FC Bayern:Alleinikow fordert Zusammenhalt

Lesezeit: 3 min

Arjen Robben (re.): Dribbelte nicht um die Wahrheit herum (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Es gab wahrscheinlich bisher keine Saison, in der ein 3:0 des FC Bayern zum Ausdruck allgemeiner Unruhe wurde, wie nun nach dem Spiel gegen Anderlecht.
  • Vor allem Ribéry fällt durch seinen Trikotwurf bei der Auswechselung auf.
  • Der einzige Münchner, der anschließend keine Wahrheit umdribbelt, ist Arjen Robben.

Von Benedikt Warmbrunn, München

Drei Möglichkeiten hat ein Einwechselspieler grob zusammengefasst, um den, der für ihn den Platz verlässt, zu grüßen. Die unhöfliche: ein Sprint aneinander vorbei, keine Berührung. Die förmliche: ein Handschlag. Die herzliche: eine Umarmung. Thomas Müller kennt diese Optionen, bis zum Dienstagabend war er in seiner Karriere immerhin 71 Mal eingewechselt worden. Nun also stand er an der Seitenlinie der Arena in München, es lief die 78. Minute, und der Mann, der gehen musste, kam von der anderen Spielfeldseite. Er ließ sich sehr viel Zeit. Er schimpfte, eine ganze Spielfeldüberquerung lang. Thomas Müller konnte also in Ruhe die drei Optionen durchgehen.

Selbst einem Zürnenden gegenüber empfiehlt sich Höflichkeit, Variante eins schied also aus. Variante drei, die Umarmung, hätte die eigene Gesundheit gefährdet, so viel Wut verließ da gerade den Platz. Also streckte Müller seine Hand aus, er beugte seinen Oberkörper weit zur Seite, und so bekam er sie gerade noch zu fassen, die Hand von Franck Ribéry.

FC Bayern in der Einzelkritik
:Ribéry pfeffert sein Trikot auf die Bank

Der Franzose bringt Energie ins Spiel - und ärgert sich bei seiner Auswechslung. Corentin Tolisso ist einer der Besten. Robert Lewandowski betreibt teils Individualsport. Der FC Bayern in der Einzelkritik.

Aus dem Stadion von Thomas Hummel

Dann sprintete Müller auf den Rasen, und so verpasste er, wie diese noch junge Saison des FC Bayern in seinem Rücken ihr bisher prägnantestes Bild bekam.

3:0 (1:0) hat der FC Bayern zum Auftakt der Gruppenphase der Champions League gegen den RSC Anderlecht gewonnen, es gab Spielzeiten, in die der Verein mit einem weniger klaren Ergebnis gestartet war. Es gab aber wahrscheinlich bisher keine Saison, in der ein 3:0 des FC Bayern zum Ausdruck allgemeiner Unruhe wurde.

Er war wütend, er wollte wütend sein

So sprach nach diesem Spiel niemand darüber, dass Robert Lewandowski mal wieder einen Elfmeter verwandelt hatte (12.), auch nicht darüber, dass er diesen sowie eine rote Karte für Anderlecht herausgeholt hatte, unter anderem durch eine Ballmitnahme mit der Brust, die nur wenige Fußballer beherrschen. Es sprach keiner darüber, dass Thiago in Mittelstürmer-Manier getroffen hatte (65.). Es sprach nicht einmal jemand darüber, dass Joshua Kimmich mit einem frechen Minidribbling den Endstand erzielt hatte (90.). All das wären in anderen Spielzeiten durchaus ordentliche Geschichten gewesen nach einer Auftaktpartie, die mit einem Ergebnis endete, wie es die meisten erwartet hatten.

Aber alle sprachen über Franck Ribéry.

