Fußball-EM der Frauen:Holland hört ein Huh

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Wie die Männer, so die Frauen: Islands Nationalspielerinnen danken ihren treuen Fans. (Foto: Mirko Kappes/imago)
  • 10 000 Isländer sollen in die Niederlande anreisen, um die Fußballfrauen bei der EM zu unterstützen.
  • Mit ihnen kehrt die Gänsehaut zurück, die sie schon bei der EM der Männer vor einem Jahr mit ihren eindrucksvollen Anfeuerungen verbreitet hatten.
  • "Es hat sich schon jetzt angefühlt, als wären Millionen von uns hier, ich bin sprachlos", sagte Islands Nationaltrainer Freyr Alexandersson nach dem Auftaktspiel.

Von Anna Dreher, Tilburg

Nach 13 Minuten war sie wieder da, diese eine wuchtige Silbe. Das markante "Huh!", begleitet von lautem Klatschen, immer und immer wieder. Erst langsam, dann schneller, bis Tausende Hände eine hallende Grußbotschaft durch das Willem-II-Stadion schickten: Ja, die Isländer sind zurück. Etwa 2000 Fans waren zum ersten Spiel ihrer Frauenfußball-Nationalmannschaft gegen Frankreich bei der Europameisterschaft gekommen - und mit ihnen diese Gänsehaut, die sie schon bei der EM der Männer vor einem Jahr verbreitet hatten.

10 000 sollen insgesamt in die Niederlande anreisen, um ihre Auswahl erneut eindrucksvoll zu unterstützen. "Es hat sich schon jetzt angefühlt, als wären Millionen von uns hier, ich bin sprachlos", sagte Islands Nationaltrainer Freyr Alexandersson auf der Pressekonferenz. "Aber so sind wir als Nation: stolz und stark."

Wenige Minuten zuvor hatte sein Team genau das auf dem Spielfeld gezeigt. Die große Frage schien zunächst ja nur zu lauten, wie hoch die technisch begabte und international erfahrene französische Equipe gegen die kleine Fußballnation Island gewinnen würde. Doch die ging von Anfang an mit körperbetontem Spiel so konsequent in die Zweikämpfe und störte so vehement den französischen Spielaufbau, dass sich erprobte Größen wie Wendie Renard, Eugénie Le Sommer oder Camille Abily schwer taten mit dem Zaubern. Je mehr Spielzeit vorüber war, desto mehr drängte sich am Dienstag eine ganz andere Frage auf: Würde Frankreich heute Abend überhaupt gewinnen?

Unsere Stärke ist unsere Einstellung

Die Antwort auf diese Frage gab es erst kurz vor Schluss, auch dieses Spiel reiht sich in seiner Torarmut in das bisherige Muster der Gruppenphase ein. Island stellte sich den französischen Angriffen in der intensiven und temporeichen Begegnung selbstbewusst in den Weg. Und wenn Dagný Brynjarsdóttir, Fanndís Friðriksdóttir oder Agla María Albertsdóttir Richtung Strafraum rannten, wurden sie vom lauten, fast schon ekstatischen Jubel der isländischen Fans getragen wie eine Welle. Im Abschluss aber zeigte sich, was Sara Björk Gunnarsdottir vor dem Spiel gesagt hatte: "Wir sind technisch nicht gerade das beste Team und spielen auch nicht auf Ballbesitz. Unsere Stärke ist unsere Einstellung. Mit unserem Willen und guter Defensivarbeit können wir weit kommen." In ihrem Auftaktspiel endete dieser Weg jedoch meist vor dem französischen Strafraum. Das Team von Olivier Echouafni war im 4-5-1 nur selten überwindbar für Islands Töchter.

In der zweiten Halbzeit kamen aber auch sie zu Chancen, und hätten sie eine davon genutzt, wären die isländischen Fans wohl bis nach Amsterdam zu hören gewesen. In der 57. Minute landete der Kopfball von Brynjarsdóttir bei Gunnhildur Jónsdóttir, die den Ball jedoch knapp verpasste. Brynjarsdóttir ärgerte sich danach sichtlich, sie weiß ja, wie sich wichtige Tore anfühlen: 2013 schoss sie das entscheidende Tor zum Einzug ins Viertelfinale - mit gebrochenem Fuß. Gut, sie traf damals per Kopf. Aber auch bei der Landung schadet es nicht, zwei gesunde Füße in den Schuhen zu haben. "Ich habe die Schmerzen erst gespürt, als wir im Viertelfinale gegen Schweden verloren haben", sagte die 25-Jährige, die erst vor fünf Monaten ihr drittes Kind auf die Welt gebracht hat.

Vier Mal kam Island zum Abschluss, bei Frankreich lag die Zahl mit 21 Schüssen ungleich höher. Den Unterschied machte am Ende aber nur ein Pfiff von Schiedsrichterin Carina Vitulano: Die erst drei Minuten vorher eingewechselte Elín Jensen brachte Amandine Henry im Strafraum zu Fall - und Eugénie Le Sommer traf vom Elfmeterpunkt zum 1:0. "Island hat mit seinem ganzen Herz und aller Kraft gespielt und uns damit wirklich viele Probleme bereitet", sagte Echouafni. "Sie haben uns das Leben wirklich schwer gemacht."

Schon bei der Männer-EM 2016 hatte Island der französischen Nationalmannschaft zu einem Höhenflug verholfen, als sie von dieser im Viertelfinale mit 5:2 geschlagen wurde. Die Erleichterung war auch am Dienstagabend groß, schließlich zählt Frankreich zu den Favoriten - auch wenn es bislang noch nie über ein Viertelfinale hinaus kam. Den Isländerinnen war die Chronik ihres Gegners freilich egal, sie wollen ja selbst Geschichte schreiben. Schon Jahre bevor die Männer zu EM-Helden wurden, hatten die Frauen sich international etabliert. 2009 qualifizierten sie sich als erstes isländisches Nationalteam für die Endphase eines großen Turniers. 2013 schafften sie es immerhin durch die Gruppenphase und mussten sich erst im Viertelfinale dem damaligen Gastgeber Schweden geschlagen geben.

Das Ergebnis gegen Frankreich sei schwer zu verarbeiten, sagte Freyr Alexandersson in der Nacht. Seine Auswahl hatte sich an den Matchplan gehalten und die Torchancen herausgearbeitet, die sie für möglich gehalten hatten - und doch verloren. "Ich fühle eine Mischung aus Traurigkeit und Stolz, weil meine Spielerinnen so mutig waren", sagte der 34-Jährige. "Aber am Samstag gegen die Schweiz werden wir wieder stark sein. Es werden noch mehr Fans kommen, und wir werden jeden zum Zittern bringen."

© SZ vom 20.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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