtig zu, die Fehler aus dem Spiel heraus wurden im Vergleich zur Vorsaison dramatisch reduziert. Das alles sei "keine Weltneuheit", findet auch Chatton, eher geduldiger Arbeiterhandball, doch offenbar genau das richtige Mittel, um in einer Liga, in der viele Mannschaften nach Stabilität fahnden, den Maßstab zu setzen. "Dass unsere neue Spielidee so früh greift, ist überraschend", sagt er.

Vor allem der Auswärtssieg in Kiel hinterließ einen nachhaltigen Eindruck bei den Spielern. Im 18. Versuch gelang Hannover der erste Erfolg gegen den THW überhaupt - und dann sogar auswärts, was nur sehr wenigen vermeintlichen Mittelklasseteams vergönnt ist. Auch Trainer Ortega hatte als Spieler in Barcelona und als Trainer von Veszprem nie in Kiel gewinnen können, die Stimmung war entsprechend ausgelassen. "Alle hatten ein Lächeln auf den Lippen", erinnert sich Chatton. Auf der Rückreise im Bus wurde nicht nur gelächelt, es gab eine kleine Party, mit Bier und Gesang.

Natürlich wissen alle, dass sich die Momentaufnahme schon am Sonntag im Heimspiel gegen den SC Magdeburg (14.30 Uhr, Sky) relativieren kann. Der nächste deutsche Meister wird wohl nicht Hannover heißen, doch die Richtung scheint vorgegeben zu sein: Die Mannschaft ist aktiv dabei, die grauen Mittelfeldregionen der Bundesliga zu verlassen. Der Verein soll "auf das nächste Niveau" (Chatton) gehoben werden, dazu passt die Verpflichtung eines internationalen Trainerduos ebenso wie der schon seit längerer Zeit geplante, endgültige Umzug aufs Expo-Gelände, wo die Mannschaft mittlerweile fast all ihre Heimspiele in der großen Arena austrägt, die bis zu 10 000 Zuschauer fasst.

Der sportliche Erfolg steckt an, sogar der Altkanzler und Fußballliebhaber Gerhard Schröder war in der jungen Saison schon unter den Zuschauern. Und wer weiß schon, was noch alles geschieht? Wie Nationalspieler Kai Häfner in der Hannoverschen Allgemeinen sagte: "Es passieren gerade sehr viele verrückte Dinge in der Liga, nicht nur bei uns."

© SZ vom 14.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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