Motorsport:Heiligenschein für mehr Sicherheit in der Formel 1

Fernando Alonso

Was vom Auto übrig blieb: Fernando Alonso entstieg dem Schrotthaufen, das einmal sein Rennwagen war, unverletzt.

(Foto: AP)
  • Nach dem Unfall von Fernando Alonso beim ersten Rennen der Saison 2016 diskutiert die Formel 1 über Sicherheit.
  • Bereits 2017 könnte ein Bügel über dem Cockpit Pflicht werden, der für weiteren Schutz sorgen soll - doch die Idee ist umstritten.
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Von René Hofmann, Melbourne

Fernando Alonso dachte als erstes an seine Mutter. Der Spanier wusste: Sie war früh aufgestanden, um den Saisonauftakt der Formel 1 am Fernseher zu verfolgen. Er wusste im Moment zwar nicht, wo er war, aber er wollte ihr zeigen, dass es ihm gut ging.

Also krabbelte Fernando Alonso so schnell wie möglich aus seinem völlig zerstörten Formel-1-Auto und wankte durchs Kiesbett. Die Kameras fingen die Szene ein, woraufhin nicht nur Alonsos Angehörige aufatmeten. Das war gerade noch einmal gut gegangen.

"Ich bin froh und glücklich, hier zu sein", sagte Alonso, zurück im Fahrerlager, wo er die Szene erklärte, die bei der Siegfahrt von Mercedes-Mann Nico Rosberg die meisten Zeitlupen-Wiederholungen nach sich gezogen hatte. Auftakt zur neuen Formal-1-Saison in Melbourne am Sonntag: Auf der langen Geraden, die auf die Kurve Nummer drei des Albert Park Circuit zuführt, hatte Alonso sich in Runde 17 mit seinem McLaren-Honda in den Windschatten des vor ihm fahrenden Haas- Ferrari des Mexikaners Esteban Gutiérrez gepirscht, um diesen zu überholen und Platz zwölf zu erobern.

Alonso fuhr 310 km/h, Gutiérrez fast 310, als Folgendes geschah: Der Hybrid-Motor im Haas-Ferrari ging, weil seine Vorräte an elektrischer Energie aufgebraucht waren, in den Lade-Modus, Gutiérrez hatte plötzlich wesentlich weniger Kraft zur Verfügung. Ohne dass er vom Gas ging oder auf die Bremse trat, verlor sein Wagen an Schwung.

"Die Sicherheit der heutigen Autos ist einfach nur unglaublich."

Eigentlich warnt eine Lampe die Hinterherfahrenden, wenn derlei passiert. Weil es so schnell ging, übersah Alonso diesen Hinweis aber, vielleicht war er, weil er überholen wollte, auch schon zu weit links neben Gutiérrez, um das Blinklicht zu sehen. In jedem Fall traf er mit seinem rechten Vorderrad in voller Fahrt das linke Hinterrad des Gegners.

Was dann folgte, hat das Zeug zum Youtube-Klassiker: Alonsos Auto schoss gegen die Begrenzungsmauer und danach bohrte es sich ins Kiesbett, wo es sich mehrmals überschlug. Erst nach rund 100 Metern kam es - völlig zerstört und mit der Bodenplatte nach oben - zum Liegen. "Man sieht den Himmel, dann wieder den Boden, dann wieder den Himmel und dann wieder den Boden", beschrieb Alonso die Szene aus seiner Perspektive: "Du willst, dass es aufhört, aber es hört einfach nicht auf."

Die Rennkommissare ermittelten nach dem Crash, sprachen aber keinem der Beteiligten eine Schuld zu. Der Automobilweltverband wird in den nächsten Tagen die Fahrtenschreiber auswerten, um den Unfallhergang zu rekonstruieren und zu schauen, ob im Sinne der Sicherheit Schlüsse gezogen werden können. Das ist Standard in derlei Fällen.

Ein Schluss lässt sich aber bereits ziehen, bevor die exakten Daten vorliegen: Der Unfall ist ein weiterer Beleg dafür, wie sicher die Rennwagen geworden sind. "Die Sicherheit der heutigen Autos ist einfach nur unglaublich", richtete der einstige Weltmeister Nigel Mansell über seine Social-Media-Kanäle aus. Der Brite schrieb: "Glückwunsch an alle Ingenieure und Konstrukteure!"

Der "Heiligenschein" soll Sicherheit weiter erhöhen

Alonsos Teamkollege Jenson Button konnte kaum glauben, was er beim Passieren der Unfallstelle sah: "Es hat mich überrascht, dass Fernando da einfach so ausgestiegen ist", sagte der 36-jährige Brite, der neben Sebastian Vettel eine führende Rolle in der Fahrergewerkschaft GPDA spielt. "Das zeigt, wie weit wir mit unseren Sicherheitsbestrebungen gekommen sind", sagte Button, "es zeigt aber auch, wie viele mögliche Gefahren es immer noch gibt."

Um die Sicherheit weiter zu erhöhen, soll es im kommenden Jahr eine weitere Neuerung geben: einen massiven Bügel, der horizontal über die Cockpit-Öffnung geführt wird. Der Arbeitsname für den Aufbau heißt "Halo", zu Deutsch Heiligenschein, weil der Bügel sich wirklich wie ein solcher über den Kopf des Fahrers spannt. Der Aufbau soll verhindern, dass Fahrer von abgerissenen Rädern oder anderen großen Trümmerteilen am Kopf getroffen werden.

Bei den Wintertestfahrten experimentierte Ferrari bereits mit einem solchen Halo-Prototypen. Kimi Räikkönen, der die Proberunden unternahm, zeigte sich anschließend ebenso wie sein Teamkollege Sebastian Vettel durchaus angetan. Weltmeister Lewis Hamilton aber lehnte den Aufbau vehement ab. Begründung: Dieser sei einfach nur hässlich.

Ab 2017 könnte Halo Pflicht sein

Charlie Whiting, der Rennchef des Automobil-Weltverbandes FIA, deutete in Melbourne an, dass Halo schon 2017 Pflicht werden könnte. Die Technik sei quasi ausgereift. Das Einzige, was noch fehle, sei eine ausführliche Risiko-Einschätzung von Experten, denn es gebe durchaus auch die These, dass der Heiligenschein bei manchen Unfällen alles andere als segensreich wirken könne - beispielsweise könnte der Bügel ein kleineres Trümmerteil durchaus auch vom Kopf weg hin zu einem noch schlechter geschützten Körperteil des Piloten lenken. Auch sei zu klären, ob der Bügel die Bergung eines Piloten aus einem Auto verkomplizieren könne, wenn dieses sich überschlagen hat.

Fernando Alonsos Unfall beim Großen Preis in Melbourne ist in diesem Zusammenhang ein interessantes Studienobjekt. Mit Halo wäre er sicher nicht so schnell aus dem Auto gekommen. "Das aber hätte ja nichts gemacht", gab Fahrer-Vorsprecher Jenson Button zu bedenken, "ihm ging es ja gut im Auto." Fernando Alonso selbst wollte sich nach all den Überschlägen zum Thema "Halo - ja oder nein" nicht äußern. Er war erst einmal nur froh, alles überstanden zu haben.

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