French Open im Tennis:Kerber ist doch längst im Soll

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Das Aus in Runde eins der French Open ist ein Schock für die Nummer eins der Welt - sie muss sich wieder freimachen von den Erwartungen aus Tennis-Deutschland.

Kommentar von Gerald Kleffmann, Paris

Die French Open, das wichtigste Tennis-Sandplatzturnier der Welt, hat am Sonntag begonnen. Angelique Kerber ist schon weg. Auch ihr Trainer Torben Beltz war am Montag auf der Heimreise. Aus in Runde eins gegen die Russin Ekaterina Makarowa. 13 Saisonniederlagen, zumeist früh im Turnier, sprechen eine harte Sprache für Deutschlands Sportlerin des Jahres 2016, die erste deutsche Grand-Slam-Turnier-Gewinnerin seit Steffi Graf. Kerber möchte so gerne, das ist immer wieder zu sehen, ihre Rolle einnehmen. Kerber möchte beweisen, dass sie zu Recht ganz oben steht, als Nummer eins der Weltrangliste. Sie möchte weiter zur Tennisbegeisterung in Deutschland beitragen. Sie will ihren Verpflichtungen nachkommen, auf der Frauentour, bei ihren Sponsoren, die ihr nun doch viele Termine mehr abringen. Kerber möchte auch in den Medien gut rüberkommen. Sie macht vieles mit.

Vielleicht ist das alles ein bisschen viel. Und auch zu viel verlangt. Von ihr selbst. Und von der Öffentlichkeit.

Im Rückblick wird immer klarer: 2016 war und ist und bleibt ihr "Traumjahr", wie sie selbst sagt. Ein Ausnahmejahr. Vier Jahre stand sie zuvor in den Top Ten, Kerber war eine Spitzenspielerin, die Millionen verdiente. Aber sie flog unter dem Radar. Das entsprach auch ihrer Persönlichkeit. Sie ist kein Roter-Teppich-Groupie. 2016 tauchte sie plötzlich selbst im Scheinwerferlicht auf, dank ihrer oft mutigen, selbstbewussten, Gegnerinnen gnadenlos zermürbenden Spielweise. Sie hatte sich vorgenommen, anzugreifen. Sie habe ja nichts zu verlieren. Es gab Triumphe in Melbourne, New York, olympisches Silber in Rio. Und alle adelten sie, frühere Helden wie Boris Becker und Graf, die Weltpresse, Kolleginnen.

French Open im Tennis
:Kerber lähmt die Furcht vor Niederlagen

Das gab es noch nie: Als erste Weltranglisten-Führende fliegt Angelique Kerber gleich zu Beginn aus den French Open - die verheerende Pleite gegen die Russin Makarowa geht ihr nahe.

Von Gerald Kleffmann

Jetzt, im Mai 2017, wirkt das alles fast wie aus einer anderen Zeit. Kerber spielt und agiert und spricht auch manchmal so, als habe sie alles zu verlieren. Ihre Perspektive ist verrutscht. Im Fußball würde man so eine Entwicklung Abstiegsstrudel nennen.

In Paris tauchte die Frage nach Veränderungen auf, sowas ist fast zwangsläufig im Profisport. Nach Hilfsmaßnahmen, als gelte es, die alte Kerber zu reanimieren. Die Frage ist nur: Wer ist die wahre Kerber? Ist es die vor dem Ruhm? Oder die von 2016? Hier liegt vielleicht ein großes, folgenschweres Missverständnis vor.

Der Münchner Turnierveranstalter Michael Mronz stellte kürzlich Interessantes fest: Manche sind die geborene Eins. Wie Becker einst. Viele dachten, der dreimalige Wimbledonsieger sei ganze drei Jahre die Nummer eins gewesen. Dabei war er es nur zwölf Wochen lang. Woher dieses Zerrbild kam? Becker strahlte ein natürliches Anspruchsrecht auf die Nummer eins aus. Kerber erlebt ein anderes Zerrbild. Sie ist da auch ein bisschen ein Opfer ihrer selbst. Ihr ist diese Ziffer 1 zwangsläufig zugeflogen. Sie hatte zu oft gesiegt. Sie hatte nicht nach der 1 gestrebt. Die Folge: Tennisdeutschland erinnerte sich seiner Sehnsucht, nach Beckerhechten und Graf'schen Rückhand-Slicebällen. Mit Kerber, so die Hoffnung, beginne eine neue Reise dieser vertrauten Gefühle.

Serena Williams ist schwanger - und fällt aus

Kerber selbst und auch andere müssen sich jedoch davon freimachen, dass dies ein Status für ewig ist. Kerber ist anders von der Persönlichkeit her, die Zeiten sind anders, die Konkurrenz ist es. Vielleicht ist Kerber einfach eine exzellente, absolut leistungsbewusste Profisportlerin, die einmal ihre Reise zum Mond erlebte. Und sich nun wieder in ihrer früheren Klasse einpendelt. Daran ist nichts Verwerfliches.

Momentan aber herrscht Alarmismus an allen Fronten. Wie ein Fluch wirkt dieses heilige, aber auch hinterhältige Traumjahr 2016. Kerber war die Erste der Hunderten Grand-Slam-Titellosen, die zeigte: Die Champions müssen nicht immer Williams und Scharapowa heißen. Sie ermutigte mit ihren Siegen die eigene "Wir sind immer nur Zweite"-Konkurrenz. Besonders perfide ist, und da kann einem Kerber fast leid tun: Sie konnte verlieren, wie sie wollte - Kerber wurde wieder und wieder die Nummer eins der Welt. Rechnerisch war das eben so. Weil etwa Serena Williams schwanger ist und fehlte. Auch mit diesem Zerrbild muss man erst mal klarkommen: im Ranking die Beste zu sein, aber auf dem Platz wie eine Nummer 40 spielen.

Diese Situation ist der Nährboden, auf dem nun so oft ihre Enttäuschungen gedeihen. Kerber, nur das wird ihr Ausweg sein, muss es schaffen, sich vom Gefühl der Bringschuld freizumachen. Sie muss auch intern Kontrolle abgeben, Experten vertrauen, die sie umgeben. Sich auf ihren Sport wieder mehr besinnen. Vielleicht auch neue Leute holen, die sie mit Erfahrung führen. Aber Kerber und alle müssen begreifen: Sie ist doch längst im Soll.

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