Fußball:Der Holzmichl hat sich beim Fußball angemeldet

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Pässe aus Zucker: Mats Hummels steht beispielhaft für das neue Anforderungsprofil von Innenverteidigern. (Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Früher waren Verteidiger nur auf der Welt, um gegnerischen Stürmern das Leben zur Hölle zu machen. Heute dürfen sie auch mitspielen - und zeigen Pässe aus Zucker".

Kommentar von Christof Kneer

Karlheinz Förster behauptet bis heute, dass er es versucht hat. Im Jahr 1985 sei er zu seinem Stuttgarter Trainer Helmut Benthaus gegangen, sagt Förster, und habe mit ihm über eine neue Art des Verteidigens verhandelt. Man müsse doch nicht immer stur seinem Gegenspieler hinterrennen, hat Förster laut Förster gesagt und stattdessen eine Art innerfamiliäre Raumdeckung vorgeschlagen: Sein Bruder Bernd könne doch die linke Seite des eigenen Strafraums übernehmen, während er, Karlheinz, sich um die rechte Seite kümmere.

Und wenn ein Stürmer durch die Schnittstelle komme, müsse man sich unter Brüdern halt ein Zeichen geben - gut, das mit der Schnittstelle hat Förster nicht gesagt, weil das Wort 1985 noch nicht erfunden war. Ein paar Wochen haben sie dann sogar Raumdeckung gespielt beim VfB, aber Helmut Benthaus hat das Experiment bald wieder beendet. Zu riskant.

Das wär's gewesen: Wenn ausgerechnet Kalli Förster, der alte Fleischfresser, das vegane Verteidigen erfunden hätte.

Verteidiger hießen früher "Axt" oder "Alu" - heute spielen sie Zuckerpässe wie Boateng

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In dieser Fußball-Woche ist nun auf komprimierte Art eine Zukunft sichtbar geworden, von der selbst Förster damals nichts ahnte. In dieser Zukunft sind die Abwehrspieler das Gegenteil dessen, was sie in den Achtzigern waren, in den großen Zeiten des großen Nationalvorstoppers Förster. Damals hatten die Abwehrspieler kein eigenes Leben, sie waren nur auf der Welt, um gegnerischen Stürmern das Leben zur Hölle zu machen. Sie hatten keine eigenen Rechte, und kreativ waren sie höchstens, weil sie artifizielle Tritttechniken entwickeln mussten, um die gegnerischen Schienbeine unter den Schienbeinschonern zu treffen.

Die Vorstopper trugen damals schöne Kosenamen wie Axt, Alu, Eisenfuß oder Treter mit dem Engelsgesicht, und einer von ihnen, Helmut Rahner, nahm an einer Militär-WM teil.

Drei Jahrzehnte später gewinnt die deutsche Nationalelf ihre Spiele nicht mehr, weil der Abwehrspieler Karlheinz Förster den gegnerischen Stürmern das Spiel verdirbt. Sie gewinnt jetzt, weil die Abwehrspieler Jérôme Boateng und Mats Hummels den eigenen Stürmern das Spiel schmackhaft machen. In den Länderspielen dieser Woche haben Boateng und Hummels "Pässe aus Zucker" gespielt, wie der Kollege Höwedes schwärmte.

Dank Boatengs Diagonal- und Hummels' Vertikalbällen hat man noch mal anschaulich begriffen, wie sich das Spiel verändert hat: Es hat sich inhaltlich nach vorn entwickelt, indem es sich räumlich zurück entwickelt hat. Einige jener schöpferischen Aufgaben, die früher nur der sog. Zehner erledigen durfte, werden inzwischen bereits vom sog. Sechser übernommen, und in einem vorerst letzten Entwicklungsschritt hat sich nun auch der Vierer beim Fußball angemeldet. Er darf jetzt auch mitspielen - er muss es sogar, weil das Spiel vorn so niederträchtig eng geworden ist, dass die Spielmacher jetzt auch von hinten kommen müssen.

Jahrzehntelang war der Abwehrspieler der Holzmichl unter den Fußballern, und nun fordert er stolz Satisfaktion, indem seine Rolle allmählich das anspruchsvollste Profil aufweist. Die Nummer vier soll künftig nicht nur neumodische Zuckerbälle spielen, sondern auch wieder ein bisschen förstern wie früher. Beim DFB haben sie es als Irrweg erkannt, dass sie eine Weile nur Zweikampfvermeider, Raumbewacher und Abseitssteller ausgebildet haben; die Nummer vier soll sich künftig wieder in direkte Duelle trauen, und wenn sie die Duelle gewonnen hat, soll sie bitte schnell noch den torbringenden Vertikalpass spielen.

Kein Mensch, kein Tier, die Nummer vier: So ging der Spruch früher. Heute soll die Nummer vier beides sein.

© SZ vom 15.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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