EM-Finale im Frauenfußball:Bereit für den Moment

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Celia Okoyino da Mbabi (l) und Leonie Maier: Selbstbewusst ins Finale (Foto: dpa)

Zu unreif und nicht clever genug: Die deutsche Elf musste bei der EM viel Kritik einstecken und doch steht das Team von Silvia Neid im Finale. Vor dem Endspiel gegen Norwegen sucht Skandinavien nach dem Geheimnis der Deutschen - auch im Hinblick auf die WM 2015.

Von Kathrin Steinbichler, Stockholm

Nadine Angerer strich am frühen Freitagnachmittag gemächlich mit einer Tasse Kaffee durch das Mannschaftshotel der deutschen Fußballerinnen. Die Spielführerin der Nationalelf wirkte gut gelaunt, "es läuft ja auch gut", doch ihr Zustand war eindeutig: "Ich geh' jetzt vor dem Training nochmal schlafen, ich bin echt geschafft."

Vor 15 Tagen waren die Deutschen in diese Fußball-Europameisterschaft der Frauen gestartet, fünf Spiele hat die Mannschaft seitdem absolviert, alle drei Tage eines. "So ein Turnier, vor allem dieses abgefahrene, geht echt an die Substanz", meinte Angerer, "auch im Kopf. Aber am Sonntag sind wir alle nochmal hellwach. Auf dieses eine, dieses allerletzte Spiel haben wir richtig Bock."

Diesen Sonntag (16 Uhr/ARD und Eurosport) steht im Stockholmer Vorort Solna in der 50.000 Zuschauer fassenden Nationalarena das EM-Finale an, Deutschland wird dann gegen den früheren Olympiasieger, Welt- und Europameister Norwegen antreten, um seinen Titel zu verteidigen. Sieben Mal schon haben deutsche Fußballerinnen den Kontinentaltitel gewonnen, zuletzt fünf Mal in Serie. Rein statistisch also ist es kein Wunder, dass die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) jetzt die Chance hat, am Sonntag erneut die EM zu gewinnen. Wer jedoch die vergangenen zwei Jahre verfolgt hat, die Zeit nach dem Viertelfinal-Aus bei der Weltmeisterschaft 2011, der kommt auf den Gedanken, wie Pia Sundhage ihn hatte.

Schwedische Trainierin lobt DFB-Team

"Sie mussten einiges wegstecken, auch einige Ausfälle vor diesem Turnier. Dass diese junge deutsche Elf jetzt im Finale steht, ist eine enorme Leistung", meint die schwedische Nationaltrainerin. "Und der Prozess, in dem dieses Team sich befindet, ist noch nicht zu Ende. Ich bin gespannt, in welchem Zustand sich Deutschland 2015 präsentieren wird."

2015 steht in Kanada die Fußball-WM der Frauen an, bis dahin wird das derzeit halbe Dutzend verletzter deutscher Spielerinnen in den Kader zurückgekehrt sein. Anstatt wie jetzt vor der EM zu überlegen, wer denn überhaupt ein Turnier spielen kann, wird es dann zahlreiche Konkurrenzkämpfe geben. "Das ist etwas, über das ich mir jetzt noch keine Gedanken mache", sagt Bundestrainerin Silvia Neid, "aber das ist doch ein Geschenk: Ich habe lieber zu viele gute Spielerinnen als zu wenige. Und wir haben eine Menge guter Spielerinnen." Es mögen etliche dabei sein, denen noch immer die Erfahrung und damit die Sicherheit zur richtigen Entscheidung fehlt, "aber da sind wir ja gerade auch erst dabei, das zu entwickeln", sagt Neid. Es ist ein zwangsläufig beschleunigter Prozess.

Vor allem hat die neu zusammen- gestellte deutsche Nationalmannschaft in Schweden etwas entwickelt, was die Skandinavierinnen am liebsten für sich selbst reklamiert hätten. Nach dem 0:1 im Halb- finale musste Schwedens Trainerin Pia Sundhage mit einem bitteren Schnaufen feststellen, dass es die deutsche Mannschaft in dem Spiel verstanden hat, "das zu zeigen, was wir von ihnen kennen: Deutsche Teams sind immer sehr fokussiert, sehr gut organisiert, sehr bereit für den Moment. Das ist etwas, was ihnen offenbar keiner nimmt, und wo man als Gegner einfach besser sein muss."

Dass es dieses Deutschland war, an dem der Traum der Gastgeberinnen vom Finaleinzug scheiterte, wird nun diskutiert. Denn der "letzte Schritt", der hat den Schwedinnen bei dieser EM gefehlt. Dieser Schritt, den die deutsche Elf in den vergangenen 15 Tagen gegangen ist, und wegen dem Pia Sundhage im vergangenen Jahr aus den USA zurückgeholt worden war, nachdem sie mit dem US-Team den WM-Titel und den Olympiasieg geholt hatte.

