Fifa-Boss Sepp Blatter:Selfie gegen unbequeme Fragen

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Zum Beweis ein Selfie: Sepp Blatter gibt sich tiefenentspannt, hier mit Arbeitern, die am Fifa-Museum in Zürich werkeln. (Foto: REUTERS)
  • Spaniens Fußballverband verklagt die Fifa wegen der Winter-WM 2022 in Katar. Selbst Blatters Vertraute rücken vom Fifa-Präsidenten ab.
  • Der Schweizer Fifa-Boss gibt sich trotz der FBI-Ermittlungen tiefenentspannt in der Öffentlichkeit und liefert der Uefa-Exekutive Diskussionsstoff für ihre Tagung.
  • Ein Blatter-Verbleib würde die europäischen Fußballverbände unter Zugzwang setzen. Manche Verbände wären zu einem WM-Boykott bereit.

Von Thomas Kistner, München

Allmählich kriegen sogar diejenigen kalte Füße, die bisher treu zu Sepp Blatter standen. Sonntagfrüh ließ Domenico Scala ein gepfeffertes Statement los. "Die Zeiten des Kokettierens mit der Macht sind endgültig vorbei", teilte der Compliance-Chef mit und nahm den Fifa-Präsidenten persönlich ins Visier: "Ich fordere alle Beteiligten - auch Herrn Blatter - auf, sich im Interesse der Reformen unmissverständlich hinter die angekündigte Wachablösung an der Spitze der Fifa zu stellen." Nicht nur Scala beschleicht die Befürchtung, dass sich der ewige Fifa-Boss Blatter schon wieder verabschiedet hat von seinem Versprechen, das er dem Fußball am 2. Juni gab: Dass er sein Amt bei einem Sonderkongress abgeben werde.

Beharrlich schürt der 79-Jährige Spekulationen über einen Thronverbleib. Obwohl längst Justizbehörden weltweit versuchen, den Korruptionssumpf um den Weltfußballverband trockenzulegen, den Blatter über dreieinhalb Jahrzehnten in Spitzenämtern mitangelegt hat, die letzten 17 Jahre als Präsident. FBI, Schweizer Bundesanwaltschaft sowie rund 30 weitere Instanzen gehen einer filmreif verästelten Finanzverschwörung im Fifa-Reich nach.

Nun begehrt erstmals eine der größten Ligen der Welt auf. Spaniens Ligaverband LFP klagt gegen die Winter-WM 2022 in Katar; und damit gegen die Fifa, die das Turnier ja wegen der Sommerhitze im Emirat in den Winter verlegt hat. LFP-Boss Javier Tebas gab bekannt, dass die Anzeige bereits beim obersten Sportgerichtshof Cas in Lausanne eingereicht sei. Die Liga handle "im Interesse der Klubs, die ihren Beitrag fürs Nationalteam leisten", wird Tebas im heimischen Sportblatt As zitiert: Die Verlegung koste den nationalen Fußball "Einnahmen von 65 Millionen Euro".

Selfies gegen Rücktrittsfragen

Blatter gibt sich tiefenentspannt. Privat posiert er im Freizeitlokal oder im Kreis von Selfies schießenden Bauarbeitern; und er gibt Interviews wie zuletzt seinem Heimatblatt Walliser Bote. Darin erklärt er einen Termin "Anfang 2016" für die Wahl des neuen Fifa-Chefs für wahrscheinlicher als den bisher kursierenden am 16. Dezember. Und erneut vermeidet er eine eindeutige Bestätigung seines bislang als sicher geltenden Rückzugs zu diesem Wahltermin.

Fifa-Boss Sepp Blatter
:"Ich bin nicht zurückgetreten"

Er will von seinem eigenen Rücktritt nichts mehr wissen: Bei einem Termin in Zürich kokettiert Fifa-Präsident Blatter mit seinem Amtsverbleib. Er sagt, er sei noch lange nicht reif fürs Museum.

