Fußball-WM: Argentinien:"Nicht eine der fairsten Mannschaften"

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Bastian Schweinsteiger teilt gewaltig aus gegen die Argentinier: Hat er eine vier Jahre alte Riesenwut - oder versucht er, den Gegner zu reizen wie der Torero den Stier?

Philipp Selldorf

Es gab heikle Fragen an Bastian Schweinsteiger im DFB-Pressezentrum am Mannschaftshotel, und die ganze Welt hörte zu: Der keineswegs kleine Saal war so voll wie ein Bierzelt auf dem Oktoberfest, Zeugen aus der ganzen Welt hatten sich aufgemacht zu den Deutschen ins trockene Hinterland von Pretoria, selbst Engländer nahmen den Büßerweg auf sich. Schweinsteiger stand im Mittelpunkt der Vernehmung und sollte zum Beispiel verraten, was ihm wichtiger wäre am Spieltag: ein Handschlag mit der Bundeskanzlerin, die beim Viertelfinale gegen Argentinien in Kapstadt auf der Tribüne sitzen wird, oder ein Küsschen von der Freundin, und der neue deutsche Mittelfeldchef gab souverän keine Antwort, indem er erwiderte, "dass die Antwort doch auf der Hand liegt", und es nach dem Spiel ohnehin genug Küsschen gebe.

Vor vier Jahren kam es nach dem Spiel zwischen Deutschland und Argentinien zu einem Handgemenge - Bastian Schweinsteiger war mittendrin. (Foto: ag.ddp)

In anderen Dingen hat Bastian Schweinsteiger hingegen viel mehr Auskunft erteilt, als das irgendjemand in diesem Raum erwartet hatte, und es stellt sich die Frage, ob seine Informationspolitik so unbedingt sinnvoll war. Es ging um die WM-Begegnung mit Argentinien vor vier Jahren, die nach dem von den Deutschen gewonnenen Elfmeterschießen in eine umfassende Keilerei mündete. Diese Keilerei hatte aber nicht die raue Qualität einer Wirtshausprügelei, es war bloß ein großes Handgemenge, jeder schubste und haute seinen Nächsten, ohne so recht zu wissen warum. Verletzte gab es keine, dennoch nahm die Sache ein ziemlich schlechtes Ende: Torsten Frings wurde wegen eines Faustschlags gegen Stürmer Julio Cruz von der Fifa gesperrt, obwohl ihn sein angebliches Opfer entlastet hatte. Er habe keinen Schlag gespürt, gab der Argentinier an, das Fifa-Sportgericht empfand es anders.

Vier lange Jahre sind seitdem vergangen, eine historische Revision erübrigt sich eigentlich, es sei denn, man fasst das damalige Treiben folkloristisch zusammen, wie es Jens Lehmann am Mittwoch daheim in München getan hat, als er den Auftritt der Argentinier in Erinnerung rief: "Sie kamen singend und tanzend aus dem Bus gestiegen und sind tretend und schlagend vom Platz gegangen." Aber Bastian Schweinsteiger sieht den Fall anders, ernster. Zielsicher lenkte er die Rede auf den Zwischenfall. Natürlich denke er auch noch an das erfolgreiche Elfmeterschießen, sagte er, "aber mehr denke ich an das, was nach dem Spiel passiert ist: diese Handgreiflichkeiten - das steckt noch sehr in den Köpfen drin."

Die nächsten Fragen ergaben sich nach diesem Denkanstoß von selbst, und Schweinsteiger blieb keine Antwort schuldig. Er mahnte an, die Mitspieler dürften sich nicht "anstecken lassen von den Provokationen" des Gegners, er sprach über rüde argentinische Fans, die angeblich anderen Fans im Stadion die Plätze wegnehmen ("das zeigt ein bisschen ihren Charakter und ihre Mentalität"), und am Ende unterstellte er dem nächsten deutschen WM-Widersacher kollektiv schlechte Manieren: "Es geht schon vor dem Spiel los, wie sie gestikulieren und versuchen, den Schiedsrichter zu beeinflussen. Das ist für mich respektlos, aber die Argentinier sind so. Darauf muss man sich einstellen."

Diese Sätze werden Diego Maradona und seinen Leuten nicht verborgen bleiben, selbstredend waren auch argentinische Reporter im Saal, und es stellt sich schon die Frage, wer hier wen zu provozieren versucht. Aber Schweinsteiger hat seine Meinung nicht aus einer spontanen Eingebung geäußert, er hat sie während der Woche in ziemlich ähnlicher Form bereits dem Magazin Stern zu Protokoll gegeben.

Einige Argentinier seien ihm gegenüber handgreiflich geworden, klagte er und leitete von der WM 2006 in die Gegenwart über: "Argentinien ist sicher nicht eine der fairsten Mannschaften." Entweder hat er also tatsächlich noch eine vier Jahre alte Riesenwut oder er versucht den Gegner zu reizen wie der Torero mit seinem roten Tuch den Stier. Vielleicht meint er auch, die Sinne des - von der Fifa noch nicht benannten - Schiedsrichters schärfen zu müssen. Aber vielleicht ist es ganz einfach auch eine schlechte Idee gewesen, die Partie so anzuheizen.

Sportlich hat der Münchner Profi den Argentiniern immerhin nichts vorzuwerfen. Den glatzköpfigen Mittelfeldlenker Juan Sebastian Veròn, den Maradona aus dem Ruhestand erlöst und wieder aktiviert hat, hält Schweinsteiger für eine herausragende Erscheinung des Turniers, und Veròns Mannschaft schätzt er gegenüber 2006 als deutlich besser ein.

Dass diese Mannschaft die deutsche Nationalelf vor vier Monaten in München 1:0 besiegt und dabei ziemlich vorgeführt hat, ist für ihn hingegen kaum noch relevant, weil: "Erstens war es ein Freundschaftsspiel, zweitens hatten beide Teams nicht viele Chancen, drittens sind wir viel besser vorbereitet."

Diego Maradona fällt die Vorbereitung auf das Wiedersehen mit den Deutschen (die wohl erneut auf den verletzten Cacau verzichten müssen) nach Bastian Schweinsteigers Kommentar womöglich etwas leichter. Aber auch die DFB-Elf erhält am Samstag durch Angela Merkels Besuch neue Inspiration. "Das gibt noch mal einen kleinen Schub", glaubt Schweinsteiger.

© SZ vom 01.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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