French-Open-Aus für Angelique Kerber:Kerber verliert gegen Selbstzweifel und Schmerzen

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Vergeblich gerackert: Angelique Kerber bei ihrer Erstrunden-Niederlage in Paris. (Foto: Michel Euler/AP)
  • Zu den Mysterien in der Karriere von Angelique Kerber zählt ihre schlechte Bilanz in der Auftaktrunde.
  • Übersteht sie diese, kann sie ein Turnier gewinnen - in Paris aber geht einiges schief.
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Von Philipp Schneider, Paris

Andy Murray hatte mal wieder das richtige Gefühl für eine Situation auf dem Platz, er spürte, dass bald eine Partie enden würde. Manchmal fängt das Fernsehen Bilder ein aus den Katakomben des Court Philippe Chatrier, immer dann, wenn ein Spieler während des Matches auf dem Weg in seine Kabine ist, um kurz auszutreten oder sich behandeln zu lassen.

Es lief der dritte Satz im Spiel zwischen Angelique Kerber und Kiki Bertens aus den Niederlanden, Kerber lag bereits 0:3 hinten, als sie, auf dem Weg in ihre Umkleide, fast über Murray steigen musste. Der Schotte, der nach Kerber auf den Court Central musste, lag dort wie ein Verkehrshindernis auf dem Boden. Murray wärmte sich schon mal auf. Murray machte Liegestütze.

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Andy Murray kämpft sich dagegen weiter. Die Favoriten Novak Djokovic und Rafael Nadal bleiben souverän.

Diese Spielunterbrechung war Kerbers letzter Versuch, eine Partie unter Kontrolle zu bringen, die ihr längst entglitten war. "Was soll ich machen?", hatte sie gerade noch in Richtung ihrer Box gebrüllt, hinauf zu ihrem Trainer Torben Beltz und der Fed-Cup-Chefin Barbara Rittner. Dann lief sie in die Kabine, vor allem, um sich an der Schulter behandeln zu lassen, die ihr seit Wochen Probleme bereitet.

Ein kleines Bisschen lief Kerber sicher auch in der Hoffnung in die Kabine, sie möge als bessere Tennisspielerin wieder aus ihr hervortreten. Das tat sie aber nicht, und eine Viertelstunde später notierten die Chronisten: Angelique Kerber, die Weltranglistendritte, die aktuelle Australian-Open-Gewinnerin, Deutschlands erste Grand-Slam-Siegerin seit 1999, sie war bei den French Open mit 2:6, 6:3, 3:6 ausgeschieden. Gegen Kiki Bertens, die Nummer 58 der Welt, nach 101 Minuten Spielzeit. Tatsächlich geschah es in der ersten Runde.

"Die Schulter soll keine Entschuldigung sein", sagte Kerber später, als sie mit leicht glasigen Augen vor die Presse trat, um eine Niederlage zu besprechen, die nach Aufklärung verlangte. Wenngleich sie ihre Schulter schon gespürt habe ab dem zweiten Satz, das natürlich schon.

"The pain is the same", sagte Kerber, der Schmerz sei derselbe wie zuletzt bei den Turnieren in Madrid und Rom, wo sie ebenfalls schon nach der ersten Runde wieder abreisen musste. Wegen der Schulter hatte sie in der Vorwoche auch fürs Turnier in Nürnberg abgesagt, das in Kerbers Abwesenheit dann ausgerechnet die Nummer 58, Kiki Bertens, gewann.

Aber an der Schulter allein lag es nicht, das sah ja nicht nur Kerber so. Ihre Gegnerin, die sich schon vor ihrem Turniersieg in Nürnberg in aufsteigender Form präsentiert hatte und zum Beispiel im April die besser platzierten Französinnen Caroline Garcia und Kristina Mladenovic im Fed Cup besiegt hatte, sie berauschte sich gegen Kerber an ihrem eigenen Spiel. Bertens spielte erstaunlich präzise, ihre Schläge hatten eine gute Länge, und immer wieder streute sie erfolgreich Stopps ein. 33 Winner, also direkte Punktgewinne, gelangen der Niederländerin - Kerber hingegen nur neun.

Dazu gesellten sich bei der Kielerin, die sich von Bertens' druckvollen Schlägen immer mehr zurückdrängen ließ, 28 unerzwungene Fehler. Und je länger die Ballwechsel andauerten, umso größer war die Wahrscheinlichkeit, dass Kerber den Ball hinter die Linie setzen würde. Ab dem zweiten Satz begann sie zu hadern, mit sich und ihrem Spiel, immer wieder suchte sie Blickkontakt zu Beltz und Rittner.

Die alten Selbstzweifel ergriffen wieder von Angelique Kerber Besitz, von denen vor Monaten zumindest vorübergehend nichts mehr zu spüren gewesen war. Als sie in Melbourne und Stuttgart triumphierte, als sie in Charleston ins Halbfinale einzog. "Es war nicht so meine Sandplatzsaison", sagte Kerber. "Und was Bertens gut gemacht hat: Sie ist sehr gut in den dritten Satz gestartet." In der Tat. Rasant führte Bertens 3:0, dann nahm Kerber ihre Auszeit.

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Zu den größten Mysterien in der Karriere der 28-Jährigen zählt ihre erstaunlich schlechte Erstrunden-Bilanz: Bei zwölf ihrer 34 Auftritte bei Grand-Slam-Turnieren ist sie in der ersten Runde ausgeschieden. Augenscheinlich ist es so, dass Kerber die für ihr Spiel wichtige Sicherheit erst gewinnt, wenn sie diese Hürde genommen hat. Dann kann sie es weit bringen, auch bei den French Open.

In Paris stand Kerber 2012 im Viertelfinale, in den zwei Jahren danach im Achtelfinale. Bevor sie im Januar die Australian Open gewann, musste sie in der ersten Runde einen Matchball gegen die Japanerin Misaki Doi abwehren. Und zwölf Monate vor ihrem Major-Sieg in Melbourne schied sie aus in der, man ahnt es: in der ersten Runde. "Für mich sind die ersten Runden sehr schwer, egal bei welchem Turnier", sagte sie nun.

Und außerdem sei es auch so: "Sand ist nicht so mein Belag." Das mochte überraschen. Schließlich hat Kerber drei ihrer neun Titel auf Sand geholt, einmal gewann sie in Charleston, zweimal in Stuttgart. Auf dem langsamsten aller Beläge, insbesondere in der tiefen Terre Battue in Paris, ist sie gezwungen, mit ihren Schlägen das Tempo zu gestalten. Sie kann den Ball nicht laufen lassen wie auf dem schnelleren Hartplatz, sie muss den Gegner aktiv in die Defensive drängen. "Man braucht sehr viel Geduld auf Sand", sagt sie. "Und gerade bei den Bedingungen muss man zweimal, dreimal öfter rüber spielen. Die Bälle sind viel schwerer. Es ist ein ganz anderes Tennis als auf Hartplatz oder Rasen."

Es werde einige Tage dauern bis sie diese Niederlage vergessen hat, sagte Kerber noch. Aber das galt nicht nur für sie.

© SZ vom 25.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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