Nachdem Müller seinem Mitspieler den Handschlag aufgezwungen hatte, verzichtete Ribéry auf jegliche weitere Förmlichkeit. Er stapfte die Bank entlang, riss sich das Trikot vom Körper und schleuderte es auf die Bank. Er war wütend, er wollte wütend sein, und er wollte, dass es alle mitbekommen. Auch und ganz besonders Carlo Ancelotti. Der aber saß am anderen Ende der Bank, die Hände vor der Brust, den Blick starr aufs Spielfeld gerichtet. "Ich wollte ihm ein bisschen Ruhe geben", erklärte der Trainer später, warum er Ribéry ausgewechselt hatte. Zu der Szene, die er ignoriert hatte, sagte Ancelotti nur: "Zu seiner Reaktion will ich mich nicht äußern."

Dass der Franzose nur widerwillig den Platz verlässt, ist für sich genommen nicht ungewöhnlich. Geflucht hätte er auch fünf Minuten später oder im Testspiel gegen einen Landesligisten. Dass Ribéry schimpfte wie ein Kleinkind, dem eine Süßigkeit aus dem Kassenregal im Supermarkt verwehrt wurde, passt dennoch zu den vielen kleinen atmosphärischen Verwerfungen, die diesen Verein zurzeit offenkundig durchziehen. Innenverteidiger Niklas Süle bezeichnete die Stimmung zwar als "überragend", der an diesem Abend pausierende Mats Hummels zumindest als "nicht schlecht". Zu sehen war davon nichts.

Zu sehen waren viele kleine negative Körperbewegungen. Arjen Robben haderte mit Lewandowski, als dieser nicht zu ihm gepasst hatte. Lewandowski haderte mit allen, die nicht zu ihm gepasst hatten. Und Ribéry schleuderte eben sein Trikot gegen die Bank. "Wir können nicht elf Schäfchen sein", sagte Kimmich. "Das war nicht okay", sagte Sportdirektor Hasan Salihamidzic zu Ribérys Trikotwurf, "da werden wir sprechen." Ernsthaft sauer wirkte er allerdings nicht. Ribéry selbst beteuerte am Mittwoch in einem Statement, dass sein Trikotwurf "nichts mit Respektlosigkeit" zu tun habe. "Solange ich auf dem Feld stehe, werde ich, Franck Ribéry, unsere Farben verteidigen." Betonung wohl auf: auf dem Feld.

Der einzige Münchner, der keine Wahrheit umdribbelte, war daher Robben. Das Team habe gegen Anderlecht, den Tabellenzehnten der belgischen Liga, der 80 Minuten lang in Unterzahl war, "ohne Tempo und Rhythmus gespielt". "Da muss man Leidenschaft zeigen und geil sein, Tore zu schießen. Wir haben so gespielt, als ob wir schon 5:0 führen." Robbens Fazit: "Bei allem Respekt, aber nach der roten Karte muss man die aus der Arena schießen."

Riesige Lücken zwischen Angriff und Abwehr

Neben Tempo und Rhythmus fehlte vor allem eine Struktur, oft klaffte zwischen Angriff und Abwehr eine riesige Lücke. Gerade rund um die Halbzeitpause drängte sich der Eindruck auf, dass da elf Münchner auf dem Platz standen, die alle sehr darum bemüht waren, selbst stark auszusehen, und eben nicht wie ein zahmes Schäfchen. Dem Gesamtgefüge half damit keiner. In dieser Phase hatte Anderlecht auch zwei guten Chancen: Nicolae Stanciu traf den Ball nicht richtig (41.), Alexandru Chipciu den Pfosten (49.). "Wir müssen kritisch mit uns selbst sein", sagte Robben.

Dann forderte er dreimal eine Eigenschaft, die für eine Fußballmannschaft eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Der Mann, der früher aufgrund seines Egoismus auch mal Alleinikow genannt wurde, forderte Zusammenhalt.

© SZ vom 14.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Champions League
:Turbulenzen bei den Bayern

Ribéry ist sauer, Lewandowski arrogant, Robben nachdenklich: Nach dem 3:0 zum Champions-League-Auftakt gegen Anderlecht wird klar, dass bei den Münchnern einiges nicht stimmt.

Aus dem Stadion von Thomas Hummel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: