Formel 1:Bitte einbremsen

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Sebastian Vettel (r.) hat sich selbst in die Mercedes-Garage eingeladen - zur Spionage. Nico Rosberg (l.) war einverstanden, Lewis Hamilton irritiert. (Foto: Andy Brownbill/AP)

Angesichts der Mercedes-Dominanz bei der Formel 1 ist die Konkurrenz so verzweifelt, dass schon gefordert wird, der Weltverband möge die Regeln ändern. Red Bull setzt sich dabei dem Hohn des Spitzenreiters aus.

Von René Hofmann, Melbourne

Wäre die Formel 1 eine Show, sie müsste rasch etwas ändern. Die Kritiken zur Uraufführung am Sonntag in Melbourne - sie waren verheerend. "Abgestanden wie Abwaschwasser" sei der Australien-Grand-Prix gewesen, kommentierte The Australien, der langweiligste aller zwanzig, die seit 1996 im Albert Park stattfanden, urteilte The Age : "Wäre es ein Boxkampf gewesen, der Ringrichter wäre nach zwei Runden eingeschritten. Wäre es ein Nachwuchs-Fußballspiel gewesen, es wäre wegen der Gnadenregel abgebrochen worden. Ein Rennen zum Vergessen."

Sieger Lewis Hamilton und sein zweitplatzierter Mercedes-Kollege Nico Rosberg waren vom Start weg vorne. Der Einzige, der ihnen nahe kam an diesem Nachmittag, war Arnold Schwarzenegger, der nach der Siegerehrung als Interviewer vor die Menge trat. Im vergangenen Jahr hatte Rosberg das erste Rennen der Saison gewonnen. Das Ziel hatte er 24,5 Sekunden vor Daniel Ricciardo im Red Bull erreicht, der später wegen einer Benzin-Affäre disqualifiziert wurde. Dieses Mal distanzierte das Mercedes-Duo den nächsten Verfolger, Sebastian Vettel im Ferrari, um mehr als 30 Sekunden. Und dabei offenbarten sie wohl noch nicht einmal ihre ganze Stärke.

Selbst Nico Rosberg wünscht sich stärkere Gegner

"In die Richtung weniger Leistung gibt's weniger Klicks als in die Richtung noch mehr Leistung", sagt der ehemalige Formel-1-Fahrer und jetzige ORF-Experte Alexander Wurz über die Motoreinstellungen der Silbernen. "Mir tut es leid für die Fans", entschuldigte sich Daniel Ricciardo, der einzige Australier am Start, der eine Woche lang gefeiert worden war, am Ende als Sechster aber als erster Überrundeter dastand: "Es war echt frustrierend."

Selbst Rosberg wünschte sich, dass die Konkurrenz näher rücken möge: "Das wäre wichtig für den Sport und für die Show." Aber der 29-Jährige weiß auch, dass dies so schnell kaum kommen wird: "In den nächsten Rennen werden wir sicher wieder vorausfahren." Die Befürchtung ist sogar: Selbst im internen Mercedes-Duell könnte es langweiliger werden. Vorige Saison war zumindest der Wettkampf zwischen Rosberg und Hamilton spannend. Mal war der Brite voraus, mal der Deutsche. Mal kamen sich beide auf der Strecke so nahe, dass es krachte. Hamiltons Auftritt in Melbourne aber ließ keinen Zweifel daran, wer als Favorit zu gelten hat.

Im vergangenen Jahr stand Hamilton in 19 Rennen sieben Mal auf der Pole Position. Sechs Mal fuhr er von dort zum Sieg. Diese Quote ist beeindruckend. Rosberg okkupierte elfmal den besten Startplatz, errang von dort aus aber lediglich drei Triumphe. Nun distanzierte Hamilton seinen Teamrivalen am Samstag in der Qualifikation gleich um sechs Zehntelsekunden. Das war ein Zeichen: 2015 gedenkt er, sich noch öfter gleich vom Start weg aus dem Staub zu machen.

