Handball-WM in Katar:Zittern vor der letzten Chance

Qatar 2015 M83 CRO vs GER

Michael Kraus (rechts) kommt nicht an Gegner Zlatko Horvat vorbei

(Foto: dpa)

"Wir wollen uns das Turnier nicht kaputt machen lassen": Nach gutem Beginn brechen die deutschen Handballer gegen Kroatien ein. Nun könnten sie am Ende der so vielversprechend begonnenen WM mit leeren Händen dastehen.

Von Joachim Mölter, Doha

Nach mehr als zwei Wochen in Doha haben die deutschen Handballer am Freitag noch einmal etwas Neues gesehen: die Ali Bin Hamad Al Attiya Arena im Stadtteil Al Sadd. Bislang durften sie ja immer in der Lusail Multipurpose Hall spielen, der größten der drei neuen Arenen, die das Wüsten-Emirat Katar für die Handball-WM in den Sand gesetzt hat. Doch die 15 300 Zuschauer fassende Mehrzweckhalle war an diesem Tag belegt von den Halbfinalisten Katar und Polen sowie Frankreich und Spanien.

Für die Platzierungsrunde um die Plätze fünf bis acht wurden die Deutschen, die im Viertelfinale an Katars Weltauswahl gescheitert waren (24:26), ausquartiert in die halb so große Ali Bin Hamad Al Attiya Arena. Und selbst die war noch zu groß.

Ein paar hundert Zuschauer verloren sich in der Halle mit dem vermutlich längsten Namen der WM-Geschichte, das Quietschen der Schuhe war so deutlich zu hören wie in einer Schulturnhalle beim Sportunterricht, als die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) auf Kroatien traf, eine Art Schicksalsgegner: In den Finals der WM 2003 und von Olympia 2004 war eine große deutsche Handball-Generation um Christian Schwarzer, Stefan Kretzschmar und Henning Fritz den Kroaten unterlegen (31:34 bzw. 24:26). Diesmal ging es zwar nur im - ersten von zwei Endspielen - um einen Platz in den drei Olympia- Qualifikationsturnieren im Frühjahr 2016: Doch auch die neue deutsche Handball- Generation verlor, 23:28 (11:13). Nun ist es keine Schande, im Handball gegen Kroatien zu verlieren. Beginnend mit erwähnter WM 2003 hat die Auswahl des kleinen Balkanstaates bei 15 internationalen Turnieren (Olympia, WM und EM) 13 Mal das Halbfinale erreicht - aber außer 2004 in Athen keinen Titel mehr gewonnen. Es war klar, was in der Heimat von Trainer Slavko Goluza und seinem Team bei dieser WM erwartet worden war. Und so enttäuschend das Aus im Viertelfinale für die deutschen Handballer auch gewesen sein mag - für die kroatischen war es sicher frustrierender.

Bundestrainer Dagur Sigurdsson hatte seine im bisherigen Turnierverlauf bewährte Anfangsformation auf zwei Positionen verändert: Für Carsten Lichtlein stand wieder mal Silvio Heinevetter im Tor, und im rechten Rückraum ersetzte Jens Schöngarth den verletzten Steffen Weinhold (Adduktorenzerrung). Schöngarth sorgte gleich für das erste Tor, Heinevetter für die ersten Paraden - der Auftakt war vielversprechend für das DHB-Team, nach knapp zehn Minuten führte es 5:2. Was aber danach passierte, konnte hernach keiner erklären. "Plötzlich reißt der Faden", stellte Michael Kraus fest.

