Ehemaliger Torwart Georg Koch:Plötzlich war alles schwarz

Georg Koch

Georg Koch: Karriereende in Wien.

(Foto: imago sportfotodienst)

Georg Kochs Karriere endete jäh: Vor fünf Jahren verletzte ein Böller den Torwart auf dem Platz schwer. Unter den Folgen leidet der 41-Jährige bis heute. Für den Zwischenfall zur Verantwortung gezogen wurde bislang niemand.

Von Victor Fritzen

Georg Koch sitzt in einer Kneipe in Essen-Rüttenscheid. Eine, die einmal in der Woche als Kulisse für eine Fernsehshow dient. Mit ihm am Tisch: der aufbrausende Peter Neururer und ein gelangweilter Norbert Meier. Georg Koch diskutiert mit ihnen über Fußball. Über die Pfiffe der Fortuna-Fans gegen Tobias Levels. Über, na klar, den FC Bayern. Über den Chip im Ball, den er nicht will. Locker, lässig, gut gelaunt. So, wie es lange nicht mehr war. So, wie er es vermisst hatte. Nichts deutet in diesem Moment auf die heimtückische Attacke hin, die vor fünf Jahren sein Leben veränderte - und unter der Georg Koch noch heute leidet.

24. August 2008. Rapid Wien hatte Georg Koch kurzfristig für den an einer Venenthrombose erkrankten Helge Payer verpflichtet. Am siebten Spieltag kam das Wiener Stadtderby gegen die ungeliebte Austria - ein Hochsicherheitsspiel. Das Stadion war ausverkauft, die Stimmung aggressiv. Koch ist 1,91 Meter groß, Hände so groß wie Bratpfannen, breite Brust und breite Schultern. Er war fast 20 Jahre Profi. Ihm konnte so schnell niemand etwas anhaben.

Bis einer der 17.344 Zuschauer in der sechsten Spielminute aus dem Gästeblock heraus einen Böller in Richtung des Torwarts warf. "Ich dachte, das wäre ein bengalisches Feuer und wollte es zur Seite werfen", erinnert sich Koch fünf Jahre später an die verhängnisvollen Sekunden. Doch plötzlich war alles schwarz. Plötzlich war nichts mehr wie vorher. Plötzlich war die heile Fußballwelt des Georg Koch zerstört.

Richtig ruhig wird es nie

Die Diagnose: massiver Hörverlust am rechten Ohr in Verbindung mit einem Tinnitus, zudem Gleichgewichtsstörungen und Schwindelgefühle sowie eine posttraumatische Belastungsstörung. Fortuna Düsseldorf, PSV Eindhoven, Arminia Bielefeld, 1. FC Kaiserslautern, Energie Cottbus, MSV Duisburg, Dinamo Zagreb, fast wäre er sogar einmal beim AC Mailand gelandet. Und jetzt: Endstation Rapid Wien. Mit 36 Jahren.

Eine Rückkehr nach viermonatiger Reha scheitert, schon nach den ersten Sprungtests war der Rekonvaleszent ausgepowert. Dazu die Gleichgewichtsstörungen - nichts geht mehr. Letzte Versuche im März 2009 im Tor des Siebtligisten SC Herford scheitern. "Mir ist sofort schwindelig geworden", erinnert sich Koch. "Mittlerweile geht's mir wieder relativ gut. Ich kann wieder arbeiten, das ist die Hauptsache." Doch richtig still wird es nie. "Wenn es ganz ruhig ist, habe ich ein Säuseln im Ohr. Dann muss ich den Fernseher anmachen, sonst kann ich nicht einschlafen."

Bis heute ist niemand verurteilt

Seit Jahren beschäftigt sich die österreichische Justiz mit dem, was 2008 geschah. Unzählige Male ist Georg Koch nach Wien geflogen, um auszusagen. "Ich hatte diese Phase großer innerlicher Wut. Ich wusste nicht, wie es weitergeht. Aber das ist abgehakt. Heute sehe ich das alles mit mehr Abstand. Heute ist meine Brust wieder breit." Koch erzählt seine Geschichte mit Lockerheit und Offenheit.

Einen zum Tatzeitpunkt 17-Jährigen sprach die Justiz im November 2010 vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen frei. Trotz zahlreicher Überwachungsfotos konnte das Mitglied der Austria-Fangruppe "Boys Viola" nicht als Täter identifiziert werden.

