Fußball-Bundesliga:Ein Märchen für die Blumenvase

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Sechs Treffer, ein kurioses Ende und die spannende Frage: Müssen jetzt eigentlich die Dortmunder mehr um einen verpassten Sieg trauern oder die Bremer?

Iris Hellmuth, Bremen

Es lief die 88. Minute, Thomas Schaaf stand an der Außenlinie, ein schmaler Mann mit einer Körpersprache, die in diesem Moment nicht viele Interpretationen zuließ. Thomas Schaaf war ratlos. Und maßlos sauer. Die Hände tief in den Taschen seiner Trainingshose vergraben, die Schultern hochgezogen, die Miene versteinert. Eine Pose, die das Bremer Spiel bis zu diesem Zeitpunkt ziemlich gut zusammenfasste. Und eine Pose, die weit gestrahlt haben muss, zumindest so weit, dass sie auch die Spieler auf dem Platz wahrnahmen; verdammte Axt, werden sie sich gesagt haben, einem so angebrüteten Thomas Schaaf in Kürze im Kabinengang zu begegnen - will man das wirklich?

Protagonisten eines kuriosen Spiels: Bremens Frings (links) und Dortmunds Tinga. (Foto: Foto: AP)

Wahrscheinlich nicht. Diese eine Pose könnte also die Wendung eingeleitet haben, fünf Minuten vor dem Abpfiff im Weserstadion, denn wirklich erklären konnte dieses unfassbar kuriose Ende dieser bis dahin so unfassbar langweiligen Bundesligapartie Werder Bremen gegen Borussia Dortmund niemand so richtig. Die letzten Sequenzen des Spiels wirkten, als hätte sie ein erfahrener Cutter für den Spielbericht künstlich aneinander gerafft: Wie für die Dortmunder in der 88. Minute beim 1:2 alles schon gelaufen schien. Wie der Bremer Pizarro dann plötzlich zum 2:2 abstaubt und nur zwei Minuten später mit einem so spektakulären Schuss trifft, dass er sich selbst wie irre an der Außenbande feiert. Und wie mitten im Bremer Siegestaumel der hellwache Ex-Bremer Mohamed Zidan die präzise Flanke seines Kollegen Blaszcykowski zum 3:3 verwandelt.

Keine Bremer in der Mixed Zone

Es war der Pfiff des Schiedsrichters, der Spieler und Zuschauer schließlich in die Wirklichkeit des Spieltags zurückholte. "Nach dem 2:1 wären wir mit nur einem Punkt natürlich nicht zufrieden gewesen", sagte Dortmunds Trainer Jürgen Klopp und sah verhältnismäßig fröhlich aus kurz nach dem Abpfiff. "Aber vier Minuten später sah die Sache dann schon ganz anders aus. Man muss aus einem Fußballspiel mehr mitnehmen als nur Punkte, wir haben heute leidenschaftlich gekämpft, das ist mir wichtig", sagte Klopp schmunzelnd, er war der einzige Dortmunder, der es so schnell nach dem Spiel schaffte, ganze Sätze in die Mikrofone zu sprechen. Von seinen Spielern hörte man lediglich Fragmente. "Ein Schluss wie ein Märchen", zum Beispiel (Sebastian Kehl), oder: "wirklich verrückt!" (Mats Hummels).

Nur die Bremer waren nirgendwo zu sehen in der Mixed Zone. Thomas Schaaf hatte sie direkt nach dem Schlusspfiff in die Kabine beordert, wo die gesamte Mannschaft eine gefühlte Ewigkeit ausharrte. "Habt Ihr endlich mal was zu schreiben, was?", rief Sebastian Kehl den wartenden Journalisten zu, die Kollegen der Bremer Lokalblätter lächelten gequält. Ohne Werder keine Berichterstattung, verriet ihr Gesichtsausdruck.

