Formel 1-Pilot Kimi Räikkönen:Schnellbootrennen im Affenkostüm

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Ganz schön heiß: Der Finne Kimi Räikkönen trägt ein Handtuch über den Sepang Circuit von Kuala Lumpur. (Foto: REUTERS)

Kimi Räikkönen gilt als größter Schweiger der Formel 1. Wenn er dann doch etwas von sich gibt, ist es in erster Linie ehrlich. Bewusst vermarktet das Lotus-Team seine sperrige Art - auch wenn er sich damit nicht überall Freunde macht.

Von René Hofmann, Sepang

Es muss angenehm sein, die Welt wie Kimi Räikkönen sehen zu können. Schön einfach. Beim Formel-1- Auftakt in Melbourne fuhr der Finne voraus. In den letzten 16 Runden hatte er keinen Gegner mehr vor sich. Nur die wesentlich langsameren Autos, die zum Überrunden anstanden, musste er noch überholen.

Weil das immerhin sechs waren und einige davon so langsam sind, dass sie den Führenden sogar zweimal vorbeilassen mussten, gibt es jetzt eine Debatte. Sollten die Chancenlosen auch künftig Platz machen müssen, wenn sich die Spitzenkräfte nähern? Oder würde es die Rennen beleben, wenn die blauen Flaggen abgeschafft werden? Mit den blauen Flaggen mahnen die Streckenposten die Unterlegenen, die Ideallinie zu räumen.

Kimi Räikkönens Meinung zu dem Thema ist so eindeutig wie eingängig: "Wenn du keine blauen Flaggen gezeigt bekommen willst, musst du halt vorausfahren." Er lächelt noch nicht einmal, als er den Satz sagt. Warum auch. Er meint ihn ja nicht als Witz.

Schnell ist vorne, langsam ist hinten. Viel mehr muss man aus Räikkönens Sicht über die Formel 1 nicht wissen. Windkanäle, Strömungsanalysen, Simulatoren, Hochleistungsrechner-gestützte Hochrechnung - der Sport stilisiert sich gerne als Wissenschaft. Räikkönen ist die personifizierte Antithese zu all dem.

"Das schnellste Lebewesen auf vier Rädern": So hat Gerhard Berger ihn genannt, als er als Mitbesitzer von Toro Rosso noch regelmäßig an die Rennstrecken kam. Räikkönen gefiel Berger. Der Österreicher war ähnlich gewesen: ein kerniger Kerl, der sich vor allem auf sein Talent, seine Instinkte und seinen Mut verlassen konnte.

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Im vergangenen Jahr, als Räikkönen nach zwei Jahren Rallye-WM in die Formel 1 zurückkehrte und in Abu Dhabi schon einmal vorausfuhr, gab es einen denkwürdigen Dialog am Funk. Als der Renningenieur Räikkönen aufgeregt einen Schwall Informationen ins Cockpit funkte, kam von dort zurück: "Lass mich in Ruhe! Ich weiß schon, was ich tue." Der Spruch wurde berühmt. Es gibt T-Shirts, auf denen er prangt. Sie verkaufen sich recht gut.

In seiner ersten Formel-1-Zeit fuhr Räikkönen für Sauber, für McLaren, für Ferrari. In den drei Teams gaben sich damals viele Leute Mühe, den Sonderling als gar nicht so ungewöhnlich darzustellen. Bei Lotus, wo Räikkönen jetzt gelandet ist, verfolgen sie eine andere Strategie: Sie streichen die Besonderheiten des 33-Jährigen bewusst heraus.

Vor dem Auftaktrennen verteilte Lotus USB-Sticks in Form eines Magnum-Eises. 2009 beim Rennen in Malaysia hatten die TV-Kameras eingefangen, wie Räikkönen genüsslich in ein solches Eis gebissen hatte, als das Rennen wegen eines Regengusses unterbrochen worden war und die Rivalen auf der Start- und Zielgeraden nervös auf den Neustart warteten.

Andere Geschichten, die Räikkönens Ruf als eher lebenslustigen Gesellen begründeten, spielten sich bei einem Schnellboot- Rennen in Finnland ab, das er mit Freunden in Affenkostümen bestritt, bei einem Ski-Doo-Wettbewerb in Österreich, bei dem er unter dem Pseudonym James Hunt antrat - oder in einem Londoner Nachtclub, in dem Räikkönen nach Angaben nicht nur örtlicher Boulevard-Medien recht bereitwillig mehr Kleidungsstücke ablegte als er anbehielt.

Seinem Team sagte der Finne einst über Funk, sie sollten ihn in Ruhe lassen: "Ich weiß schon, was ich tue." (Foto: AFP)

Wenn es darum geht, mit den Ingenieuren die Daten zu studieren, zeigt sich Räikkönen dagegen weit weniger kommunikativ. Bei Ferrari verzweifelten sie an seiner Schweigsamkeit. Gleich im Premierenjahr 2007 triumphierte Räikkönen zwar mit den Italienern. Aber der Coup glückte nur, weil die Favoriten von McLaren sich selbst ein Bein stellten. Und er blieb ein Zufallserfolg. Er könne es ja verstehen, wenn ein Fahrer nicht viel reden wolle, meinte Ferrari-Präsident Luca Cordero di Montezemolo zum Räikkönen-Abschied zwei Jahre später. Aber gar nicht reden - das ginge nicht.

Lotus-Teamchef Eric Boullier sieht das offenbar anders. Er hat sich mit dem, was er von Räikkönen erwarten kann, arrangiert: "Ich denke, es gibt auf der ganzen Welt niemanden, der Kimi sagen kann, was er machen soll. Also werde ich damit bestimmt nicht anfangen", sagt Boullier.

Auf 20 Siege hat es Räikkönen so mittlerweile gebracht. Glückt ihm noch einer, überholt er Mika Häkkinen. Dann ist er der erfolgreichste Finne in der Formel 1. Räikkönen verfügt über ein außergewöhnliches Fahrgefühl. Aber wie bei vielen Hochbegabten, die nicht unbedingt den Fleiß zum Freund gewinnen konnten, stellt sich die Frage: Wie viel mehr hätte er wohl noch erreichen können, wenn er wirklich alles aus seinen Möglichkeiten gemacht hätte?

Die Aussichten, dass er mit Lotus noch einmal um den Titel kämpfen kann, sind eher so grau wie der Tropenhimmel oft über der Rennstrecke in Sepang in Malaysia hängt, wo an diesem Wochenende das zweite Saisonrennen gestartet wird (Qualifikation: Sa., 9 Uhr/Rennstart: So., 9 Uhr). Lotus hat weniger Geld als Red Bull, Ferrari, McLaren oder Mercedes.

"Hätten wir mehr Sponsoren, hätten wir im Kampf gegen diese Teams bessere Chancen", sagt Räikkönen. Aber besonders ernüchtert klingt er dabei nicht. Seinen Triumph in Melbourne hat er nicht groß gefeiert. Sein Flug ging Sonntagnacht noch. Aber auch auf die verpasste Party-Gelegenheit hat Räikkönen eine außerordentlich pragmatische Sicht: "Wenn du willst, gibt es immer was zu feiern."

© SZ vom 23.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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