Formel 1:Angst vor der grünen Welle

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Die Formel 1 streitet über künftige Motoren: Die Aggregate sollen kleiner, moderner und umweltfreundlicher werden. Kritiker sehen den Mythos der Rennserie in Gefahr.

René Hofmann

Das Thema ist sensibel, das lässt schon der Blick zurück erkennen. Vor knapp zwanzig Jahren verkündete Luca di Montezemolo, damals wie heute Präsident der italienischen Automarke Ferrari, in Bezug auf das Formel-1-Engagement der Firma: "Der Motor ist das Sexualorgan eines jeden Ferrari. Für uns kommt nur ein Zwölfzylinder in Frage." Als Montezemolo den Ausspruch tat, war er - auch technisch betrachtet - schon nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Renault, Ford und Peugeot bauten für die Rennserie damals schon länger Zehnzylinder-Triebwerke, die ein viel besseres Verhältnis von Leistung und Gewicht hatten. 1996 zogen dann auch die stolzen Italiener nach, die so lange und gerne mit der schieren Größe geprotzt hatten.

Bei Ferari hielt man lange am Zwölfzylinder-Motor fest, denn: "Der Motor ist das Sexualorgan eines jeden Ferrari", glaubte Luca di Montezemolo. (Foto: dpa)

Zehn Jahre später war es auch mit den Zehnzylinder-Triebwerken vorbei. Seit 2006 werden die Rennwagen von Maschinen angetrieben, die mit acht Zylindern aus 2400 Kubikzentimeter Hubraum Kraft schöpfen. Nun aber steht bald wieder ein Systemwechsel an. Ab 2013 soll alles anders werden. Eine Motoren-Kommission hat sich konstituiert, getagt - und nun einen ersten Vorschlag vorgelegt. Den allerdings empfinden Puristen als Kulturschock.

Nur noch Golf-Werte

Künftig sollen bei den Aggregaten, die die Formel-1-Autos antreiben, nur noch vier Brennkammern gefüllt werden, die zusammen auf 1600 Kubikzentimeter Hubraum kommen. Das sind Werte, wie sie jeder biedere Golf aufweist. Damit es trotzdem gewohnt flott dahingeht, soll die Turbo-Technik zurückkehren, die in der Formel 1 in den achtziger Jahren schon einmal erlaubt war. Bei Turbos wird die Leistung gesteigert, indem über eine Turbine im Abgasstrom das Luft-Benzin-Gemisch verdichtet wird.

Die Frage, ob eine Renaissance dieser Technik sinnvoll ist, geht weit über technische Herausforderungen hinaus. Im Kern geht es darum, wie die höchste Kategorie des Automobil-Sports überhaupt zukunftsfähig bleiben kann. Und da gehen die Meinungen weit auseinander. Mit kleineren Motoren würde die Formel1 einem Trend folgen, den es im Serienwagenbau gibt: Der Benzinverbrauch ist bei vielen Kunden inzwischen ein wichtiger Faktor, für welches Auto sie sich entscheiden, und die Politik übt über Grenzwerte, wie viel Kohlenstoffdioxid die Flotte eines Herstellers ausstoßen darf, zusätzlich Druck aus. Deshalb arbeiten alle Firmen daran, den Durchschnittsverbrauch zu senken. Das geht am einfachsten, indem die Motoren schrumpfen. Diese Entwicklung würde die Formel 1 nachempfinden.

"Die Achtzylinder werden irgendwann zu einer archaischen Technik werden, so etwas wie eine Harley Davidson", prophezeit Adrian Newey, 51. Der Cheftechniker des Red-Bull-Teams ist sich deshalb sicher: "Es muss einen Wechsel geben." Die kniffelige Frage sei nur: Wie sollte der am geschicktesten ausfallen? Formel-1-Motoren zu produzieren ist aufwendig. Aktuell gibt es lediglich drei Anbieter: Ferrari, Mercedes und die britische Firma Cosworth. Honda, Toyota und BMW haben sich zurückgezogen.

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Ferrari hat als erstes Formel-1-Team sein neues Auto für die kommende Saison vorgestellt. Mit dem F10 will die Scuderia nach einem enttäuschenden Jahr wieder zurück an die Spitze fahren.

Damit bald vielleicht wieder mehr Marken Lust auf den Sport haben, wäre es gut, wenn dort Technik zum Einsatz käme, bei deren Entwicklung sich auch etwas für Bau von Serienfahrzeugen lernen lässt. "Wenn die Entwicklung, die für die Rennmotoren betrieben wird, für die Firmen wirklich relevant ist, lassen sich die Ausgaben dafür leichter rechtfertigen, als wenn es nur um Marketing geht", glaubt Newey.

Arbeitsplätze in Gefahr? In der Formel 1 wird diskutiert, künftig nur noch Motoren mit 1600 Kubikzentimetern Hubraum zuzulassen. (Foto: picture-alliance/ dpa)

Das ist die eine Seite der Geschichte. Diejenige, die für die Schrumpfkur spricht. Doch es gibt auch Bedenken. Lebt die Formel 1 nicht vor allem, weil sie einen Mythos kreiert hat? Und gründet dieser Mythos nicht vor allem darauf, dass es bei dem Spektakel eben nicht politisch korrekt und ökologisch rücksichtsvoll zugeht? Ist das Schrille und das Laute, das Unvernünftige an sich, nicht der eigentliche Reiz des Zirkus'? Und wird am Ende nicht genau dieser Reiz beschädigt, wenn im Innersten, bei den Motoren, nun ein so grundlegender Wandel stattfindet?

So pointiert traut sich von den Beteiligten niemand, die Einwände öffentlich zu formulieren, doch die Zurückhaltung ist deutlich zu vernehmen, beispielsweise wenn McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh, 52, sagt: "Wir müssen schauen, dass wir für die Gesellschaft und den technischen Fortschritt relevant bleiben. Aber die Motoren müssen auch weiter toll klingen. Es muss ein Spektakel bleiben, wenn die Autos fahren." Mit anderen Worten: Auch künftig soll es bitte laut und wild zugehen!

Erinnerungen an die Achtziger

Etwa 60 Liter verbrauchen die aktuellen Formel-1-Motoren für 100 Kilometer im Renntempo. Auf den ersten Blick ist das viel. Doch die Werte lassen sich schönrechnen. Gemessen an der entfesselten Leistung von gut 700 PS holen die Aggregate aus jedem Liter Benzin mehr heraus, als das bei vielen normalen Autos der Fall ist. Der Technologie-Transfer hielt sich trotzdem in Grenzen, weil die Anforderungen, die an die Motoren gestellt werden, zu unterschiedlich sind. Aus dem gleichen Grund dürfte das auch in Zukunft so bleiben.

Letztlich geht es deshalb vor allem darum, eine Lösung zu finden, die sich beiden Seiten vermitteln lässt: der immer kritischer zuschauenden Öffentlichkeit und den Enthusiasten, die immer noch den Großteil des Publikums stellen. Williams-Technikchef Sam Michael, 39, erinnert vorsorglich schon einmal an die achtziger Jahre: "Damals sind wir ebenfalls mit Vier- und Sechszylinder-Turbo- Motoren gefahren und niemand hat sich beschwert: ,Das ist kein Rennsport mehr, das ist zu grün.'"

© SZ vom 22.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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