"Ich habe meine Spieler zusammen geholt, um ihnen ein paar Worte mit auf den Weg zu geben, und natürlich erwarte ich morgen ein paar Antworten darauf", erklärte Schaaf später seine ungewohnte Maßnahme. Es war relativ eindeutig, um welche Art der Antworten es sich handeln müsste. Eine Antwort auf unzählige Fehler der Bremer in Abwehr und Abspiel, zum Beispiel. Oder darauf, warum ihr Spiel im Mittelfeld kontinuierlich zerbröselte, während auf der anderen Seite Kapitän Kehl seinen Mitspielern ständig mundgerechte Pässe zum Weiterverzehr anbot. Oder eine Antworten darauf, warum es bis zur 58. Minute dauerte, um dem Bremer Spiel seine Belanglosigkeit zu nehmen.

Der sicher verwandelte Elfmeter von Alex Frei (58.) war hierfür ein entscheidendes Moment, es war der Startschuss zum eigentlichen Spiel. Von nun an passten die Bremer kurzzeitig präzise, zehn Minuten nach dem 0:1 köpfte Kapitän Frank Baumann eine Flanke von Bönisch zum Ausgleich ins Dortmunder Tor.

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Es war ja ohnehin das Duell der beiden Wankelmütigen der Liga, beide bereits mit hohen Gewinnen und Verlusten auf dem Konto, im Unklaren darüber, wo diese Saison jeweils mit ihnen hin möchte. Doch die vielen Versatzstücke des Spiels brachten den Zuschauern kaum Klarheit. Und so waren es die Fans, die ihren Mannschaften am Ende der ersten Halbzeit eine Rückfrage bestehend aus gellenden Pfiffen stellten: Wo soll dieses Spiel denn eigentlich mit uns hin? Die Bremer spielten schlecht, die Dortmunder nicht gut genug. Immerhin, es war ein sonniger Herbstnachmittag, und wenn die Sonne nicht mehr schien, dann blitzten wenigstens manchmal drei goldgelbe Stürmer in den Nahtstellen der grün-weißen Werder-Viererkette auf.

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So war es der ständig wache Geist und die Laufbereitschaft der Dortmunder, die die Mannschaft im Spiel hielten, etwa in der 72. Minute, als Jakub Blaszcykowski so schnell Richtung Bremer Tor sprintete, dass Aaron Hunt, 22, gegen Blaszcykowsi, 22, fast alt aussah. Immerhin hielt der mitlaufende Dortmunder Innenverteidiger Hummels, 19, das Tempo und macht ein Tor daraus (72.). "Im Ballbesitz waren wir den Bremern zwar unterlegen, aber wir haben sehr gut gestanden, dieses Spiel hilft uns sicher weiter", sagte Klopp, ein Fazit, das die Bremer nicht unbedingt teilen mochten.

"Wir machen ständig den gleichen Fehler", meckerte Sportdirektor Allofs und sah dabei mindestens genauso ratlos aus wie Trainer Thomas Schaaf. Den Humor hatte er dennoch nicht verloren. "Man könnte die Mannschaft ja 24 Stunden mit akustischen Signalen und Videos berieseln und mit Stromstößen bearbeiten, aber das ist ja leider nicht erlaubt", schlug Allofs vor. Im Spaß, natürlich.

Blumen zum Abschied

Nur das mit den Stromstößen muss jemand den Bremer Spielern ganz ernsthaft gesteckt haben. Denn genauso spontan, wie sie in der Schlussphase des Spiels aufgedreht hatten, waren sie nach dem Schlusspfiff verschwunden. Torsten Frings war nirgendwo zu sehen, dafür berichtete der ehemalige Bremer Mohamed Zidan breit grinsend, wie Klaus Allofs ihn nach dem Spiel aus der Kabine seines Ex-Klubs gejagt habe.

"Aber da hat er natürlich nur Spaß gemacht", sagte Zidan, das Trikot des Bremers Daniel Jensen unter der Daunenjacke. Patrick Owomoyela, noch so ein Ex-Bremer, schlich im Hintergrund mit einem Blumenstrauß Richtung Mannschaftsbus. Er war an diesem Abend offiziell von den Bremern verabschiedet worden, ohne eine Minute gespielt zu haben. Den bunten Strauß sah er ungefähr so ratlos an wie Thomas Schaaf Minuten zuvor seine Mannschaft auf dem Platz.

Vielleicht hat er sie am Abend sogar noch in eine Vase gestellt.

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