Die Staatsanwaltschaft legte Nichtigkeitsbeschwerde ein. Das Wiener Oberlandesgericht hob den Freispruch wegen so genannter Feststellungsmängel der Polizei auf und ordnete eine ergänzende Beweisaufnahme an - ohne weitere Erkenntnisse. Der 21-Jährige wurde erneut freigesprochen. Richterin Daniela Zwangsleitner kritisierte die polizeilichen Ermittlungen. Der zuständige Kriminalbeamte habe auf sie keinen guten Eindruck hinterlassen.

Jetzt soll die damals beauftragte Sicherheitsfirma, die für die Eingangskontrollen zuständig war, haftbar gemacht werden. Georg Koch und sein Anwalt Peter Vogl aus Ried fordern 1,012 Millionen Euro Entschädigung für zwei entgangene Profijahre und Schmerzensgeld. Die Beweisaufnahme ist seit dem 17. Juni abgeschlossen. Vogl wartet täglich auf Nachricht aus Wien: Das Urteil wird nicht wie in Deutschland direkt nach der Verhandlung verkündet, sondern per Post zugestellt.

Über zwei Jahrzehnte konnte Koch sich der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit sicher sein. Fans, Freunde, Presse, Sponsoren - alle wollten etwas von ihm. Ein Schulterklopfer hier, eine negative Schlagzeile dort. "Es war egal, ob positive oder negative Aufmerksamkeit. Hauptsache es hat jemand über dich gesprochen." Doch nach dem Knall interessierte sich plötzlich niemand mehr für ihn.

"Na und? Ich bin doch Profi, ich komme damit schon klar, habe ich mir gesagt. Ich habe alles immer überspielt. Aber irgendwann fängst du an, dich selbst runterzuziehen. Du hast keine Lust mehr zu nichts. Ich habe allen Dreck zu Hause abgeladen", erinnert er sich. Es kam der Zeitpunkt, da war alles leer. Sinnlos, lustlos, kraftlos. "Sobald mein Puls hochging, hatte ich regelrechte Blackouts." Ob dies alles in Richtung Depression ging? Koch bejaht. "Irgendwann habe ich gesagt: So geht's nicht mehr, und habe psychologische Hilfe in Anspruch genommen." Es wirkt so, als habe er den Unfall verarbeitet, zumindest soweit es eben geht.

"Sobald mein Puls hochging, hatte ich regelrechte Blackouts."

Um nicht zu Hause rumzusitzen, um beschäftigt zu sein, übernahm Koch in den Monaten nach seinem Aus Verantwortung beim einstigen Zweitligisten in Herford. Mehrfach als Trainer, in der Hauptsache als sportlicher Leiter und als einer, der Sponsoren und Spieler heranholte. Was anfänglich als Freundschaftsdienst gedacht war, entwickelte sich zu einer fast dreijährigen Zusammenarbeit.

Er feierte Siege - wie früher. Er musste Misserfolge erklären, warum die Mannschaft zweimal den Aufstieg nicht schaffte - wie früher. Nach fast drei Jahren bot ein Scheich dem einstigen Profifußballer an, die Torhüter des Dubai Sports Club in der Premier Division zu trainieren. "Etwas Besseres hätte mir nicht passieren können. Ich wurde wieder gebraucht, hatte einen regelmäßigen Turnus. Das war eine innerliche Befriedigung."

Nach Platz neun und elf Monaten in der Wüste kehrte er heim. Die Kündigung kam per E-Mail. "Das machen die Scheichs so. Denen fällt vom einen auf den anderen Tag ein, dass sie etwas verändern wollen." Die gewöhnungsbedürftige Art und Weise passte Georg Koch gar nicht, die Rückkehr in die Heimat sehr wohl.

Die räumliche Trennung von seiner Familie sei zu groß gewesen. "Meine Frau Katja und meine beiden Kinder haben nach dem Vorfall in Wien einen veränderten Georg kennengelernt. Das war nicht immer leicht", sagt Koch.

Mittlerweile ist er wieder häufiger im ostwestfälischen Bad Salzuflen, dort, wo er Ende der Neunziger heimisch wurde, als er die Bälle für den DSC Arminia Bielefeld hielt. Derzeit trainiert er in einem Camp die vertragslosen Torhüter, die in der Spielergewerkschaft VDV organisiert sind. "Mein Ziel ist es, als Torwart-Trainer weiterzukommen. Ich schaue aber auch rechts und links, was sich noch so ergibt." Georg Koch arbeitet an Perspektiven - für die arbeitslosen Profis und für sich selbst.

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