FC Bayern gewinnt in Augsburg:Wie eine Schlange auf Beutezug

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Nach 45 Minuten schien das Spiel bereits entschieden, doch in der zweiten Hälfte liefern mutige Augsburger eine packende Partie ab und bringen fast überheblich wirkende Münchner zum Schwitzen. Manuel Neuer erspart den Bayern eine Peinlichkeit und rettet das 2:1 für den Tabellenführer - der Anatolij Timoschtschuk nach einer roten Karte verliert.

Andreas Burkert, Augsburg

Als die Augsburger in die Kabine marschierten, hatten sie ein Problem. Nicht wegen der FCA-Sympathisanten; wie bei den jüngsten Enttäuschungen daheim ist das schwäbische Publikum auch diesmal ausgesprochen positiv gestimmt gewesen. Es freut sich in diesen Wochen eben vor allem darüber, erstmals in der Bundesliga dabei zu sein, und den nötigen Einsatz hat die Mannschaft von Trainer Jos Luhukay bisher nie vermissen lassen. Das Unbehagen, das die Profis des Aufsteigers begleitete, ließ sich wohl mit der Uhrzeit erklären. Denn es war erst Halbzeit, und die mit gefühlten 85 Prozent Ballbesitz dominierenden Gäste vom FC Bayern führten 2:0. Noch mal 45 Minuten gegen den offenbar unbeirrbaren Tabellenführer? Die arg ersatzgeschwächten Augsburger schauten aus ihren Augen, als würden sie jetzt lieber sofort heimgehen. Luhukay hat das hinterher indirekt bestätigt, als er verriet: "Zur Halbzeit waren wir mental in einer schwierigen Situation, da sieht man dann die Mannschaft geknickt sitzen."

Manuel Neuer rettet den Sieg gegen Augsburg kurz vor Schluss mit einem phantastischen Reflex gegen Edmond Kapllani. (Foto: dpa)

Aber der holländische Coach muss ein passabler Psychologe sein. Denn depressiv wirkte seine Elf nach der Pause nicht mehr. Vielmehr lieferte sie den sorglos, wenn nicht gar überheblich wirkenden Münchnern noch eine packende Partie. Mehr als das 1:2 durch Hajime Hosogai (59.) sprang zwar nicht mehr heraus, aber Bayern-Coach Jupp Heynckes übertrieb nicht, als er später von "erheblichen Schwierigkeiten" seines Teams sprach und den FCA lobte: "Wir sind in Bedrängnis gekommen, weil der Gegner aufgekommen ist, weil er gut gespielt hat und weil er toll gekämpft hat."

Seine Bayern behaupteten somit gegen das neue Schlusslicht glücklich die Spitze, mit fünf Punkten Vorsprung auf Meister Dortmund. Der kommt nun nach der Länderspielpause nach München (19.11.). Im Topspiel wird Heynckes fürs Mittelfeld nicht nur der an der Schulter operierte Taktgeber Bastian Schweinsteiger fehlen: In der Nachspielzeit sah Anatoli Timoschtschuk nach einem groben Foul gegen Daniel Baier die rote Karte.

Zuletzt waren der FCA und die Bayern 1983 im Pokal aufeinander getroffen, 6:0 gewann der Favorit beim damaligen Bayernligisten; davor begegnete man sich nur in der NS-Zeit, und die Augsburger vergaßen im Stadionheft nicht darauf hinzuweisen, dass die Bilanz ihres Vorgängerklubs BCA in der ehedem höchsten Klasse, der Gauliga, "nach zehn Jahren und 20 Partien ausgeglichen" war. Aber aktuell liegen doch Welten zwischen den Klubs; jene rund 450.000 Euro Jahressalär, auf die der teuerste FCA-Profi inklusive Prämien kommen kann, bekommt mancher Bayern-Angestellte vermutlich im Monat angewiesen.

Das Spiel begann trotzdem mit elf gegen elf und beim Stand von null zu null, und auch das Geschehen in der ersten Viertelstunde ließ nicht auf das von Defätisten avisierte Schützenfest schließen. Der Neuling störte früh in der gegnerischen Hälfte, der Favorit lief sich im dichten 4-5-1 des Gegners fest. Augsburg besaß durch Sascha Mölders sogar erste Chancen; einmal steckte ihm der für den verletzten Axel Bellinghausen auf links aufgebotene Tobias Werner den Ball am Strafraum zu, bei seinem Schuss rutschte er jedoch aus, so dass der Ball vorbei ging (9.). Dann schickte der bemühte Lorenzo Davids die einzige Spitze mit einem langen Pass, doch Torwart Manuel Neuer sprintete heraus und rettete vor Mölders per Flugkopfball (12.).

