Franz Beckenbauer über seine Zeit in Amerika:"Ich traf Berühmtheiten und genoss das Leben"

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August 1977: Franz Beckenbauer kommt in New York an. (Foto: imago sportfotodienst)

Die Reise des FC Bayern in die USA ist für Franz Beckenbauer ein Flug in die eigene Vergangenheit. Im Gespräch erzählt er von seinen Abenteuern in den Siebzigern, warum der US-Fußball auf einem guten Weg und die Premier League enteilt ist.

Von Jürgen Schmieder, Portland

Franz Beckenbauer sitzt in einer Suite in einem Hotel in Downtown Portland. Er verabredet sich noch schnell auf ein Glas Wein am Abend - warum auch nicht? Beckenbauer hat keine offizielle Aufgabe bei dieser USA-Reise des FC Bayern, von Januar an wird er als Botschafter für internationale Beziehungen für den Verein tätig werden. Vor 37 Jahren war er schon einmal in dieser Stadt, um mit Cosmos New York das Finale der amerikanischen Profiliga zu spielen.

Sueddeutsche.de: Seit beinahe 40 Jahren wird in regelmäßigen Abständen verkündet, dass sich die Amerikaner nun für Fußball interessieren - Sie waren beim ersten Rummel im Jahr 1977 dabei. Was haben Sie damals erlebt?

Franz Beckenbauer: Als ich zum ersten Mal durch den Central Park gelaufen bin, haben dort alle Baseball gespielt. Immer nur Baseball. Ich habe in ganz New York keinen einzigen Fußballplatz gesehen. Da wurde mir klar, dass die Menschen damals überhaupt nicht wussten, was Fußball überhaupt ist.

Wie wurde den Leuten beigebracht, dass nun Pele und Beckenbauer hier sind?

Wir haben einmal in Tulsa gespielt, da hat ein Kommentator den Menschen im Stadion über Lautsprecher die Regeln erklärt. Als einer übers Tor geschossen hat, haben die Zuschauer gejubelt, weil sie dachten, dass es dafür Punkte gäbe wie beim American Football. Dann hat ihnen der Stadionsprecher erklärt, dass es nun Abstoß gäbe und was ein Abstoß überhaupt ist. Das hat der 90 Minuten lang gemacht. Von Eckball bis Abseits hat er - während einer Profipartie wohlgemerkt - alles erklärt, was es so gibt im Fußball.

Was denkt man als Spieler, wenn das Spiel über Lautsprecher erklärt wird?

Es war verrückt, aber wir haben darüber gelacht. Wir sahen uns als Pioniere, da haben wir solche Sachen akzeptiert.

Welche gab es noch?

Beim Finale hier in Portland vor 37 Jahren spielten wir in einem Footballstadion: auf einer Art Kunstrasen-Teppich, darunter war Beton. Das Spielfeld war steinhart, der Ball ist in jede Richtung gehoppelt - nur nicht in die, in die man gespielt hat. Das war das Finale dieser Liga! Aber: Es war ein Abenteuer, eines der schönsten Erlebnisse in meinem Leben. Ich hatte ja vorher nichts gesehen von der Welt.

Wie? Sie waren Weltmeister, ein Star beim FC Bayern. Da kommt man doch rum.

Man kommt rum - aber man erlebt nichts. In New York war das ganz anders. Ich habe in Manhattan gelebt, ich habe Berühmtheiten getroffen und das Leben genossen. Ein Beispiel: Carlos Alberto ( Weltmeister mit Brasilien, Anm.d.Red.) und ich sind schnell Freunde geworden. Nach dem Training sollten wir in die Berlin School in Manhattan, um Englisch zu lernen. Draußen war ein Traumwetter, da haben wir gesagt: Wir setzen uns jetzt doch nicht zwei Stunden in dieses dunkle Klassenzimmer. Also sind wir in den Central Park gegangen, haben einen Espresso getrunken und die ganzen Verrückten dort beobachtet.

Wie haben Sie sich mit Alberto verständigt?

Mit Händen und Füßen, es konnte doch keiner Englisch. Ich auch nicht, ich hatte das in der Schule nie gelernt. Bei Cosmos waren Spieler aus allen Nationen, die mussten sich irgendwie unterhalten. Mit der Zeit habe ich dann die Sprache gelernt und so meinen Horizont erweitert.

Henry Kissinger soll Sie einmal besucht haben, als Sie in der Badewanne lagen.

Kissinger war andauernd da, bei fast jedem Spiel. Auch Mick Jagger ist oft gekommen. Und natürlich gibt es diese Geschichten aus dem Studio 54. Diese Erlebnisse meine ich mit "Etwas sehen von der Welt".

