Doping bei Olympia:Russland winkt ein diskreter Deal

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Auf sehr unterschiedliche Weise am möglichen Ausschlussverfahren beteiligt: der russische Vizeregierungschef Witali Mutko, IOC-Präsident Thomas Bach und Whistleblower Grigori Rodtschenkow (von links). (Foto: Getty Images, dpa, imago)
  • Trotz belegten Staatsdopings erscheint ein Kollektivbann Russlands von den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang ausgeschlossen.
  • Moskau könnte davon profitieren, personell und informell in der olympischen Welt so gut aufgestellt zu sein wie kein anderes Land.
  • Doch nach den Enthüllungen des Kronzeugen Grigorij Rodtschenkow gibt es kaum noch Argumente, Zweifel an Russlands Betrugsbeteiligung zu begründen.

Von Thomas Kistner

Richard Pound kennt beide wie kein Zweiter: das Internationale Olympische Komitee und das globale Dopingproblem. Nach vier Dekaden im IOC ist der kanadische Jurist das dienstälteste Mitglied, zudem Gründungspräsident der Welt-Anti-Doping-Agentur. Als Pound, 75, kürzlich bei einer Konferenz über den für diesen Dienstagabend avisierten IOC-Beschluss zum russischen Staatsdoping referierte, reagierte er äußert skeptisch auf die Frage, ob er da ein sauberes Urteil erwarte. Er habe lange mit Thomas Bach diskutiert, sagte Pound, und dem IOC-Boss zugestanden, bis zur Verkündung "den Mund zu halten". Seine Bedingung sei jedoch gewesen, dass Bach "die Sache nicht vermasselt".

Pound bringt das Problem auf den Punkt. Zwar debattiert die Sportwelt hitzig allerlei Szenarien, von einem Kollektiv-Ausschluss des russischen Olympiateams bei den Winterspielen in Pyeongchang bis zur kleinen Geldstrafe, die die Kreml-Nähe des IOC endgültig verriete. Allerdings ignoriert die aufgeregte Außenwelt dabei, wie so oft, die realen Herrschaftsverhältnisse in Organisationen wie dem IOC: Es sind de facto undemokratische Kommandostrukturen, die sich als "Familie" begreifen.

Den vielen Belegen halten Russlands Funktionäre Verschwörungstheorien entgegen

Diese Familie pflegt Fahneneide und Bruderküsse, es dominiert das persönliche Netzwerk und dasselbe Blut. Gesteuert wird die Bewegung von ein, zwei Handvoll Männern. Von Männern wie Bach, 63, der einst im Gefolge des umwitterten Adidas-Patrons Horst Dassler in die Hinterzimmer der Sportpolitik eintrat, der 1991 ins IOC gelangte und seit 1996 fast ständig im Vorstand saß. Und der nun, beim Russland-Entscheid, die Schlüsselrolle besetzt.

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In der olympischen Welt ist kein Land personell und informell besser aufgestellt als Russland. Bach galt als Musterzögling des 21 Jahre regierenden Juan Antonio Samaranch. Der Spanier soll als Botschafter in Moskau 1980 vom sowjetischen KGB angeheuert worden sein, russische Buchenthüllungen dazu bezeichnete das IOC als "Spekulation". 2001 zelebrierte Samaranch in Moskau seinen Abschied, der durch den Korruptionsskandal um die Vergabe der Winterspiele 2002 nach Salt Lake City erzwungen worden war. Als IOC-Ehrenpräsident bog er kurz vor der Vergabe der Winterspiele 2014 noch einmal alte Getreue um: zugunsten Sotschis.

Ein enger Verbündeter war Witalij Smirnow, 82. Der Sowjetfunktionär zog 1971 ins IOC ein, seit 2016 ist er Ehrenmitglied - trotz seiner Verwicklung im Salt-Lake-Skandal. Dieser Smirnow wurde im Vorjahr in Russland mit der Reform der nationalen Anti-Doping-Politik beauftragt; der Alt-Kader trat den Job mit der Aussage an, Systemdoping in Russland sei undenkbar.

Aktiv im IOC sitzen Alexander Schukow, 61, Wirtschaftsvertreter und Vize-Chef der Staatsduma, sowie einer, dem die US-Behörden gerne mal die Einreise erschwerten: Schamil Tarpischtschew, 69. Der Skandalfunktionär war in der Goldgräberzeit nach dem Untergang der Sowjetunion vom Tennislehrer zum Milliardär aufgestiegen.

Die Innenwelt des IOC ist ein Schattenreich, in dem gern eine Hand die andere wäscht und pikante Informationen in Dossiers gehandelt wurden. Zur Integrität des Ringe-Clans gehört auch, dass seit 2015 Strafbehörden die bis vor Kurzem mächtigsten Vertreter Afrikas (Lamine Diack/Senegal), Europas (Patrick Hickey/Irland), Südamerikas (Carlos Nuzman/Brasilien) und Asiens (Ahmad al-Sabah/Kuwait) am Wickel haben - oder fest im Fokus. Zudem wird zu zwei Spiele-Vergaben ermittelt; immer mehr IOC-Leute geraten in den Verdacht des Stimmkaufs.