Eine Standardsituation schien den Bayern zu genügen, um dieses bis dahin schlüssige Defensivkonzept zu zerstören. Franck Ribéry hatte gegen Dominik Reinhardt einen Eckball erwirkt (16.); der Franzose trat selbst, van Buyten setzte sich rustikal gegen Daniel Brinkmann durch - den Kopfball des Belgiers parierte Jentzsch-Vertreter Mohamed Amsif noch, doch Mario Gomez bedankte sich aus kurzer Distanz mit seinem 20. Saisontreffer, in der Liga war es sein 13.

Einzelkritik FC Bayern
:Hektische Michelangelos

Franck Ribéry bekommt unerwartete Hilfe von einem Flitzer, Toni Kroos betrachtet das Spiel wie einst Michelangelo seinen Steinblock - und Abwehr-Rammbock Daniel Van Buyten vollführt zwei Aktionen, die einmal nach ihm benannt werden dürften. Der FC Bayern beim 2:1 in Augsburg in der Einzelkritik.

Jürgen Schmieder, Augsburg

War die Partie damit nicht schon früh entschieden? Es sah so aus, denn auf eigenen Ballbesitz oder gar wütende Angriffe war das Augsburger Spiel nicht ausgelegt; wenn sie in der Abwehr mal wieder einen Ball eroberten, klatschte zwar das bewundernswert dankbare Publikum, doch die rasche Ernüchterung folgte sogleich. Pässe über 30 oder 40 Meter auf den einsamen Mölders waren nicht dazu geeignet, die kürzlich gegen Neapel (3:2) nicht immer souveräne Bayern-Deckung einer weiteren Belastungsprobe zu unterziehen. Und auch David Alabas Vortrag als Ersatz für Schweinsteiger war lange kaum zu bewerten. Dass Heynckes mit dem Einsatz des jungen Österreichers nur einen positionsbezogenen Eingriff vornahm im Herzstück des Teams und zum Beispiel Toni Kroos nicht zurückzog, schien sich positiv auszuwirken.

Einzelkritik FC Bayern
:Hektische Michelangelos

Franck Ribéry bekommt unerwartete Hilfe von einem Flitzer, Toni Kroos betrachtet das Spiel wie einst Michelangelo seinen Steinblock - und Abwehr-Rammbock Daniel Van Buyten vollführt zwei Aktionen, die einmal nach ihm benannt werden dürften. Der FC Bayern beim 2:1 in Augsburg in der Einzelkritik.

Jürgen Schmieder, Augsburg

Den Rest erledigten die Münchner vermeintlich mit ihrer individuellen Überlegenheit. Wie beim 0:2, als Rafinha Gomez einsetzte, dieser den Ball filigran verarbeitete und die Kugel über Thomas Müller in Ribérys Besitz überging. Der unternehmungslustige Flügelstürmer spielte Reinhardt aus und ließ dem jungen Amsif, 22, mit einem trockenen Linksschuss (28.) ins Eck keine Chance.

Nach Wiederbeginn ließ München den Ball weiter kreiseln, die Bemühungen zum Abschluss zu kommen, gerieten jedoch immer beliebiger. Und dann kamen sie sogar ins Schwitzen. Nach einer überflüssigen Tändelei Timoschtschuks gab es Eckball, die Abwehr war unzureichend, und so kam Hosogai zum Schuss und überwand Neuer (Alabas Rettung erfolgte klar hinter der Linie). "Schon das dritte Gegentor nach einer Standardsituation", klagte Kroos. Unverhofft entwickelte sich das Derby nun zum offenen Krimi, in dem sich der FCA leidenschaftlich wehrte und ein paar gefährliche Distanzschüsse abgab. Edmond Kapllani, freigespielt vom ebenfalls eingewechselten Nando Rafael, besaß am Ende sogar die Großchance zum 2:2 - doch Neuer fuhr gegen den heranstürmenden Albaner die rechte Faust aus wie eine Schlange auf Beutezug ihre Zunge (83.). Er ersparte Bayern damit eine große Peinlichkeit.

Entsprechend erleichtert gaben sich die Münchner vor der Rückfahrt über die A8. Heynckes verzichtete sogar darauf, Timoschtschuk zu tadeln, "da fällt uns schon etwas ein", meinte er zum Notstand im Zentrum. "Die zweite Halbzeit war nicht mehr so souverän, aber Manuel hat uns mit einer Weltklasseparade den Sieg gerettet", sagte Sportchef Christian Nerlinger. Auch Präsident Uli Hoeneß dankte Neuer, der erstmals in dieser Saison einen Sieg festgehalten hatte. "Er hat seinen Job", juxte er, "er hat mal eine Million abbezahlt."

© SZ vom 07.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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