Was waren das für erstaunliche Bilder, die Bayern-Trainer Louis van Gaal den Fans im Frühjahr geboten hatte? Als er sich im Berliner Olympiastadion einen Spaß daraus machte, der Weißbierdusche seiner Spieler davonzulaufen. Als er auf dem Münchner Rathausbalkon eine Riesenshow abzog, an alle Muttis einen dicken Kuss schickte und mit Oberbürgermeister Christian Ude einen Meisterwalzer tanzte. Als er sich plötzlich vom vermeintlich autoritären Tulpengeneral zum zünftigen bayerischen Feierbiest entwickelte.
Als an diesem Montag um 11.25 Uhr Louis van Gaal die zehn Profis, die nicht an der Weltmeisterschaft in Südafrika teilnehmen und nicht aus sonstigen Gründen fehlen, sowie etliche Spieler der zweiten Mannschaft zum ersten Training der neuen Saison bittet, ist schnell klar: Das Frühjahr ist vorbei, das Feierbiest war gestern. Jetzt ist wieder der Mann gefragt, der auf Disziplin und Ordnung Wert legt und der mit Disziplin und Ordnung wieder so erfolgreich sein möchte wie im vergangenen Jahr. Man sieht es schon rein äußerlich, weil van Gaal wie im Vorjahr mit Stoppuhr und Trillerpfeife den Platz betritt, den alten Insignien der Trainerautorität.
Streicheleinheiten für die Frisur
Während der Aufwärmphase hält sich der Niederländer noch zurück. Das macht er seit Jahren so, fürs Lauftraining hat er seine Assistenten. Stattdessen setzt sich van Gaal zu seinem am Fuß verletzten Co-Trainer Hermann Gerland ins Golf-Buggy, um ein bisschen zu plaudern, und streicht er über die neue Irokesen-Frisur des von ihm geförderten Linksverteidigers Diego Contento.
Doch als das Aufwärmen vorbei ist und die Spieler sich den ersten Pass- und Ballübungen widmen müssen, ist van Gaal in seinem Element. Er hat nichts vom Vorjahres-Feuer verloren, streng und penibel wie eh und je kommentiert er die Ausführungen. Die Saison des Double-Gewinners 2009/10 ist keine 30 Minuten alt, da gibt es den ersten Anpfiff: "Hey, hallo, die Kontrolle war nicht gut." Van Gaal kann es nicht haben, wenn jemand einen Pass "wie ein Automat", "zu schnell" oder "zu nah" spielt. "Das war so nah, da können Sie dem noch was erzählen. Verstehen Sie das?"
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Noch ein typisches Van-Gaal-Phänomen lässt sich an diesem ersten Bayern-Trainingstag gut beobachten. Der Niederländer liebt die Jugend. Während die routinierten Spieler wie Anatolij Timoschtschuk, Hamit Altintop und Daniel Van Buyten mit den anderen verbliebenen Profis in der einen Hälfte des Platzes ihre Passformen üben, befindet sich van Gaal fast immer auf der anderen Seite. Dort, wo sich die jungen Spieler der zweiten Mannschaft an schnellen Pass-Stafetten versuchen.
Vielleicht ist unter all den jungen Akteuren ja ein zweiter Müller, ein neuer Badstuber oder ein neuer Contento? Louis van Gaal weiß um die Schwierigkeiten der diesjährigen Saisonvorbereitung und des diesjährigen Saisonstarts. Noch haben sich die Bayern auf dem Transfermarkt zurückgehalten, stehen lediglich die Rückkehrer Sosa, Braafheid, Breno und Ottl als Zugänge fest. Aber allein sieben deutsche Nationalspieler verpassen diese jetzt begonnene und bis zum 4. Juli andauernde erste Phase der Saisonvorbereitung. Dasselbe gilt für weitere WM-Teilnehmer wie Arjen Robben, Mark van Bommel, Franck Ribéry oder Martin Demichelis.
"Keine einfache Situation"
Sie alle stoßen erst in den Wochen nach dem 11. Juli zum Team, dann bleibt bis zum Saisonauftakt (DFB-Pokal-Spiel gegen den Oberligisten Windeck am 16. August, erste Bundesligapartie am 20. August) nicht mehr viel Zeit. Und es in der Vergangenheit des Öfteren vorgekommen, dass Mannschaften mit vielen übermüdeten WM-Spielern nur mühsam in Tritt kamen. Da kann es schnell sein, dass personelle Alternativen notwendig werden. "Das ist für einen Trainer natürlich keine einfache Situation", sagt van Gaal daher, "aber ich werde mit meinem Stab auch aus dieser Situation das Beste machen".
Um 12.45 Uhr gehen Timoschtschuk, Altintop & Co. vom Feld. Louis van Gaal bleibt noch eine Weile auf dem Trainingsplatz. Die Reservespieler absolvieren noch ihre Gymnastik, und der Niederländer verfolgt das Training bis zur letzten Dehnübung. Und irgendetwas würde bei einem van-Gaal-Training vermutlich fehlen, wenn er nicht zum Abschluss noch mit den Mitarbeitern des Haussenders streiten würde, ob er nun ein Interview geben soll oder nicht.
Es ist im Hinblick auf van Gaal also doch alles wie gehabt - zum Auftakt einer Saison, die mit Stoppuhr, Trillerpfeife und scharfen Anweisungen beginnen, aber wieder mit Weißbierduschen und Rathaus-Sausen enden soll.