Granit Xhaka:"Mich macht keiner kaputt"

Lesezeit: 8 min

"Lernen muss ich, dass ich mich nicht mehr so schnell provozieren lassen darf": Arsenal-Profi Granit Xhaka. (Foto: dpa)

Granit Xhaka verteidigt im Interview seinen Spielstil, spricht über die Kritik an Arsenal-Trainer Wenger - und erzählt, warum ihn am Londoner Flughafen die Polizei verhörte.

Von Peter M. Birrer und Thomas Schifferle

Im Sommer ist Granit Xhaka von Borussia Mönchengladbach zum FC Arsenal gewechselt, und auch in der Premier League hat er weiter an seinem Ruf gearbeitet. Xhaka, 24, gilt als Spieler mit guter Übersicht, starkem Passspiel und viel Wucht - aber halt auch als jemand, der gern mal ein bisschen zu hart in die Zweikämpfe geht, davon zeugen zwei Rote Karten in der aktuellen Saison. Vor dem Länderspiel mit der Schweiz gegen Lettland an diesem Samstag (18 Uhr) verteidigt er sich gegen Kritik an seinem Spielstil - und berichtet, wie er sich in England eingelebt hat.

Granit Xhaka, sind Sie froh, in der Schweiz zu sein?

Sehr. Ich bin immer froh, zur Nationalmannschaft zu reisen, und nach vier ­Monaten ohne Länderspiel ist es noch etwas Spezieller: Man sieht die Mit­spieler wieder einmal, den Trainer, die Leute vom Staff. Es wird viel erzählt, man fragt selber viel und will wissen, wie es den Kollegen geht.

Wir haben gefragt, weil Sie mit Arsenal gerade eine schwierige Phase durchmachen: vier Nieder­lagen in den letzten fünf Meisterschaftsspielen, Trainer Arsène Wenger schwer in der Kritik ...

Stimmt alles. Aber dass ich deswegen lieber in die Schweiz geflogen bin? Nein. Nehmen wir unser Spiel gegen West Bromwich Albion: Diese Niederlage ( 1:3 am vergangenen Samstag, die Red.) war hart. Wir waren die bessere Mannschaft, erhielten aber zwei Gegentore nach ­Cornern, und das reichte schon.

Bei BBC aber legte Altmeister Alan Shearer los. "Kein Hunger, ein total verstörender Auftritt", warf er Arsenal vor.

Was ist das für eine Analyse von diesen Experten? Was soll ich dazu sagen? Die sehen nicht, was bei uns abläuft, tut mir leid ... Ich verzichte lieber auf einen ­weiteren Kommentar. Machen wir es kurz: Wir verlieren derzeit Spiele, die wir nicht verlieren dürften. Gegen ­Bayern war es dasselbe in unserem ­Stadion. 60 Minuten lang waren wir klar besser, besaßen Chance um Chance. Aber dann kam der Elfmeter, der Platzverweis, und dann wurde es eben schwierig. Gegen Bayern hat man schon bei elf gegen elf seine Probleme.

Und am Schluss heißt es wie im Hinspiel: 1:5.

Genau, und die 60 guten Minuten ­werden vergessen.

Wie nehmen Sie die heftige Unruhe wahr, die seit Wochen um Ihren Trainer herrscht?

Es wird schon sehr viel geschrieben, gerade auch in den sozialen Medien, das geht nicht spurlos an einem vorbei. Wenn ein Spieler sagt, ihm sei alles egal, was rundherum passiere, hat er keine Gefühle. Es tut mir weh für den Trainer, weil mir bewusst ist: Es liegt am Ende an uns Spielern, was wir auf dem Platz bieten. Um aus diesem Tief zu finden, braucht es noch mehr kämpferische Qualitäten.

Sind Sie überzeugt, dass Wenger Trainer bleibt?

Ja.

Wieso? Ist es die Liebe zum Fußball?