Als Start-Zweiter hatte Rosberg sich fürs Rennen viel vorgenommen. Über die Reifenstrategie wollte er Hamilton in die Enge treiben; durch Benzinsparen sich einen Vorteil für den Schlussspurt verschaffen. All das half nichts. Im Gegenteil. In der Nachbesprechung mit den Ingenieuren erwartete Rosberg die niederschmetternde Nachricht, dass Hamilton nicht nur schneller war. Er hatte auch weniger Benzin verbraucht. "Das kann keiner erklären", sagte Teamchef Toto Wolff. Es klang, als habe Hamilton ein Wunder vollbracht.

Die Konkurrenz ist ob der Mercedes-Prozession so verzweifelt, dass sie nicht mehr daran glaubt, dass die Aufholjagd aus eigener Kraft glücken kann. Deshalb werden schon höhere Mächte angerufen: "Wir sind unzufrieden damit, wie die Formel 1 regiert und geführt wird", grummelt Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko und droht: Falls sich nichts ändert, könne Firmengründer Dietrich Mateschitz "seine Leidenschaft für die Formel 1 verlieren". Für die Serie wäre das fatal. Weil Mateschitz auch das Team Toro Rosso gehört, stellt er ein Fünftel des Teilnehmerfeldes.

"Verdammt nochmal, reißt euch zusammen"

Was sich ändern könnte? Red-Bull-Teamchef Christian Horner hat Ideen: "Als wir ständig gewonnen haben, wurden die Doppeldiffusoren verboten, die Auspuff-Vorschriften geändert, flexible Flügel verboten und sogar mitten in der Saison die Motoreneinstellungen modifiziert. Alles Mögliche wurde getan." Heißt: Der Automobilweltverband soll die Überlegenen bremsen, egal wie! Mercedes-Teamchef Toto Wolff ist davon nicht angetan: Nach einem Rennen zu winseln und sozialistische Gleichmacherei zu fordern - "wir haben das in der Vergangenheit so nicht gemacht". Den Geschlagenen rät er: "Verdammt noch mal, reißt euch zusammen. Arbeitet hart, löst eure Probleme!" Als Alternative nennt er: "Es gibt da in Jerusalem diese Klagemauer, da kann man hingehen."

Was in Melbourne die Langeweile zusätzlich befeuerte: Das Feld war so ausgedünnt, dass es auch hinter Mercedes nicht eng zuging. Lediglich 15 Autos am Start, nur elf im Ziel: Der Defektteufel schlug so häufig zu, dass die Zeitung The Age höhnte, der Große Preis habe eher ausgesehen wie eine Generalprobe. Zumindest das könnte sich in zwei Wochen in Malaysia ändern. Die Strecke in Sepang gilt mit ihrer Kurvenfolge allerdings ebensowenig als Garant für packende Manöver wie die Kurse in Shanghai und in Bahrain, auf denen es anschließend rund geht. Zum Auftakt ihrer Welt-Tour hat die Formel 1 vier Bühnen gewählt, auf denen ihr selten prickelnde Auftritte glückten.

Die Party rund um die Show war in Melbourne übrigens gar nicht einmal so schlecht. Das Rennen, das nur wenige Kilometer vom Stadtkern entfernt rund um den Albert Lake steigt, wird als Automesse inszeniert, die viele zum Picknick im Park nutzen. Das Konzept zieht auch nach zwanzig Jahren noch. Am Freitag kamen fast 50 000 Zuschauer, am Samstag fast 80 000. Am Sonntag waren die Schlangen vor den Kassenhäuschen noch länger. Und all das, obwohl die örtliche Boulevardzeitung schon in der vergangenen Woche geschrieben hatte: "Im Albert Park gibt es am Wochenende das Feinste aus der Welt der Autos zu sehen. Und daneben ein Formel-1-Rennen."

© SZ vom 17.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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