Handball:Harter Wind in Kiel

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Vier Spiele, zwei Niederlagen: Die goldenen Zeiten des Rekordmeisters THW Kiel sind Geschichte. Trainer Alfred Gislason kritisiert das Team, der Unmut über Torwart Andreas Wolff steigt. Und der Manager fordert mehr Einsatz: "Beißen, kämpfen und kratzen".

Von Jörg Marwedel, Kiel

Den Ruf, fast unschlagbar zu sein, hatten die Handballer von Rekordmeister THW Kiel spätestens in der vergangenen Saison eingebüßt. Zu sieben Niederlagen in der Bundesliga kamen zwei besonders bittere in der Champions League: Nachbar SG Flensburg-Handewitt schlug die Kieler in ihrer eigenen Arena mit acht Toren Unterschied, und bei Paris St. Germain setzte es die höchste Europacup-Niederlage in der Klubgeschichte (24:42). Nun setzt sich die Entwicklung in der Bundesliga fort. Am Sonntag hat Kiel beim 25:29 gegen MT Melsungen schon zum zweiten Mal in vier Spielen den Kürzeren gezogen, zuvor war das Team vom neuen Tabellenführer Hannover-Burgdorf zu Hause beim 29:31 vorgeführt worden. Und wie es so ist, wenn man höchste Ansprüche nicht mehr erfüllt, wird der interne Ton rauer.

Kiel hat mit neun Millionen Euro immerhin den weitaus größten Etat der Liga. Trainer Alfred Gislason, seit 2008 der alles entscheidende Mann im Klub, hat seine Profis nun angezählt wie nie zuvor. Nicht nur wegen der vielen technischen Fehler. Sondern auch, weil sie die beiden wichtigsten Melsungener Gegenspieler, Julius Kühn und Lasse Mikkelsen (je sechs Tore), nicht in den Griff bekamen. Zudem polterte Gislason vor dem Fernsehmikrofon, er habe "gar keine Torhüterleistung" gesehen. Tatsächlich hatten Niklas Landin und Andreas Wolff nicht einmal halb so viele Bälle gehalten wie Melsungens Keeper Nebojsa Simic, der 17 Angriffe abwehrte.

In Kiel macht schon die Spekulation die Runde, Wolff versuche, mit gezielten Provokationen aus seinem bis 2019 gültigen Vertrag zu kommen. Das Bestreben, den Kontrakt mit ihm zu verlängern, scheiterte jedenfalls. THW-Manager Thorsten Storm sagt zwar, es gebe kein Szenario, wonach Wolff gegen eine sechsstellige Ablöse schon am Saisonende nach Kielce oder Veszprem weiterziehen könnte, aber das Gerücht hält sich. Dort könnte Wolff leicht das Doppelte seiner THW-Gage verdienen, die angeblich bei monatlich 20 000 Euro liegen soll. Als Nachfolger wird schon der frühere HSV-Schlussmann Johannes Bitter gehandelt, derzeit beim TVB Stuttgart.

Doch auch Gislason und Storm weht inzwischen der Wind ins Gesicht. Die Mannschaft ist komplett von dem Isländer zusammengestellt, der sechs Meistertitel und zwei Champions-League-Triumphe mit dem THW feierte. Auch wenn der verletzte Anführer Domagoij Duvnjak noch bis Oktober fehlt, müsste das Team auf einem Spitzenplatz stehen - denn der Kader ist, zumindest von den Namen her, der beste der Liga. Storm stützt den Coach: Man erwarte keine "Zauberdinge", sagte er über die Profis, aber "absolute Bereitschaft". Darunter versteht er, auch mal zu "beißen, kämpfen und kratzen". So könne man die hohen Ziele noch erreichen.

Über Storm, den Manager, wird in Kiel nun allerdings ebenfalls debattiert. Der Nordfriese, der Ende 2014 von den Rhein-Neckar Löwen zum THW zurückkehrte, ist noch immer bei vielen Funktionären und alteingesessenen Sponsoren umstritten. Das hat unter anderem damit zu tun, dass er beim Prozess gegen den einstigen THW-Manager Uwe Schwenker wegen Bestechung der Schiedsrichter beim Champions-League-Finale 2007 gegen Flensburg nicht zu Gunsten des später freigesprochenen Schwenker ausgesagt hatte.

Auch der Boom der Fußballer des Zweitliga-Aufsteigers Holstein Kiel macht ihm zu schaffen. Holstein-Geschäftsführer Wolfgang Schwenke, ein einstiger THW-Handballer, hat ihm so manchen Sponsor weggeschnappt. Die Handball-Hauptstadt Kiel muss fürchten, dass ihr ein Lokalrivale im Fußball erwächst.

© SZ vom 12.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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