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Das kann ich nicht beantworten. Ich weiß nur, dass er ein überragender Trainer ist, ein überragender Typ, enorm ­offen und direkt. Es ist leider so, dass im Fußball stets nur der Ist-Zustand betrachtet und dafür vergessen wird, was gestern war, in den vergangenen Jahren. Die Leute fordern, dass Arsenal einen ­Titel holt, vor allem die Meisterschaft. Aber sie vergessen, dass bei uns ein paar neue Spieler integriert werden mussten - und dass es kein Trainer schafft, mit vielen Neuen gleich auf Anhieb Meister zu werden.

Sind für Sie die Kritiken überzogen?

Die Erwartungen sind hoch, also wissen wir: Wenn wir sie nicht erfüllen, gibt es Kritik. Und wir haben ja selbst hohe ­Ansprüche. Wir geben uns mit dem 4., 3. oder 2. Platz auch nicht zufrieden.

In Mönchengladbach lief alles noch ruhiger ab.

Da war als Ziel nie definiert, Meister werden oder jedes Jahr die Champions League erreichen zu wollen.

Aber Sie haben das doch gesucht: einen Club mit höchsten Ambi­tionen. Belastet Sie die Situation?

Nein. Ich kann damit umgehen.

Und was löst die mediale Kritik bei Ihnen aus, der Sie selbst in London ausgesetzt sind?

Immer diese Experten ... Jeder kann sich äußern, und wenn ich eine Rote Karte erhalte, darf einer einfach behaupten, ich sei ein dreckiger Spieler, ich trete dort nach, dies und jenes ...

... das hat der ehemalige Liverpooler Danny Murphy über Sie gesagt ...

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... ich hasse es, wenn mich Leute be­ur­teilen, die mich gar nicht kennen.

Wenn Sie über sich lesen müssen, ein rücksichtsloser, gar hirnloser Spieler zu sein, geht das doch kaum links rein und rechts wieder raus.

Doch! Ich bekomme das schon mit. Aber wenn all diese Vorwürfe stimmen ­würden, wäre ich nicht bei Arsenal. Das geht nicht auf für mich.

Was könnte die Motivation der Kritiker sein?

Keine Ahnung. Ich weiß nur: Mich macht keiner kaputt. Da können sie schreiben und reden, was sie wollen. Ich kenne meine Qualitäten, und der Boss ( Wenger) kennt sie, sonst wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Ich glaube, dass ich bei den Schiedsrichtern ein schlechtes Bild habe. Ich habe in dieser Saison zwei Rote Karten gesehen, okay. Aber wenn ich das mit der Aktion von Zlatan Ibra­himovic vergleiche, der für einen Ell­bogenschlag ( gegen Mings von Bournemouth) nicht einmal Gelb gesehen hat, dann habe ich meine liebe Mühe damit.

Glauben Sie, dass die Schiedsrichter auf Sie ganz besonders schauen?

Ich werde dieses Gefühl nicht los - so oft, wie ich für das erste Foul gleich mit Gelb bestraft worden bin.

Gehen Sie deshalb vorsichtiger in die Zweikämpfe?

Gar nicht. Wenn es passiert, dann passiert es. Ich gehe dort in den Zweikampf, wo es nötig ist. Den Fuß zurückziehen, das gibt es nicht.

Was rät Ihnen Wenger?

Dass ich auf den Beinen bleiben soll.

Er hat auch gesagt, dass Grätschen nicht Ihre Stärke sei.

Das habe ich gelesen. Aber sorry, das heißt nicht, dass er das wirklich so gesagt hat.

Der Schweizer Nationaltrainer Vladimir Petkovic ist der gleichen Meinung wie Wenger. Er meint, Sie müssten das noch lernen.

Sagen wir es so: Ich bin eher nicht der Spieler, der zehnmal pro Match ­grätschen muss.

Angeblich wird nirgends härter gespielt als in der Premier League...

... ja merci! ( lacht laut)

Zu Ihrer Gladbacher Zeit sagten Sie nach einem Platzverweis gegen Sevilla, Sie hätten zu wenig überlegt. Und Sie müssten noch lernen, cleverer zu sein. Ist der Prozess noch nicht abgeschlossen?

