Gewalt im Leipziger Fußball:Türöffner für Neonazis

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Seit Jahren schüren Rechtsextremisten auf den Fußballplätzen im Leipziger Umland ein Klima der Angst - auch deshalb, weil Behörden und Vereine das Problem offenbar unterschätzen.

Christoph Ruf

Bezirksligaspiele sind eigentlich beschauliche Veranstaltungen. Ältere Herren beobachten ihre Schwiegersöhne beim Kicken, nach dem Spiel wartet auf die Spieler oft das gemeinsame Bier in der Vereinsgastsstätte. Doch in Leipzig und Umgebung kann man von solch idyllischen Zuständen nur träumen. Wenn der "Rote Stern Leipzig" (RSL), ein aus dem alternativen Stadtteil Connewitz stammender Klub, seine Auswärtsspiele bestreitet, ruft das die lokale rechte Szene auf den Plan: "Zehn bis 15 Neonazis waren bislang bei so gut wie allen unseren Auswärtsspielen im Umland", berichtet ein Fan, der seine Mannschaft auch am Samstag in ein etwa 20 Kilometer östlich von Leipzig gelegenes Städtchen begleitete.

Nur eine Woche nach einer Demonstration von Rechtsextremisten in Leipzig, war dieses Mal das nahegelegene Brandis Schauplatz eines Polizeieinsatzes. (Foto: Foto: dpa)

Das Spiel beim FSV Brandis war noch keine zwei Minuten angepfiffen, als 60 Neonazis durch einen Seiteneingang ins Stadion stürmten und die etwa 150 Gästefans angriffen. Binnen kurzem tobte auf dem Spielfeld eine Schlägerei, bei der Flaschen, Eisenstangen und Holzlatten zum Einsatz kamen. Auch Spieler und Offizielle wurden angegriffen, drei RSL-Fans wurden schwer verletzt. Der Schiedsrichter hatte das Spiel zu diesem Zeitpunkt längst abgebrochen.

Als nach gut einer Viertelstunde weitere Polizeikräfte anrückten, waren die Neonazis nach Angaben der RSL-Fans bereits in die Flucht geschlagen. Das gelang auch deshalb, weil zum Spiel in Brandis weit mehr Fans als üblich angereist waren. In der linken Szene Leipzigs kursierten bereits Wochen zuvor Hinweise auf einen drohenden Angriff der Rechten an diesem Tag. "Komisch", so ein RSL-Fan, "ausgerechnet dort, wo die Buschtrommeln unüberhörbar getrommelt haben, waren so gut wie keine Beamten da". Michael Hille von der Polizeidirektion Westsachsen sagt, es habe keine konkreten Hinweise gegeben: "Selbstverständlich reagieren wir, wenn es Hinweise auf geplante Straftaten gibt."

Strategischer Überfall

Offenbar hatte man auch beim ausrichtenden Verein schon vor Anpfiff geahnt, dass das Spiel gestört werden würde. Nach Angaben der RSL-Fans sei man per Stadionlautsprecher aufgefordert worden, eine Geradenseite zu räumen, weil "die Dummen noch kommen". Dass die dann tatsächlich kamen, lag auch an der Mithilfe eines Ordners, der den außerhalb wartenden Neonazis einen separaten Eingang geöffnet hat, wie FSV-Verantwortliche einräumen. Dass es sich bei dem Mann selbst um einen Rechtsextremen handelt, war dem FSV nach Informationen der Leipziger Volkszeitung bekannt. Beim Verein hatte man offenbar geglaubt, der Mann würde seine Pflichten als Ordner ernster nehmen als seine politischen Loyalitätszwänge. Wes Geistes Kind die Angreifer waren, ist unstrittig, auch die Polizei spricht in einer Pressemitteilung von "Personen aus dem rechten Spektrum".

Beim "Roten Stern" konkretisiert man: "Das war eine Mischung aus rechten Hools und einschlägig bekannten Neonazis aus dem Muldentalkreis." Die Gegend um die Kleinstadt Wurzen gilt als Hochburg der Rechtsextremen. Die Szene versucht seit Jahren, im Leipziger Umland ein Klima der Angst zu schüren, in dem politisch Andersdenkende sich nicht mehr getrauen, dem Hegemonialstreben der Rechten etwas entgegenzusetzen. Fachpolitiker von Linkspartei und Grünen gehen auch deshalb von einem strategisch geplanten Überfall aus.

Die Angegriffenen haben Anzeige erstattet - gegen unbekannt. Sobald klar sei, dass ein neues Zeugenschutzprogramm ihre Anonymität gewährleiste, wollen sie auch Namen nennen. In Leipzig ist es immer wieder zu Racheakten (sogenannten Hausbesuchen) durch rechte Fußballfans gekommen, wenn Personen aus dem linken Spektrum gegen sie ausgesagt haben.

Die drei schwerverletzten RSL-Fans haben offenbar Glück im Unglück gehabt. Noch am Sonntag hatte es so ausgesehen, als könne ein reglos am Boden liegen gebliebener Fan für immer erblindet sein. Den Ärzten gelang es jedoch, nachdem sein Jochbeinbruch abgeschwollen war, sein Augenlicht zu retten.

© SZ vom 28.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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