Vor dem Hintergrund der realen Entwicklungen wirken solche Auftritte eher wie das letzte Zucken eines untergehenden Potentaten, der von der Macht nicht lassen kann. Gerade eingedenk der demonstrativen Gelassenheit fragt sich, warum es dem Fifa-Boss offenbar ja nicht möglich ist, das zweitwichtigste Sportereignis zu besuchen, das seine Fifa veranstaltet - und das gerade stattfindet: die Frauen-WM. Seit Wochen läuft dieses Turnier in Kanada, auf nordamerikanischem Boden. Und es passt auffallend gut es in die aufgewühlte Zeit, dass neben Blatter auch Generalsekretär Jerome Valcke zu tief in der Arbeit steckt, um sich dort einmal kurz blicken zu lassen. Das gab es noch nie - warum gerade jetzt? Seit Monaten kursieren Spekulationen, dass das Duo amerikanisches Terrain wegen der Ermittlungen der US-Bundespolizei meide. Blatter trat diesem Verdacht wiederholt wortreich entgegen. Warum also nicht mit dem allzeit bereitstehenden Privatjet kurz zum Anstandsbesuch bei den weltbesten Frauen düsen? Das würde mehr bezeugen als tausend Dementis.

Für Szenekenner steht außer Frage, dass Blatter auf Zeit spielt. Intern dürfte noch eine Menge zu richten sein. Und dann ist da noch die Sache mit dem Nachfolger: Von der Person hängt ab, ob und wie tief in des Vorgängers Schubladen gekramt wird - und auch die Frage nach Blatters weiterer Verwendung. Eine Ernennung zum Fifa-Ehrenpräsidenten etwa, mit Büro in der Zentrale auf dem Zürichberg, wäre dem jähen Rentner-Los womöglich vorzuziehen.

Blatter verbreitet, bezogen auf die eigene Rolle, routiniert Unschärfe. Es habe seinerseits gar keinen Rücktritt gegeben, interpretiert er seine Rückzugsankündigung von Anfang Juni. Er habe sein "Mandat als Fifa-Präsident zu Verfügung" gestellt und werde bei der Wahl "kein Kandidat, sondern der gewählte Präsident" sein. Wohl, damit er mitreden kann. Überhaupt, das Ganze sei ein Schnellschuss gewesen, "die einzige Möglichkeit, den Druck, auch den durch die Sponsoren, von der Fifa und meinen Angestellten zu nehmen". Er habe nur die Fifa und "meine Person aus der Schusslinie genommen", sagt er im Heimatblatt.

Die verquaste Rhetorik liefert der Exekutive der Europa-Union Uefa Gesprächsstoff für ihre Tagung am Montag in Prag. Wobei klar ist: Die Uefa könnte ein "Weiter-so" unter Blatter nicht akzeptieren; es wäre der blanke Affront. Dass Europas Fußballmächte bereits in Aufruhrstimmung sind, belegt die Klage der spanischen Liga. Zurückgeworfen in ein Spannungsfeld zwischen Blatter-Fifa und FBI-Ermittlungen, müssten sich die Hauptakteure der Fußballwelt, die mehr als 80 Prozent der Milliardeneinnahmen dieses Geschäfts generieren, in Position bringen: die Spitzenvertreter von Premier League bis Bundesliga. Der Druck durch Publikum und Politik, dazu durch Medien und Sponsoren ließe für den Fall, dass Blatter vom Rücktritt zurückträte, nur zwei Möglichkeiten.

Fifa-Boss Sepp Blatter
:"Ich bin nicht zurückgetreten"

Er will von seinem eigenen Rücktritt nichts mehr wissen: Bei einem Termin in Zürich kokettiert Fifa-Präsident Blatter mit seinem Amtsverbleib. Er sagt, er sei noch lange nicht reif fürs Museum.

Entweder eine groteske: Europa unterwirft sich bei einer Art Showkongress erneut dem Votum der Blatter-Klientel von Guam bis Guinea, also dem Willen von einigen Tausend Freizeitkickern, und ginge zurück unter Blatters Joch. Dann hätte Wolfgang Niersbach das Problem, diesen Schritt sieben Millionen im DFB organisierten Mitgliedern zu begründen. Jenen sieben Millionen, denen der DFB-Chef gerade erst ein Thesenpapier zur Blatter-freien Zukunft des Fußballs unterbreitet hat.

Als Alternative zur Groteske bliebe, dass Verbände wie der DFB Ernst machen. Die britische FA ist zu jeder Boykottform bereit, auf die Niederlande ist zu zählen, Spanien greift die Fifa bereits an. Und angedacht sind Szenarien vom temporären Ausstieg bis zur eigenen Verbandsgründung ja schon seit längerem.

© SZ vom 29.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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