Gegen Sevilla waren es zwei Gelbe ­Karten, und da muss ich selber zugeben: Das war einfach dumm von mir. Lernen muss ich, dass ich mich nicht mehr so schnell provozieren lassen darf. Und bis heute ist das, was gegen Sevilla geschah, auch nicht wieder vorgekommen, von daher bin ich auf einem guten Weg.

Abgesehen von den Platzverweisen befinden Sie sich bei Arsenal in einer komfortablen Situation - Sie sind unumstrittener Stammspieler.

Nach sieben Monaten in London ist zwar immer noch sehr vieles neu für mich, trotzdem bin ich viel schneller angekommen als damals bei Mönchen­gladbach. Die ersten sechs Monate in Deutschland und die ersten sechs bei ­Arsenal - das sind zwei Welten. Bei Gladbach benötigte ich wesentlich mehr Zeit, um mich einzugewöhnen.

Staunen Sie manchmal selber über sich? Sie kehren nach einer Sperre sofort in die Mannschaft zurück.

Ich hätte nicht gedacht, dass ich im Champions-League-Achtelfinal in München gegen die Bayern von Anfang an eingesetzt werde. Für mich war es aber ein deutliches Signal, das mir richtig gut tat. Es ging bis jetzt einfach sehr vieles auf für mich, sicher auch, weil ich von Verletzungen verschont geblieben bin.

Sie bringen es in einzelnen Spielen auf 100, 120 Ballkontakte. Was sagt Ihnen das?

Das ist mein Stil. Wenn ich den Ball nicht am Fuß habe, wird es schwierig für mich. Ich brauche den Ball.

War es keine Umstellung vom deutschen auf den englischen Fußball?

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Doch, auf jeden Fall. Anfänglich spürte ich manchmal den Oberschenkel, weil der Fußball in physischer Hinsicht intensiver ist als in Deutschland, ein komplett anderer Fußball. Mir gefällt das. Ich bin froh, den Schritt gemacht zu haben.

Vermissen Sie die Bundesliga nicht?

Doch, doch. Aber es ist nicht so, dass ich morgen zurück möchte. Vielleicht übermorgen. ( schmunzelt)

Als Sie Gladbach verließen und der Club zu Beginn der Saison in Schwierigkeiten geriet, hieß es schnell: Xhaka fehlt halt. Was ist Ihnen solche Anerkennung wert?

Viel. Im ersten Halbjahr wurde ich dort von allen verflucht. Und dann kam bis zum Ende meines vierten Jahres bei Gladbach doch alles anders heraus als anfänglich befürchtet. Ich darf sagen, sehr vieles richtig gemacht zu haben.

Wie ist das Leben bei Arsenal?

Bei Gladbach ging ich nach dem Training oft mit ein paar Teamkollegen essen, bei Arsenal wird meist am Morgen trainiert - danach geht jeder seinen Weg.

Fehlt Ihnen dieses Soziale nach dem Training?

Manchmal schon, wenn man das vier Jahre lang gekannt hat. Aber ich bin ja nicht allein in London, meine Verlobte ist bei mir. Von daher ist es schon okay.

Wer ist der Chef im Team? Mer­tesacker? Koscielny, Özil, Sanchez?

Ich kann mich nicht auf einen festlegen.

Haben Sie selbst Ambitionen, in der Hierarchie ganz nach oben aufzusteigen?

Ziele habe ich schon. Aber ich will den Fehler nicht noch einmal machen, den ich in Gladbach begangen habe.

Welchen?

Den Mund unnötig aufmachen. Als ich nach Gladbach kam, war ich 19 und hatte eine große Klappe. Sagte allen ­alles über meine Ziele. Heute überlege ich zuerst, wäge ab. Und ich beobachte viel und schaue von Spielern wie eben Mertesacker oder Koscielny ab, die 500 Spiele in den Beinen haben.

Wie muss man sich Ihr Leben in London vorstellen?

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Ganz ruhig, ganz cool. Ich genieße es, da zu leben. Manchmal gehen wir in die Stadt, manchmal bleiben wir daheim.

Und manchmal gehen Sie auf den Flughafen ...

... ja, und dort auf die Polizeiwache ... Ich weiß schon, worauf Sie hinauswollen. So etwas habe ich noch nie erlebt.