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Nun will dieser Olymp also über den Sport Wladimir Putins befinden. Der Ex-KGB-Agent, einst in der DDR stationiert, kann sich Gesichtsverluste auf der Weltsportbühne kaum leisten. Den vielen Belegen halten Russlands Funktionäre Verschwörungstheorien entgegen. Es muss sie nicht kümmern, was die Welt außerhalb Russlands denkt. So hielt es bisher auch das IOC. Enorme Imageverluste waren der Preis für die Kreml-Treue, die das IOC schon vor den Rio-Spielen 2016 von anderen Verbänden abhob, weil es auf einen Kollektivbann verzichtete. Der Westen, wo immer weniger Länder die Spiele wollen, geht dem IOC gerade verloren; die Strafprozesse werden das forcieren. Rückhalt findet es in anderen Hemisphären.

Aus dieser Perspektive wirkt der Eiertanz, den das IOC um die Russland-Affäre aufführte, kalkuliert: Es geht um Doping, ja. Aber auch um die Sportfunktionäre. Verblasst dagegen nicht jede Sportregel? Ohnehin haben einige Verbände doch längst gezeigt, dass die Kollektiv-Sperre korrekt und juristisch haltbar ist. Das IOC aber interessierte bisher nicht mal, dass die Wada und mehr als drei Dutzend ihrer nationalen Ableger den Ausschluss fordern, ebenso viele Athleten. Vor diesem Hintergrund dürfte auch nachrangig sein, was die vom IOC berufenen Kommissionen vorlegen werden: Die eine, unter IOC-Mitglied Denis Oswald, arbeitet die Sotschi-Sündenfälle auf, die andere unter dem Schweizer Ex-Politiker Samuel Schmid prüft Russlands staatliche Verwicklung in die Affäre.

Das offenkundige Problem: Bis vor Kurzem schien alles perfekt vorbereitet zu sein für einen Gnadenakt. Oswalds Stab betrieb eine Einzelfallprüfung, und wer Doping-Einzelfälle aufrollt, umkurvt die Systemfrage, die der Affäre innewohnt. So ließe sich individuelle Härte demonstrieren - und so tun, als reichten die Belege nicht aus für klare Sanktionen gegen die staatlicherseits Verantwortlichen.

Aber vielleicht unterschätzten manche den Kronzeugen Grigorij Rodtschenkow, Moskaus Ex-Laborchef, der über das System auspackte und inzwischen an einem geheimen Ort in den USA lebt. Erst im Oktober, sechs Wochen vor dem IOC-Spruch, legte der Russe neues Material auf den Tisch: Die Datenbank des Moskauer Labors ging an die Wada und gleich weiter an Oswalds Leute. Am Sonntag bestätigte die Wada deren Echtheit. Und Schmids Stab erhielt beeidete Erklärungen Rodtschenkows zu staatlicher Einflussnahme auf den Dopingbetrug, insbesondere durch den damaligen Sportminister und heutigen Vize-Premier Witalij Mutko.

Seitdem herrscht Chaos. Oswalds Stab sperrte Dutzende Athleten - offenbar füllt die neue Datei Lücken, auf die mancher Sünder bisher vertrauen durfte: Wurden Urinproben vertauscht, müsste dieser Austausch nachgewiesen werden; Dopingbefunde gibt es ja nicht. Russland drohte ob der Sperren, das IOC reagierte gereizt. Und Schmids Stab steht vor einem Dilemma. Wenn systematischer Urin-Tausch durch die Datenbank belegbar ist, wenn ein Zeuge unter Eid staatliche Eingriffe darlegt und das IOC nun selbst den Wada-Untersuchungsreport für glaubwürdig erklärt: Was bleibt noch, um Zweifel an der staatlichen Betrugsbeteiligung zu begründen?

Es wird spannend in Lausanne. Denn trotz der Faktenlage erscheint ein Kollektivbann ausgeschlossen. Als härteste Lösung denkbar wäre, dass unbelastete Russen in Südkorea starten, ohne Fahne und Hymne. Moskau hat am Montag sogar eilig eine für diesen Fall mal angekündigte Boykottdrohung zurückgezogen - ein erster Hinweis auf einen diskreten Deal? Fraglich bleibt, ob das IOC nicht doch lieber das Regelwerk weiter dehnt. Wie vor den Rio-Spielen: Ausgerechnet Russlands Olympia-Komitee habe nicht am Betrugsarrangement im eigenen Sport teilgehabt, behauptete das IOC. Und für einen Spiele-Bann müsste ja das NOK gesperrt werden.

Würde Russland erneut verschont, würde das zeigen, dass es das IOC nicht wagt, Putins Apparat herauszufordern. Dann sollte die Sportwelt nicht länger in Regelwerken stochern, sondern der Frage nachgehen, ob das Staatsdoping-Dossier geschlossen wurde - damit nicht in Russland andere Dossiers geöffnet werden.

© SZ vom 05.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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