Fränk Schleck verlässt die Tour de France:Vergiftete Atmosphäre, wirre Theorien

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Vor seiner fluchtartigen Abreise von der Tour de France hinterlässt Fränk Schleck noch eine abenteuerliche Erklärung für seine positive Dopingprobe. Gegen wen sich die Verschwörungstheorie einer Vergiftung richtet, hat Schleck bisher nicht gesagt - die Tour hat jedoch ihren neuesten Aufreger.

Andreas Burkert, Pau

Was für ein Gedränge. Was für Stimmung. Schaulustige schieben sich an die Barrieren im Parc Beaumont von Pau, die Menschen sind aufgeregt. Die Tour de France ist in der Stadt am Fuße der Pyrenäen, die erste schwere Etappe im bergigen Grenzgebiet zu Spanien steht an. Die Fahrer, die die Bühne besteigen, wo sie sich einschreiben müssen, werden wie jeden Tag einzeln vom Streckensprecher begrüßt. Nur Andreas Klöden, den schmalen Deutschen aus Cottbus, und seine Teamkollegen vom Rennstall RadioShack winkt der Schreihals am Mittwochmorgen ohne die übliche Erwähnung ihrer jeweiligen Heldentaten durch. Man zwinkert sich zu.

Gedopt oder vergiftet: der Luxemburger Fränk Schleck. (Foto: REUTERS)

Adieu, gute Reise, bitte weiterfahren. Hier gibt es nichts zu sehen.

Eigentlich hätte sich Team RadioShack an diesem sonnigen Morgen in Pau wieder für ein Gruppenfoto präsentieren müssen; noch ist es ja vorn in der Mannschaftswertung. Doch Frank Schleck fehlt. Sein Team hat den 32-jährigen Luxemburger am Abend zuvor auf Empfehlung der Veranstalter aus dem Rennen genommen: suspendiert wegen Dopingverdachts.

Schade, sagt Sportchef Alain Gallopin: "Wir lagen ja so gut in der Teamwertung."

Am zweiten Ruhetag der Tour meldeten sich Vertreter des Weltverbandes UCI gegen 18.30 Uhr bei Gallopin: Schleck, der Tourdritte von 2011, ein Gesicht des Radsports, hat nach der 13. Etappe eine positive Urinprobe abgegeben: Dopingfahnder fanden Spuren des Diuretikums Xipamid. Es dient Betrügern dazu, nachweisbare Mengen verbotener Substanzen unter ihre Grenzwerte zu bringen oder eben gänzlich zu verschleiern. Die Einnahme solcher Mittel gilt mittlerweile als ganz besonders dumm. "Ein Diuretikum ist einige Tage nachweisbar", sagt der Anti-Doping-Fahnder Mario Thevis vom Testlabor in Köln.

Schleck hat Frankreich fluchtartig im Morgengrauen verlassen. Zuvor, nach Verhören bei der Polizei, teilte er mit: "Ich streite kategorisch ab, irgendeine verbotene Substanz genommen zu haben. Ich habe keine Erklärung für das Ergebnis und bestehe auf die Öffnung der B-Probe, wie es mein Recht ist. Sollte die B-Probe das erste Analyse-Ergebnis bestätigen, werde ich eine Klage gegen unbekannt einreichen wegen Vergiftung."

Abenteuerliche Erklärungen ist man vom älteren Bruder des Toursiegers von 2010, Andy Schleck, allerdings gewohnt. 2008 war er bereits als Klient des spanischen Dopingarztes Eufemiano Fuentes demaskiert worden: Ihm wurde eine Überweisung vom März 2006 an die Schlüsselfigur des Puerto-Skandals über 6991 Euro nachgewiesen. Frank Schleck gilt als Nummer 25 in Fuentes' Kundenliste, als "Amigo de Birillo" - der Freund von Schlecks früherem CSC-Teamkollegen Ivan Basso, Codename Birillo, der seine Verwicklung zugab und zwei Jahre gesperrt war. Schleck gab an, er habe das Geld für Trainingspläne gezahlt, sie aber nie genutzt. Luxemburgs Anti-Doping-Agentur verzichtete auf eine Strafe.

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Gegen wen sich die Verschwörungstheorie einer Vergiftung richtet, hat Schleck bisher nicht gesagt. Gegen Flavio Becca, den Teameigner, der ihm 500 000 Euro vorenthält? Gegen Teamchef Johan Bruyneel, mit dem er überkreuz ist, der aber wie Becca ("ich bin vom Mond gefallen") nicht in Pau war, weil er ja eine Dopingklage im Rahmen der Sache Lance Armstrong am Hals hat? Oder gar gegen Pedro Celaya, den spanischen Teamarzt, der allerdings ebenfalls nicht bei der Tour ist, wegen seiner Dopingklage in der Causa Armstrong?

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Im Team hat Frank Schleck ansonsten ja nur Freunde. Der Berliner Jens Voigt verlässt im Startort Pau spät wie alle den von Kameras umzingelten Teambus. Dann sagt er: "Ich glaube ihm. Das ist kein leichter Moment für mich. Aber Frank ist mein Freund und bleibt mein Freund." Voigt, 40, fährt seit 2004 mit Schleck, lange waren sie zusammen bei CSC, so hieß früher der Rennstall des Teammanagers Bjarne Riis. Der Däne soll seine Fahrer schon 2005 zu Fuentes gebracht haben, was er bestreitet. Basso war sein Kapitän. Über den Italiener und dessen Doping sagte Voigt einst, Basso sei ein Freund, zudem telefoniere er doch jeden Abend mit der Familie.

Ein paar Meter neben RadioShack hat Riis' Saxo-Teambus geparkt. Er sei "geschockt" von der Nachricht über seinen langjährigen Leader Frank Schleck, der für ihn die Tour de Suisse und zwei Touretappen gewann: "Ich bin überrascht, ich kenne Frank ja so viele Jahre. Als er bei mir fuhr, hatte ich nie einen Verdacht."

6991 Euro. Fuentes. Hatte nie einen Verdacht. Riis, 48, sagt das ganz ernst.

Dann wird ein Zitat von Andy Schleck, 27, bekannt, aus dem Parisie n: "Bei meinem Leben und bei meiner Familie, bin ich sicher, dass Frank nichts genommen hat."

Schwüre auf die Lieben hat 2006 beim Tour-Eklat der Puerto-Affäre auch Jan Ullrichs Verbindungsmann zum Doktor Fuentes geleistet, der Belgier Rudy Pevenage.

Frank Schleck will also die Öffnung der B-Probe beantragen. Sofern ihm nicht der Nachweis einer Sabotage gelingt, dürfte er mindestens ein Jahr gesperrt werden. 2011 war der Russe Alexander Kolobnew bei der Tour positiv auf ein harntreibendes Mittel. Er wurde aber vom Internationalen Sportgerichtshof freigesprochen, weil er die Notwendigkeit der Einnahme wegen chronischer Kreislaufbeschwerden nachweisen konnte. Frank Schlecks Erklärung lautet: Vergiftung.

Und nun ist er fort. Sehr früh am Morgen ist Schleck mit seiner Familie im Auto weggefahren, offenbar nach Hause, nach Mondorf-les-Bains in Luxemburg. Seine Frau, der Schwiegervater und Töchterchen Leea hatten ihn am Ruhetag besucht. Die zweijährige Leea wurde am gleichen Datum wie ihr Daddy geboren. Eigentlich müsste ihr Vater ein Glückspilz sein.

© SZ vom 19.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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