Als Sie im Januar den Bruder Ihrer Verlobten nach Heathrow brachten, kam es zu einer Auseinandersetzung mit einer Flughafenangestellten - und Sie wurden angeblich abgeführt. Was lief genau ab?

Das kann ich gern erzählen, das habe ich ja schon bei der Polizei gemacht. Der Schwager checkte ein, gab den Koffer ab, wir waren früh genug dran. Ich sagte ihm: "Lass uns einen Kaffee trinken. Wir haben genügend Zeit." Okay. Als er dann den Sicherheitscheck hinter sich bringen wollte, ging das plötzlich nicht. 30 Minuten vor Abflug war das. Wir waren verdutzt. Einer der Sicherheitsleute, der fünf Minuten zuvor noch ein Foto mit mir gemacht hatte, behauptete, der Schwager habe nicht eingecheckt. Wir fragten: "Wieso kann er nicht fliegen? Er muss morgen wieder arbeiten. Wir fragten bei British Airways: Was ist das Problem?" Die Frau sagte: "Ihr habt das Check-in noch nicht gemacht. Und jetzt seid ihr zwei, drei Minuten zu spät." Wir trauten unseren Ohren nicht, suchten auf die Schnelle einen neuen Flug nach Nordrhein-Westfalen, fanden aber keinen, kehrten zum British-Airways-Schalter zurück und forderten die Frau auf, uns wenigstens den aufgegebenen Koffer herauszugeben.

Und?

Sie sagte: "Da vorne links." Und drehte sich ab. Ich fing mit meiner Verlobten und dem Schwager an, auf Albanisch zu reden, und schon tauchten vier ­Poli­zisten auf, alle schön bewaffnet, und fragten: "Was ist passiert?" Ich ­erwiderte: "Keine Ahnung." Darauf die ­Polizisten: "Du hast angeblich 'weißer Hund' zur Frau gesagt."

Weißer Hund? Was soll das denn?

Ja. Völlig absurd so etwas. Dann hieß es, ich soll mit ihnen kommen. Danach verbrachte ich viereinhalb Stunden bis nachts um 1 Uhr auf der Polizeiwache: Befragungen aller Beteiligten, Über­prüfung der Papiere und so weiter. Es war das erste Mal überhaupt, dass ich richtig baff war. Ich dachte: Das gibt es doch nicht. Und fragte meine Verlobte und meinen Schwager: "Wo ist die versteckte Kamera?" So kam mir das vor. Beim Verhör kam die Behauptung auf den Tisch, ich hätte die Angestellte als "weiße Schlampe" beschimpft, nicht mehr als "weißen Hund". Da konnte doch etwas nicht stimmen. Ich ging davon aus, dass diese Geschichte unter Verschluss ­bleiben würde. Aber am anderen Tag, bumm!, sah das anders aus: Schlagzeilen von England bis nach Spanien, und das Ganze zog sich über Tage hin. Mir wurde sogar Rassismus vorgeworfen.

Hat Wenger Ihnen einen Vorwurf gemacht?

Nein. Ich erzählte ihm die Geschichte so, wie sie war. Er lachte nur. Er sagte: "Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Du hast den Schutz des Vereins." Er kennt das wahrscheinlich auch.

Und er hat recht behalten.

Ja. Die Polizei sagte schon am nächsten Tag, dass an der Anzeige überhaupt nichts dran und ich völlig unschuldig sei.

Jetzt haben wir noch eine Frage.

Welche?

Die schwierigste. Das Spiel gegen Lettland. Da kommt nur eines ­infrage, oder?

Gewinnen! Bis jetzt ist es perfekt ­gelaufen. Ich traue uns zu, dass es so bis am Schluss weiterlaufen wird. Deshalb müssen wir Lettland schlagen. Und wie müssen wir den Gegner schlagen? ­Vielleicht kommt es am Ende aufs Tor­verhältnis an. Also müssen wir ihn von Anfang unter Druck setzen ...

... und höher als 1:0 gewinnen.

Wenn immer möglich, ja.

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Das Interview erschien zuerst im Tages-Anzeiger vom 23. März 2017.

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