Formel 1:Stiernacken übernehmen die Cockpits

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Fahrweise und Fitness werden in der Formel 1 künftig einen noch größeren Unterschied machen. (Foto: dpa)
  • Breiter, bulliger, aggressiver: Nicht nur die Autos in der Formel 1 legen zu - auch die Fahrer müssen sich Muskeln antrainieren.
  • Denn die Autos, die schneller und schwieriger zu fahren sein werden, erfordern auch eine radikale Umstellung in der Vorbereitung der Piloten.
  • "Das wird echt hart", sagt etwa Renault-Fahrer Nico Hülkenberg, "im Vergleich dazu war das früher eine Kaffeefahrt."

Von Elmar Brümmer, Melbourne

Nico Hülkenberg, neuer Werksfahrer im Renault-Rennstall, ist Sohn eines Spediteurs vom Niederrhein. Bei den letzten Testfahrten zum Großen Preis von Australien am Wochenende fühlte sich der 29 Jahre alte Grand-Prix-Pilot an seine Jugend im elterlichen Fuhrunternehmen erinnert: "Wenn eines der neuen Autos an einem vorbeifährt, denkst du: Was ist das für ein Lkw?" Breiter, bulliger, aggressiver, so wird sich zum Saisonauftakt nicht nur die neue Fahrzeuggeneration präsentieren. Vergleichbar zulegen müssen auch die Männer in den Cockpits.

Das ist eine gute Nachricht für Fahrer wie Hülkenberg oder seinen Kollegen Jolyon Palmer, die zu den größeren und gewichtigeren Athleten im Kreise der PS-Jockeys gehören. Dank des veränderten Reglements werden die Rennwagen zur neuen Saison nicht nur spektakulärer, sondern auch deutlich schwerer, und das Gewicht der Piloten muss nicht mehr in Gramm kalkuliert und abtrainiert werden. Doch die Autos, die schneller und schwieriger zu fahren sein werden, erfordern auch eine radikale Umstellung in der Vorbereitung der Steuermänner. Statt Magerwahn ist nun Muskelmasse gefragt. Die neue Formel 1 wird zur Formel Fit.

Lewis Hamilton hält den Speed für "jenseits aller Vorstellungskraft"

Schon in den Simulatoren bekamen die Top-Piloten einen Eindruck von den Strapazen. "Das wird echt hart", sagt Hülkenberg, "im Vergleich dazu war das früher eine Kaffeefahrt." Rückzugs-Weltmeister Nico Rosberg ist wohl tatsächlich froh, dass er sich nur noch ums Kinderwagenschieben kümmern muss: "Bei den Kollegen werden am Ende des Rennens Kopf und Zunge hängen."

Bis zu 40 km/h mehr in der Kurven, bis zu fünf Sekunden schneller auf eine Runde - da zerren die Fliehkräfte an einem, egal, wie festgeschnallt man im Sitz ist. Lewis Hamilton, mit seinem Silberpfeil der erste Titelaspirant, vergleicht das Dasein in den veränderten Rennwagen mit "Achterbahnfahren", den neuen Speed und die Belastungen hält er für "jenseits aller Vorstellungskraft". Dass alles aggressiver wird, passt perfekt zum Fahrstil des Briten. Davon, dass seine Bauchmuskeln auf Reglementhöhe sind, zeugen zahlreiche Selfies in den Sozialen Netzwerken.

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"Egal, wie viel wir trainiert haben, ich rechne erst mal mit einem steifen Nacken", ahnt Max Verstappen. Der Niederländer hat wie Red-Bull-Kollege Daniel Ricciardo täglich Kraft gebolzt über den Winter. Häufig werden die Übungen im Fitnessstudio mit aufgezogenem Helm durchgeführt, es gilt über einen Zugseil-Mechanismus immer höhere Gewichte mit der Halsmuskelkraft zu sich hin zu bewegen und zu halten.

Der Mensch bekommt einen Eindruck davon, warum Schikanen ihren Namen zu recht tragen. "Durch die höheren Geschwindigkeiten kommen die Kurven schneller auf einen zu. Auch im Zweikampf muss man möglicherweise schneller reagieren", sagt Ricciardo über die neuen Herausforderungen. "Das ist ein Auto für echte Männer", weiß Esteban Ocon von Force India. Die Männer werden an ihr Limit getrieben. Das Comeback der Stiernacken.

Die Botschaften der Rennfahrer während der vermeintlich ruhigen letzten Monate konzentrierten sich daher meist auf Bilder aus den Folterkammern. Hamilton an den Ringen, Ricciardo scheinbar meditierend, aber mit einer Gewichtsscheibe um den Hals baumelnd. Bei anderen Übungen sind 75 Wiederholungen nicht das Limit, sondern der Standard. Carlos Sainz junior frönte exzessivem Cross-Fit-Training und fuhr Gokart - mit zwei Kilo schweren Metallplatten auf dem Helm.

Die meisten Fahrer holten sich die Kondition beim Schwimmen; Koordination wird häufig an Kletterwänden geschult, nicht selten lösen die Fahrer während der sportlichen Übungen auch Denksportaufgaben, die ihnen die Trainer zurufen - so wird die im Cockpit allgegenwärtige Doppelbelastung von Körper und Kopf simuliert. "Alles, was mit Reaktion und Reflexen zu tun hat, ist von Nutzen", sagt Ricciardo. Angesichts der breiteren und schwereren Reifen wurden auch den Boxenmannschaften Sonderschichten im Fitnessraum verordnet.

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Viele Piloten trainieren nach ähnlichen Prinzipien wie Profiboxer, etwa mit Speed-Bällen, die am Boden und an der Decke festgemacht sind - so werden Rhythmus und Genauigkeit geschult. Fast alle absolvieren auch mehrstündige Einheiten auf dem Rennrad, mit vorher genau definierten Pulsfrequenzen. Die persönlichen Physiotherapeuten - Hamilton beschäftigt davon gleich zwei - weichen ihren Schützlingen seit Wochen nicht mehr von der Seite. Sie überwachen auch die Ernährungspläne. Die Erfolgsformel fürs Training ist einfach: Wer sich um seine Konstitution keine Sorgen machen muss, kann sich ganz aufs Fahren konzentrieren - und macht trotz höherer Belastung weniger Fehler.

Für den Berufsstand Formel-1-Pilot sind die gesteigerten physischen und psychischen Anforderungen in der Summe ein Segen: Nie waren die Fahrer so wertvoll wie heute. Ihre Fahrweise wird tatsächlich einen großen Unterschied machen. Ihre Fitness auch.

© SZ vom 23.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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