Gescheitert am kroatischen Torwart

Die routinierten und vom aktuellen Welthandballer Domagoj Duvnjak angeführten Kroaten wendeten das Spiel, beim 7:10 (21. Minute) nahm Sigurdsson die erste Auszeit, um seine Akteure zur Besprechung zu bitten. Es änderte sich wenig. "Wir hatten eigentlich eine sehr gute Abwehr mit einem guten Heinevetter dahinter", resümierte Rechtsaußen Patrick Groetzki, "aber wir sind im Angriff viel zu oft an Alilovic gescheitert", dem kroatischen Torwart. Schon gegen Katar war dem DHB-Team die schlechte Chancenverwertung zum Verhängnis geworden; wie im Viertelfinale kamen Abspielfehler und Ballverluste hinzu. "Wir haben insgesamt zu viele Fehler gemacht", sagte der sechsfache Torschütze Schöngarth: "Man muss selber Gegenstöße laufen, nicht den Gegner dazu einladen." Nach 40 Minuten versuchte Trainer Sigurdsson noch einmal mit viel Risiko, das Spiel zu wenden: Bei eigenen Angriffen wechselte er Torwart Heinevetter für einen zusätzlichen Feldspieler aus. Als auch das nicht klappte, gab er die Partie verloren und schonte seine wichtigsten Akteure für das letzte WM-Spiel, darunter Kapitän Uwe Gensheimer (sechs Tore) und den jungen Paul Drux, 19. "Bei ihm war heute der Tank leer", sagte Sigurdsson, "wenn er und Weinhold ausfallen, fehlt uns die Achse im Rückraum." Vor dem Spiel um Platz sieben an diesem Samstag (14.30 Uhr/Sky) gegen Slowenien, das 33:36 gegen Dänemark verlor, forderte Sigurdsson von seinen müden Männern: "Wir müssen alles investieren, was wir noch haben." Nur der Sieger hat einen Platz sicher in den Ausscheidungsturnieren für Rio; der Verlierer muss auf günstige Umstände hoffen. So werden bei der EM 2016 in Polen noch zwei Plätze vergeben an Nationen, die sich in Doha keinen gesichert haben. Und falls Katar sich nicht als Welt-, sondern nur als Asienmeister für Olympia 2016 qualifiziert, würde auch der achte Platz bei dieser WM noch reichen. Handball-Weltmeister Katar? Ja, das Szenario wird immer wahrscheinlicher: Die in der ganzen Welt zusammengekaufte und eingebürgerte Mannschaft des spanischen Weltmeistertrainers Valero Rivera besiegte im Halbfinale Polen 31:29 (16:13) und kann damit als erstes nicht-europäisches Team im Finale am Sonntag (17.15 Uhr/Sky) gegen Olympiasieger Frankreich tatsächlich WM-Gold holen. Der viermalige Weltmeister Frankreich bezwang am Freitagabend in der Vorschlussrunde Titelverteidiger Spanien 26:22 (18:14). Aber vom Ausgang dieses Finales wollen sich die deutschen Handballer nicht abhängig machen. "Wir wollen uns das Turnier nicht kaputt machen und mit drei Niederlagen nacheinander aus der WM gehen", sagte Kapitän Gensheimer. Es würde den guten Eindruck zunichtemachen, den die DHB-Auswahl als Gruppenerster in der Vorrunde hinterlassen hat.

Am Samstag dürfen die deutschen Handballer übrigens noch einmal zurück in die Lusail Multipurpose Arena, dorthin, wo sie so gut angefangen haben bei dieser Weltmeisterschaft.

Bald live für alle

Die deutschen Handballer stehen vor einer Rückkehr ins Free-TV. Nach dem Ärger um Übertragungen von der WM in Katar wollen sich die Öffentlich-Rechtlichen um die Live-Rechte der kommenden Großereignisse bemühen. Dies bestätigte ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz. Voraussetzung sei jeweils die Teilnahme der deutschen Mannschaft. Von den Spielen bei der WM in Katar hatte es keine Live-Übertragung im Free-TV gegeben. Der Rechteinhaber beIN hatte das Angebot von ARD und ZDF abgelehnt, weil er mit der Verbreitung der Übertragungsbilder über Satellit nicht einverstanden war. Die beherzten Auftritte der deutschen Handballer waren in Deutschland nur beim Pay-TV-Sender Sky zu sehen. Während beim deutschen WM-Viertelfinale 2013 bis zu zehn Millionen Zuschauer eingeschaltet hatten, sahen am Mittwoch inKatar lediglich knapp 700 000 Fans zu. sid

Croatia v Germany Placement Round  - 24th Men's Handball World Championship

Kroatiens Angriffen (im Bild: Ivan Sliskovic) konnten die deutschen Handballer (l.: Jens Schoengarth; r.: Johannes Sellin) wenig entgegensetzen.

(Foto: Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images)
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