Erkenntnisse aus dem Anti-Doping-Kampf:Wo Lügenbarone protegiert werden

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Kaum ist der Dopingbericht des französischen Senats zur Tour de France 1998 öffentlich, geht das alte Spiel wieder los: Es folgen kleinlaute Geständnisse und der Hinweis, dass heute alles besser sei. Das ist grober Unfug. Das System ist weiterhin auf Chemie und Lüge aufgebaut.

Ein Kommentar von Thomas Kistner

Auch Frankreichs Liebling Jacky Durand ziert die Liste der Dopingsünder 1998, heldenhaft gab er kurz vor der Enthüllung auf der Website des Sportkanals, für den er arbeitet, seine Taten zu. Und setzte gleich den nächsten Bluff: "Auf keinen Fall darf die heutige Generation für unseren Mist damals bestraft werden. Ich will, dass die Menschen wissen, dass der Sport heute viel sauberer ist." Was die Menschen wissen sollten, ist, dass sie auf keinen Fall Scharlatanen wie Durand auf den Leim gehen dürfen. Den soll ja der Radbetrieb, in dem er als TV-Experte wirkt, weiter gut ernähren.

Dass die Tour 1998, wie viele andere, dopingverseucht war, stand für nüchterne Betrachter nie in Frage. Weil aber die Logik des Denkens und der objektive Blick hinter die Kulissen das größte Kassengift sind für die Muskel- und Märchenindustrie des Spitzensports, muss jetzt eilig Schadensbegrenzung betrieben werden. Die Vergangenheit ist nicht mehr zu retten, also muss der Kundschaft um jeden Preis weisgemacht werden, dass alles besser, sauberer, ehrlicher geworden ist.

Das ist Unfug. Ein Widerspruch in sich. Es ist nur auch von existenzieller Bedeutung für ein Milliardengewerbe, das systembedingt auf Lüge und Chemie aufgebaut ist. Auf Chemie, die in fast jeder Sportart enorm auf die Sprünge hilft und bei fachkundiger Anwendung kaum nachzuweisen ist. Und auf Lüge, weil die Wahrheit das Geschäftsprinzip rund ums globale Menschenlabor torpedieren würde.

Doping-Bericht des französischen Senats
:Doktorspiele bei der Tour

Der Report zu Nachkontrollen von Doping-Proben der Tour de France 1998 bringt erwartungsgemäß Namen wie Ullrich oder Pantani hervor - sowie einen, bei dem nicht einmal das Geständnis stimmte: Erik Zabel.

Von Andreas Burkert

Ein Blick vier Tage zurück: Wie lief das bei der just beendeten Tour 2013? Die gewann einer, der jahrelang wie einst Lance Armstrong ein mediokrer Mitfahrer war, dann eine schwere Erkrankung erlitt, die auch das Blutsystem betrifft, und später ein Comeback feierte, das ihn fast aus dem Stand zum Größten erhebt. Und auch in Christopher Froomes Umfeld waren einschlägige Figuren zugange, die in einer Dopingzunft wie dem Radsport unverzichtbar sind. Ärzte, Betreuer, Teamchefs, die in guter Branchentradition Tränen der Reue kullern lassen, sobald die Aktenlage keine Märchen mehr erlaubt.

Wie das System Spritzensport so perfekt funktionieren kann? Es braucht natürlich gewisse politische Absicherung von oben. Das geschieht durch stilles Dulden, stetes Unterlassen, striktes Verharmlosen und viele juristische Drehs. Wie sie auch in Deutschland zu bestaunen sind, der führenden Sportnation, die in der Betrugsbekämpfung hinterher hinkt.

Während von Skandinavien über Österreich bis Italien Anti-Doping-Gesetze in Kraft sind, verteidigt der Deutsche Olympische Sportbund mit Klauen und Zähnen seine Minimalregelung. Sie besteht aus einem Appendix am Arzneimittelgesetz, der gar als Aufforderung zum Dopen gelesen werden kann: Dem Staatsanwalt sind Ermittlungen erst ab einer exorbitanten Menge an Dopingfunden erlaubt. Ungefähr so, als würde die Latte für Trunkenheit am Steuer auf 2,5 Promille gelegt. Wer steuerte da nicht ganz entspannt die Bar an?

DOSB-Chef Thomas Bach und Generalsekretär Michael Vesper waren es auch, die 2007 unter dem Titel "Tätige Reue" neue Antidoping-Vorkämpfer präsentierten: Erik Zabel und Rolf Aldag. Sie sollten als angeblich Geläuterte "bei der Präventions- und Aufklärungsarbeit des DOSB" mitwirken. Einen wie Jörg Jaksche wollten die Sportbosse nicht. Dabei hatte der, anders als Zabel, umfassend ausgepackt. Nicht nur über sich, über den Apothekensport generell. Für wirklich Geständige, die Aufklärung fördern und in demokratischen Gesellschaften als Kronzeugen gelten, hat die Gesellschaft des Sport ein anderes Wort parat: Nestbeschmutzer.

Jan Ullrich in eigenen Worten
:"Ich bin sauber"

Jan Ullrich, ein Doper? Niemals, sagt Jan Ullrich. Gleich dutzendfach hat der frühere Radprofi die Einnahme verbotener Substanzen bestritten. Einmal sogar per eidesstattlicher Versicherung. Erst spät rückt er scheibchenweise mit der Wahrheit heraus.

Ullrichs Beteuerungen im Wortlaut

So stellen die Nachbefunde zur Tour 1998 den DOSB und seinen Aufklärer Zabel an den Pranger: Letzterer will nur einmal, 1996, gedopt haben. Der DOSB muss darlegen, welche Präventionsarbeit Zabel geleistet hat. In Erklärungsnot ist der Verband seit 2007, als Zabel schluchzend dartat, er habe nur mal wenige Tage Epo genascht.

Solche Märchen kaufen Fans ab, die glauben, dass das Blutdopingmittel Epo einfach mal zwischendurch injiziert werden kann und die Tachonadel rauftreibt. Funktionäre müssen wissen, dass Epo-Doping Zeit und fachliche Beratung erfordert. Zumal, wenn sie solche Märchen auch noch zur Imagepflege nutzen.

Nun dürfen chronisch Ahnungslose wie Bach und Vesper wieder sehr bestürzt reagieren. Im Herbst übrigens kürt das Internationale Olympische Komitee den neuen Präsidenten. Was den Favoriten und langjährigen Musterfunktionär Bach angeht, weiß der Sport, was er kriegt und was nicht. In rauen Zeiten mag das hilfreich sein für eine Gesellschaft, die sich trotz aller Affären wohlfühlt, so wie sie ist.

© SZ vom 25.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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:Absturz eines Volkshelden

Jan Ullrich ist einer der populärsten Sportler des Landes, mit seinem Sieg bei der Tour de France 1997 steigt er zur Radsport-Ikone auf und löst eine Begeisterungs-Hysterie aus. Dann fährt allerdings Lance Armstrong stets schneller und bald schon beginnt seine lange, zähe Doping-Geschichte.

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