Handball-EM:Verloren? Ach nee, doch nicht

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Tobias Reichmann (2.v.l.): Torschütze zum 25:25. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Die deutschen Handballer liegen gegen Slowenien lange zurück, nach dem Schlusspfiff steht es 24:25.
  • Doch die Deutschen protestieren beim Schiedsrichter und bekommen nachträglich einen Siebenmeter zugesprochen, den Tobias Reichmann zum 25:25 verwandelt.
  • Damit steht das Prokop-Team bereits in der Hauptrunde der EM.

Von Ralf Tögel, Zagreb

Diese Art des Charaktertests hätten sich die deutschen Handballer sicher gerne erspart, Torwart Silvio Heinevetter sprach von einem "dreckigen Punkt", den der Titelverteidiger im zweiten Spiel der EM-Gruppe C gegen die Slowenen erst nach der regulären Spielzeit sicherstellte. Blaz Janc hatte wenige Sekunden vor dem Abpfiff für Slowenien zum 25:24 getroffen, die Deutschen setzten zum finalen Versuch an, doch die Slowenen verhinderten diesen, in dem sie den Abstand beim Anwurf nicht einhielten. Die Regel sanktioniert derlei mit einer roten Karte - und einem Siebenmeter, sofern das Vergehen in den letzten 30 Sekunden geschieht.

Auf einem Monitor am Spielfeldrand schaute sich das litauische Schiedsrichtergespann die Szene mehrfach an, es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, dann entschied es auf Siebenmeter. Tobias Reichmann traf nervenstark zum glücklichen 25:25-Ausgleich, damit hat die DHB-Auswahl die Zwischenrunde in Varazdin vorzeitig erreicht. Allerdings legten die Slowenen am Abend noch Protest gegen die Spielwertung ein (der am Dienstag später abgewiesen wurde).

Es war das passende Finale einer nervenaufreibenden Partie, in der im Gegensatz zum lockeren 32:19-Auftaktsieg gegen Montenegro alle Prognosen eintrafen. Sloweniens Trainer Veselin Vujovic hatte seiner Abwehr eine enorm aggressive Gangart verordnet, eine Marschroute, mit der die deutsche Auswahl zunächst nicht zurecht kam. Jeder Angriff wurde mit viel Einsatz unterbunden, die frenetischen Zuschauer waren sofort zur Stelle. "Wir haben dieses Mal nicht umgesetzt, was wir uns vorgenommen haben", erklärte Bundestrainer Christian Prokop, seine Spieler hätten sich "von der Beweglichkeit und Härte der gegnerischen Abwehr beeindrucken lassen". Sloweniens Torhüter Urban Lesjak tat ein Übriges, zweimal parierte er gar gegen den ansonsten so nervenstarken Uwe Gensheimer bei Siebenmetern. "Wir haben zu Beginn viele gute Chancen ausgelassen", konstatierte der Kapitän, "dann sind wir in Rückstand geraten und haben unter Stress hektisch reagiert."

Die Slowenen dagegen hatten in dieser Disziplin kaum Probleme, angeführt vom wieselflinken Spielmacher Miha Zarabec zogen sie auf 7:3 davon. "Wir haben in dieser Phase zu behäbig und lasch verteidigt", kritisierte der Bundestrainer, "Zarabec hat uns schwindelig gespielt." Wenn der 1,77 Meter kleine Kieler Spielmacher nicht selbst durchbrach, setzte er den baumlangen Halblinken Borut Mackovsek in Szene oder fand den nicht weniger großen Kreisläufer Blaz Blagotinsek. Den hatte Trainer Vujovic für die EM vom Rückraumspieler zum Kreisläufer umfunktioniert, nicht seine schlechteste Idee. Prokop ging früh in die Rotation; doch egal wen er aufs Feld schickte, eine Besserung stellte sich nicht ein. "Wir mussten schauen, dass der Abstand nicht zu groß wird", beschrieb der deutsche Coach die letzten Minuten des ersten Durchgangs. Immerhin gelang Steffen Weinhold kurz vor der Pause der Anschluss zum 10:15.

"Wir haben es dem Gegner zu leicht gemacht", fand Paul Drux, immer wieder standen die Abwehrspieler in Eins-gegen-Eins-Situationen gegen die unheimlich quirligen slowenischen Angreifer alleine, es kam keine Hilfe vom Nebenmann; so fand neben Zarabec auch der ähnlich schnelle Magdeburger Spielgestalter Marko Bezjak immer wieder Lücken. Torhüter Andreas Wolff, gegen Montenegro noch der große Rückhalt, sah sich so immer wieder freien Werfern gegenüber, er machte entnervt Silvio Heinevetter Platz.

Doch Prokop konnte die Seinen in der Pause neu justieren, "wir sind dann mit mehr Entschlossenheit in die Zweikämpfe gegangen", sah der Trainer, die Reihen wurden im wahrsten Wortsinne geschlossen, das Aushelfen im Defensivverbund deutlich verbessert. Fortan fanden die Slowenen kaum mehr Lücken, zudem nahm ihnen Heinevetter mit seinen Paraden viele gute Möglichkeiten. Auch im Angriff lief es wieder wie geplant, vor allem die schnellen Außen Gensheimer, mit sieben Treffern erneut bester Werfer des Teams, sowie Reichmann und Patrick Groetzki (je vier) brachten den Titelverteidiger zurück.

Der Kapitän höchstselbst traf mit dem 19:19 zum Ausgleich (47.), fortan war es ein intensiver und offener Schlagabtausch. "Wir können stolz darauf sein, in dieser Atmosphäre den Rückstand aufgeholt zu haben", sagte Prokop, die zweite Halbzeit sei das, was die Mannschaft im Gedächtnis behalten solle. Auch brachte das Spiel die Erkenntnis, dass Prokop ein starkes Torhüter-Duo hat, sowie zwei nervenstarke Siebenmeterschützen. Am Mittwoch steht nun gegen Mazedonien (18.15 Uhr/ARD) das dritte Gruppenspiel an; "wir haben gezeigt, dass man mit Kampf bestehen kann", so Prokop. Der Punkt ist einer für die Zwischenrunde - und einer für die Moral.

Heinevetter merkte noch an, dass man lieber deren zwei geholt hätte, klar, aber vorerst sei dieser eine ganz in Ordnung. Und ist er noch so dreckig.

© SZ vom 16.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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