Warum hat Fußball in den USA damals nicht funktioniert?

Die Verbände der großen Sportarten Football und Baseball haben bei den Fernsehsendern interveniert, weil sie gemerkt haben, dass ihnen der Nachwuchs aus den Schulen verloren gehen könnte. Unsere Spiele wurden zunächst bei ABC gezeigt, doch die Verträge wurden dann aufgrund des Drucks nicht verlängert. Es ist nun einmal so: Wenn eine Sportart nicht im Fernsehen läuft, existiert sie kaum. Dann fehlen Sponsoren, Fans - deshalb erlebte die Liga einen Kollaps.

Warum ist das heute anders?

Zum einen spielt die Nationalelf seit Jahren erfolgreich. Die USA waren seit 1990 immer bei Weltmeisterschaften dabei - und nicht mal schlecht. Diese Erfolge sind ein Katalysator für das Interesse, wie nun die WM in Brasilien gezeigt hat. Zudem hat sich die heimische Liga stetig entwickelt, die Vereine spielen in eigenen Stadien und haben eine treue Fangemeinde. Das Wichtigste ist jedoch die Jugendarbeit: Es gibt jetzt Akademien, in denen Spieler ausgebildet werden.

Aber die MLS probiert es mit der gleichen Strategie wie vor 40 Jahren: Sie verpflichtet Stars im Herbst ihrer Karriere wie zuletzt David Villa. Ist das sinnvoll?

Man braucht natürlich Zugpferde, doch die müssen irgendwann aus dem eigenen Land kommen. Das war beim FC Bayern genauso: Wir haben mal gegen Cottbus im Olympiastadion gespielt und darüber gelästert, dass bei denen elf Ausländer auf dem Platz standen. Dann haben wir unsere Mannschaft gesehen und gemerkt: Bei uns spielen auch nur drei Deutsche - Kahn, Jeremies, Scholl. Von diesem Moment an trieben wir die Entwicklung eines Nachwuchszentrums voran. Das war die Wende. Die Amerikaner müssen ihre Spieler selbst ausbilden, so machen sie sich unabhängig und entwickeln eine eigene Identität im Fußball.

Nun versucht der FC Bayern, in diesen Markt einzusteigen. Sie selbst predigen, dass die Bundesliga zehn Jahre verschlafen habe. Ist der Rückstand zur Premier League aufzuholen?

Die sind meilenweit entfernt - sie haben natürlich aufgrund der Sprache Vorteile. Sie haben in den vergangenen zehn Jahren zudem gewaltige Anstrengungen unternommen, wie übrigens auch der FC Barcelona und Real Madrid. Die Bundesliga wird aufholen, aber dazu muss sie sich jetzt positionieren. Da gilt die Ausrede nicht, dass der Saisonstart möglicherweise beeinträchtigt wird.

Woran liegt es, dass die anderen Bundesliga-Vereine zögern?

So eine Reise ist mit Strapazen verbunden. Der Trainer ist für den Erfolg seiner Mannschaft verantwortlich - und wenn er die ersten Spiele einer Saison verliert, kriegt er auf die Mütze. Also wehrt er sich gegen alles, was die Vorbereitung beeinflusst.

Es gibt auch Stimmen zur Reise des FC Bayern, die den sportlichen Sinn infrage stellen und sie für eine reine Marketing-Maßnahme halten.

Man muss aufpassen, dass man die Spirale nicht überdreht und die Kommerzialisierung zu sehr vorantreibt. Aber: So ein Flug ist längst nicht mehr so stressig ist wie noch vor 30 Jahren. Diese Reise kommt jetzt dem FC Bayern zugute - doch wenn andere Vereine wie Dortmund, Schalke, Leverkusen von besser dotierten Fernsehverträgen oder höheren Einnahmen durch Merchandising profitieren wollen, dann müssen sie kommen.

Sie sind der Außenminister des FC Bayern in den USA - wie sieht Ihre Aufgabe aus?

Ich fange ja erst im Januar an. Ich bin jetzt nur nach Portland gekommen, weil ich gerade Zeit hatte. Jetzt schaue ich mir das Ganze an - dann konkretisieren wir, was genau ich machen kann. Es gibt ja nicht nur den amerikanischen Markt, sondern auch den asiatischen. Auch dort ist die Premier League Lichtjahre voraus. Wichtig ist, so oft wie möglich präsent zu sein.

Dann können Sie auch Henry Kissinger besuchen - der wohnt schräg gegenüber vom neuen Büro des FC Bayern in New York.

Das wusste ich gar nicht - aber es wäre eine schöne Gelegenheit, ihn zu sehen.

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