Motorsport:Formel 1: Diese Posse übertrifft alles

Lesezeit: 3 min

Wegweisend: Formel-1-Vermarkter Bernie Ecclestone. Der Brite feiert im Oktober seinen 86. Geburtstag. (Foto: Diego Azubel/dpa)

Die Teams waren empört, die Zuschauer erst recht - trotzdem hält die Formel 1 am umstrittenen neuen Qualifikationsmodus fest. Es ist eine Machtdemonstration.

Von René Hofmann, München

Bei Toto Wolff klingt Frust durch. "Nach einem wenig beeindruckenden Einstand in Melbourne sehen wir an diesem Wochenende erneut das neue Qualifying-System im Einsatz. Wir haben mit dieser Änderung nicht das richtige Format gefunden und es ist schwer, daran zu glauben, dass es für die Fans an diesem Wochenende in Bahrain unterhaltsamer sein soll", ließ der Sportchef der Marke Mercedes in dieser Woche verlauten.

Wolff, 44, weiß: " Unser Sport steht diesbezüglich unter Beobachtung." Und deshalb fordert er: "Wir müssen genau nachdenken, um koordinierte, intelligente Schritte aus dieser Situation heraus zu machen. Die Fans wünschen sich enges Racing, einen Modus, den sie verstehen, sowie Duelle zwischen den besten Fahrern und Autos der Welt - und zwar in dieser Reihenfolge. Das sollten wir den Menschen auf den Tribünen und in aller Welt liefern."

Debatte um Formel-1-Boss
:Formel-1-Piloten kritisieren Ecclestones "zerstörerischen Einfluss"

Die Fahrer haben genug vom System des langjährigen Chefs: In einem Offenen Brief fordern sie Reformen.

Geliefert bekommen werden die Zuschauer an diesem Samstag, wenn ab 17 Uhr in Bahrain die Startaufstellung für das zweite Rennen der Saison ermittelt wird, aber wohl wieder nur Schrott. Ein Ausscheidungs-Fahren, bei dem am Ende von drei Durchgängen im 90-Sekunden-Rhythmus der Langsamste ausscheidet. Ein Modus, der beim Saisonauftakt vor zwei Wochen in Australien dazu führte, dass die Blicke in den ersten zwei Durchgängen nicht darauf gelenkt wurden, wer der Schnellste war, sondern wer der Langsamste - und am Ende nur noch eine leere Strecke zu sehen war.

Von wegen Einigung

Gut vier Minuten vor Ablauf des finalen Countdowns stellten alle Teams den Fahrbetrieb ein; weil sie Reifen sparen wollten. Stunden vor dem Rennen einigten sich alle elf Rennställe in einer Eil-Sitzung deshalb darauf, dass es so nicht weitergehen darf und verabredeten einstimmig die Rückkehr zum Qualifikations-System der vergangenen Jahre. Daraus aber wird nun doch nichts.

Die Formel 1 hat schon viele kuriose Entscheidungen erlebt, die Posse um das Qualifikationsformat aber übertrifft fast alles. Regeländerungen während einer Saison müssen einstimmig verabredet werden. Das Gremium, in dem dies formal zu geschehen hat, ist die sogenannte Formel-1-Kommission. Als diese wenige Tage nach dem Rennen in Melbourne zusammenkam, scherten aber mehrere Rennställe aus; die Rede ist von Red Bull, Toro Rosso, McLaren und Williams. Die Abtrünnigen konnten allerdings einen guten Grund für ihre Kehrtwende anführen: Das, worauf sich alle Teams in Australien geeinigt hatten, stand gar nicht zur Abstimmung.

Sieben Kurven
:Formel 1: Schwarzenegger posiert auf der Zielgeraden

Der Österreicher unterhält das Rennpublikum, Sebastian Vettel ist begeistert vom Start und Bernie Ecclestone sendet die Botschaft: Baut Flutlichtmasten. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Der Automobilweltverband FIA, der das Vorschlagsrecht hat, bot lediglich zwei Varianten an: ein Ausscheidungsfahren wie in Melbourne. Oder eines, bei dem lediglich der entscheidende dritte Durchgang im Sinne der alten Regeln modifiziert wird. Nach dem ersten gescheiterten Test gleich ein neues Experiment zu starten - das erschien vielen zu gewagt. So bleibt erst einmal alles, wie es zuletzt war: schlecht.

In Melbourne hatten am Samstag viele Zuschauer enttäuscht vorzeitig die Tribünen verlassen. Das Echo auf die Qualifikation war verheerend gewesen. In einem Offenen Brief hatte die Fahrergewerkschaft GPDA, zu deren Anführern der viermalige Weltmeister Sebastian Vettel gehört, anschließend den "zerstörerischen" Einfluss mancher Regeländerungen beklagt und kritisiert, "dass der Prozess der Entscheidungsfindung in diesem Sport überholt und schlecht strukturiert ist". Die Fahrer ersuchten alle Verantwortlichen deshalb, "die Führungsstruktur zu überdenken".

Motorsport
:Heiligenschein für mehr Sicherheit in der Formel 1

Nach dem Unfall von Fernando Alonso will die Rennserie noch sicherer werden. Es gibt eine neue Idee - doch die ist umstritten.

Von René Hofmann

Derlei - eindeutig sportpolitische - Äußerungen der Protagonisten besitzen Seltenheitswert. Der Vorgang zeigt, wie angespannt die Stimmung ist - und wie weit verbreitet die Angst, im Wettrennen um die Publikumsgunst, den Anschluss zu verlieren. Kurz nach dem Saisonstart war bekannt geworden, dass es die Rennen ab 2019 in Großbritannien fast nur noch im Pay-TV zu sehen gibt. Lediglich der Grand Prix von Großbritannien soll dort, wo die meisten Teams ihre Zentralen haben, frei empfangbar sein. Bei den Bestrebungen, ein Massenphänomen zu bleiben, hilft das der Formel 1 sicher nicht.

Ecclestone reagiert mit Zynismus

Eine zentrale Rolle im Machtgeflecht der Rennserie spielt - auch im Alter von nunmehr 85 Jahren - weiter Bernie Ecclestone. Der Vermarkter reagierte auf die Anklage der Fahrer auf die ihm eigene Art: mit Zynismus. In einem Antwort-Schreiben, das die BBC als Faksimile veröffentlichte, ließ er die Fahrer wissen: Sie hätten völlig recht, der Entscheidungsprozess sei tatsächlich überholt und schlecht strukturiert und müsse dringend geändert werden. Zwischen den Zeilen war aber klar, was dem Impresario wirklich missfällt: Dass inzwischen zu viele mitbestimmen.

Zug um Zug hatten die Teams Ecclestone und der FIA diese Einflussmöglichkeiten in den vergangenen Jahren abgetrotzt. Gefallen hat das den über Jahrzehnte maßgeblichen Instanzen nicht. Offen sagt es niemand, der Schluss aber liegt nahe: In Wahrheit ist die Posse um die Änderung des Qualifikationsformats wohl nichts anderes als eine Retourkutsche und eine Demonstration, wer noch immer das Sagen hat.

© SZ vom 31.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: