Frauen-WM 2011: Die Vorstopperin:Frauenfußball, eine Glaubensfrage

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Die Frauen-WM wankt zwischen totaler Ablehnung und völliger Begeisterung. Überall müssen Sportjournalisten die Veranstaltung rechtfertigen. Oder laut mitjubeln. Schon jetzt geht es an die Schmerzgrenze.

Thomas Hummel

Gestern im Aufzug, ein Kollege vom Marketing steigt zu: "Und, wie geht's der Frauen-WM?" Eine nur scheinbar harmlose Frage, denn der Sportjournalist weiß, was nun unvermeidbar kommen wird. Er hebt noch unschuldig die Schultern: "Gut, glaub ich." Eine möglichst neutrale Antwort. Doch dann geht's los. Wie immer.

Da sagt einer, Frauen halten nichts aus: Saki Kumagai aus Japan bei der Frauenfußball-WM. (Foto: dapd)

"Mich interessiert das einfach nicht. Es interessiert mich einfach nicht. Interessiert dich das?" spricht der Marketing-Kollege und schaut dem Sportmann so intensiv in die Augen, dass dieser Angst haben muss, bei falscher Antwort geht's ihm an den Kragen. Der ist ein wenig eingeschüchtert und hebt wieder die Schultern. Der Kollege lässt nicht locker, jetzt hat er endlich einen dieser Sportmenschen vor sich. Im Aufzug gibt es kein Entkommen. Da hat sich was aufgestaut, Mann oh Mann: "Ich könnte mich ja dazu zwingen, aber ich will nicht. Das ist doch alles nix!"

Nicht schon wieder, denkt sich der Sportjournalist. Nicht schon wieder diese Generaldebatte, ob man sich Frauenfußball anschauen kann. Wer ist eigentlich "man" und warum sind alle so aufgeregt ob dieser Weltmeisterschaft? Überall verzogene Gesichter, Sarkasmus, Aufforderungen: "Sag mal: Wie findest du das? Das geht doch gar nicht, oder? Sag mal!"

Warum nur müssen sich Sportredaktionsmitarbeiter dieser Tage in allen Aufzügen, Pissoirs und an allen Theken des Landes für diese WM rechtfertigen? Oder (was auch vorkommt) aus vollem Herzen bestätigen, dass das wirklich soooo toll ist, wie diese Frauen das können, das Fußballspielen! Das hätten wir wirklich nicht gedacht! Müssen Berichterstatter vom CDU-Parteitag danach erklären, ob sie nun die Partei wählen? Wirtschaftskollegen nach der Siemens-Jahreshauptversammlung sich äußern, ob sie nun Aktien kaufen?

Vermutlich hat es auf dieser Erde noch nie eine Sportveranstaltung gegeben, die so aufgeladen war, die so wankt zwischen totaler Ablehnung und völliger Begeisterung. Die Männersportart Fußball in weiblicher Ausführung als WM in Deutschland: Puh, das geht schon nach fünf Tagen an die Schmerzgrenze.

Es war ja zu ahnen, dass es so kommen würde. Vor Wochen hat die Sportredaktion von sueddeutsche.de diskutiert, wie wohl eine Einzelkritik zu intonieren sei. Während einem Bastian Schweinsteiger bisweilen leicht eine mitgegeben wird, so unter Männern, wäre eine fiese oder gar zweideutige Bemerkung über Leistung oder Frisur (!) einer deutschen Nationalspielerin ein Fall für den Presserat. Zumindest für alle Alice Schwarzers dieser Welt. So die Vorstellung.

WM 2011: deutscher Kader
:Lira, Natze und die Feldherrin

Die Mitglieder der deutschen Autoren-Nationalmannschaft haben Loblieder auf einige deutsche Spielerinnen verfasst. An die anderen Akteurinnen hat sich sueddeutsche.de gewagt.

deutschen Autoren-Nationalmannschaft

Dabei gibt es Plattformen, die sich einen ordentlichen Schluck Chauvinismus gönnen. Die Bild-Zeitung und Mario Basler zum Beispiel, nach dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert. Baslers erste "Macho-Ecke" überschrieb das Blatt mit "Mädels, lasst den Rasen heil ..." Seinen zweiten Beitrag schloss er mit: "Die Attraktivität liegt also nicht im Spiel, sondern im Aussehen einiger Mädels. Zumindest da sind ja ein paar scharfe Schüsse dabei ..." Hoho, Schenkel klopfen, Schenkel klopfen, hoho.

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Selbst der offizielle WM- Sportschau-Blog hat hier was zu bieten. Kolumnist Thomas Kroh ist dazu da, den Frauenfußball-Belächlern aus der Seele zu sprechen. Nach dem Testspiel der DFB-Elf gegen Norwegen schrieb er: "Dann und wann aber setzte eine Aktrice zu einem Spurt an, und ich dachte: Ah, jetzt geht's los. Nur um wenige Sekunden später erleben zu müssen, wie die gute Frau im Strafraum vor Erschöpfung zusammenbrach." Zur 1,68 Meter kleinen japanischen Torhüterin Ayumi Kaihori fiel ihm ein: "Vor den Spielen der Japanerinnen muss der Platzwart janz kurz mähen, sonst macht es aus dem Rasen lediglich 'Winke, Winke'!"

Auf der anderen Seite bejubeln alle Großkopferten dieses tolle Ereignis und die noch tolleren Leistungen von "unseren" allertollsten deutschen Mädels. Die Fernsehkommentatoren von ARD und ZDF haben sich felsenfest vorgenommen, keinen kritischen Halbsatz zu verlieren und bei Toren in brasilianisch-patriotische Jubelschreie auszubrechen. Kanzlerin, Präsidenten aller Art (Bund, DFB, et cetera), Literaturnobelpreisträger (Günter Grass) werfen sich mit all ihren Mächten ins Zeug, das Ereignis zum größten zu machen, das es je gab. Mindestens so groß wie die Männer-WM 2006 natürlich.

Das ist das schlimmste: Der ewig beschworene Sommermärchen-Vergleich. Oje. Da fühlen sich die echten Männer-Fußballexperten richtiggehend provoziert.

Die Lager stehen sich feindlich und unversöhnlich gegenüber. Schwarz oder Weiß. Auf einer Stufe mit: Atomausstieg, ja oder nein. Internet-Downloads legalisieren, ja oder nein. Guttenberg zurück in die Politik, ja oder nein. Frauenfußball ist ein schöner Sport, ja oder nein.

Zwischendrin stehen die Sportjournalisten. Zumindest die, die einfach nur berichten wollen, von einer Weltmeisterschaft in Deutschland. Von Kopfballtoren und Torwartfehlern. Von Siegen und Niederlagen. "Sag mal: Wie findest du das? Das geht doch gar nicht, oder? Sag mal!" Vielleicht ist es besser, die nächsten drei Wochen ins Büro im 20. Stock die Treppen zu nehmen.

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