DFB-Frauen in der Einzelkritik
:Wirkungslos am Sieg vorbeigestolpert

Torhüterin Nadine Angerer sucht Herausforderungen und ist beim Gegentor dann chancenlos, Verteidigerin Saskia Bartusiak kommt auch mit brachialem Stil kaum zum Erfolg und Simone Laudehr trifft trotz viel Schmackes nicht ins Tor. Die deutschen Frauen in der Einzelkritik.

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Im Schwedischen gibt es ein Wort, das verwendet wird, um den Zustand zu beschreiben, den die paritätisch veranlagten Skandinavier in ihrer Gesellschaft so sehr schätzen. Wenn etwas "lagom" ist, dann ist es richtig: Lagom heißt gemäßigt, also nicht zu gut und nicht zu schlecht. Genau richtig eben. Die Politik der Nachkriegszeit, in denen der schwedische Wohlfahrtsstaat darauf achtete, dass seine Bürger sehr gleichberechtigt am Lebensstandard des Nordens teilhaben können, ist zwar dabei, sich mehr und mehr zu verändern. Doch das Gefühl, nicht zu aggressiv und selbstbezogen auf sein Fortkommen zu achten, hat sich gehalten. "Pia hat bei uns ganz gut dazwischengehauen", erklärte Schwedens Nilla Fischer jetzt während der EM, "sie hat einiges umgekrempelt."

Sundhage scheute sich nicht, Spieler- innen innerhalb der Mannschaft einzeln zu kritisieren; sie forderte eine gesunde Aggressivität ein und die offene Aus- sprache von Streitigkeiten und Ansprüchen. "Nur mit Ehrlichkeit kannst du dich weiterentwickeln", meint Sundhage, "und dazu gehört nun mal die Kritik."

Die oft noch unreif, aber immer leidenschaftlich spielende deutsche Elf wiederum hat rund um die EM genug Kritik bekommen, oft auch zu Recht. Am Anfang baumelten deshalb die roten Lederarmbänder, die die Mannschaft selbst entworfen hat und trägt, wie wertloser Schmuck an den Handgelenken. "Laganda008" steht darauf. Laganda heißt im Schwedischen "Zusammenhalt" oder "Teamgeist", die 008 steht für den achten EM-Titel, der bei dem Turnier möglich ist. "Wir wollten damit zeigen, dass wir ein Team sind", erklärt Lena Lotzen. "Das war vielleicht ein bisschen ein Symbol, aber jetzt sind wir wirklich zusammengewachsen."

Gegen die Norwegerinnen wird am Sonntag allerdings mehr nötig sein als ein gutes Mannschaftsgefühl. Assistenztrainrin Ulrike Ballweg hat den knappen Halb- finalerfolg der Norwegerinnen (4:2 im Elfmeterschießen) in Norrköping verfolgt, und sie gibt offen zu: "Die Däninnen wären uns lieber gewesen." Sehr kompakt tritt die Mannschaft von Even Pellerud auf. Und geduldig. "Sie machen die Räume dicht, um bei Ballgewinn ihre schnellen Außen zu schicken", sagt Ballweg. Die Schnelligkeit könnte allerdings durch das Halbfinale gelitten haben: Norwegen brauchte für den Sieg mehr als 120 Minuten, dazu haben die Skandinavierinnen einen Tag weniger Pause als die Deutschen, die am Vortag spielten.

Es gibt also verschiedene Gründe, die dafür sprechen, dass die deutsche Elf im Finale nicht länger darauf plädieren kann, noch unerfahren und Außenseiter zu sein. "Der Sieger unseres Halbfinales ist der Favorit in Solna", war Sundhage überzeugt. Auch Leonie Maier, die gerade 20-jährige Außenverteidigerin des FC Bayern, will die neue, alte Rolle der deutschen Elf gar nicht erst abstreiten. "Ich glaube schon, dass Deutschland wieder Favorit ist", sagte sie am Freitag. Es war das erste Mal, dass sie bei dieser EM errötete.

Am Sonntag in der Arena von Solna wird es Besucher geben, die ganz genau hinschauen werden bei dieser deutschen Mannschaft, um ihr Geheimnis zu erkennen. Noch in der Nacht nach dem Aus hatte Sundhage entschieden, dass Schwedens Nationalteam beim Finale im Stadion sein wird, um sich von den Fans zu verabschieden. Sie hat jeder einzelnen Spielerin freigestellt, ob sie mitgeht oder nicht.

© SZ vom 27.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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