DFB-Team:Wenigstens das Stadion gefällt

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Englands Jake Livermore wird von Timo Werner verfolgt. (Foto: Getty Images)
  • Die DFB-Elf spielt im Test gegen England 0:0.
  • Der Konsens nach dem Spiel lautet: ein ordentlicher Auftritt, ein ordentliches Testspiel gegen einen ordentlichen Gegner in einem außerordentlichen Stadion.
  • Joachim Löw nutzt den Test für eine taktische Neuerung: Seine Elf überlässt dem Gegner häufiger den Ball, um dann schnell umzuschalten.

Von Matthias Schmid, London

Plötzlich tauchte im Souterrain des Wembley-Stadions dieser Schlaks auf, der sich ein wenig unrund bewegte. Sein Laufweg erinnerte an einen ehemaligen Nationalspieler, an einen Weltmeister, der sich bei der WM-Feier 2014 dann doch ganz geschmeidig bewegen konnte. Trotz seiner Länge von 1,98 Metern. Der Schlaks war tatsächlich Per Mertesacker, der am Freitagabend zielgerichtet Richtung deutschen Mannschaftsbus eilte. "Servus", sagte er noch, eine letzte Umarmung mit einem Journalisten, und schon war er wieder verschwunden.

Der 33-Jährige hatte in der Kabine der Deutschen vorbeigeschaut, weil er ja in London lebt und spielt. Noch, muss man ja sagen, weil er nach dieser Saison seine Fußballstiefel für immer ausziehen und einen Job bei seinem Klub FC Arsenal übernehmen wird. Kurz nach Mertesacker tauchte Timo Werner auf, 21 Jahre jung, er ist die neue Generation im deutschen Nationalteam. Und diese hätte das Spiel gegen England fast ganz allein entscheiden können. Werner hatte zwei große Möglichkeiten, Leroy Sané, ebenfalls 21, auch zwei, davon eine, als er einen Ball in der ersten Hälfte gefühlvoll an die Unterkante der Latte schlenzte. "Das Spiel war okay", fasste Werner das Geschehen zusammen, "es haben halt die Tore gefehlt."

Der Leipziger lächelte immer wieder, fast so als habe er doch ein Tor erzielt und Jordan Pickford überwinden können. Seine gute Laune lag aber vor allem an dem Stadion, das auch architektonisch in Europa herausragen würde. "Ich würde lügen, wenn ich so ein Erlebnis einfach wegstecken könnte", gab Werner zu. Sein Fazit über Spiel und Arena war der allgemeine Konsens, irgendwie mehrheitsfähig. Es war ein ordentlicher Auftritt, ein ordentliches Testspiel gegen einen ordentlichen Gegner in einem außerordentlichen Stadion. Mehr aber auch nicht. "Bei der WM ist es wichtiger, wenn der Ball reingeht. Hoffentlich dann auch gegen England", sagte Werner und blickte dabei so unschuldig drein wie Michel aus Lönneberga nach einem gelungenen Streich.

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Von Matthias Schmid, London

Timo Werner und die deutsche Mannschaft hätten das Spiel in England "scho au" gerne gewonnen, wie Joachim Löw bekannte. Aber das Spiel diente halt einem höheren Zweck, und deshalb konnte der Bundestrainer auch darüber hinwegsehen, dass sich in der zweiten Hälfte die Fehler und die Schlampereien im Spiel häuften. Alles wird auf die Weltmeisterschaft, auf die Titelverteidigung in Russland abgestimmt.

Deshalb probierte Löw mal etwas Neues aus: Neu war nicht die Dreierkette mit Mats Hummels als zentraler Figur, die bei gegnerischem Ballbesitz dann zu einer Fünferkette mit den beiden Außenverteidigern Joshua Kimmich (rechts) und Debütant Marcel Halstenberg (links) wuchs. Sondern die Tatsache, dass die Deutschen den Engländern auch mal den Ball gönnerhaft überließen. "Wir müssen uns mit Blick auf die WM daran erinnern, dass wir nach Ballgewinn schnell umschalten und mit hoher Dynamik vors Tor wollen", sagte Löw. In der ersten Hälfte klappte das bisweilen so, wie sich das Löw vorstellt. Immer dann, wenn Werner und Sané ihre Schnelligkeit ausspielten, konnte die DFB-Mannschaft die Engländer in Kalamitäten stürzen.

Besonders Sané ist dabei ein aufregender Spieler, er mixt Technik, Rasanz und Raffinesse auf ziemlich faszinierende Weise. "Er hat gute Aktionen gehabt, wenn er aus der Tiefe gekommen ist", lobte Löw. Werner sagte über sich und Sané etwas altklug: "Uns kann schon die Zukunft gehören, wir sind jung, da kann man etwas aufbauen."

Prädestiniert sind sie vor allem für das Umschaltspiel, Löw aber will vom Ballbesitz nicht groß abrücken. Er hat in Toni Kroos, Ilkay Gündogan und Mesut Özil ja Spieler dafür, die das perfekt umsetzen können. Aber er will das Spiel variabler machen, unberechenbarer. Gegen die großen Mannschaften hat er vor, auch mal tiefer zu stehen und dann blitzschnell auszuschwärmen, mit viel Drang zum Tor.

Am Dienstag hat er in Köln gegen Frankreich noch mal die Möglichkeit, Neues einzustudieren, Löw hat Gefallen an seiner Spielwiese gefunden, an der Castingshow, an deren Ende 20 Feldspieler übrig sein sollen, "die in Topverfassung und topvorbereitet sind", wie Löw sagte. Es wird harte Entscheidungen geben, wiederholte er noch einmal, um im schönsten badischen Singsang hinzuzufügen: "Des isch immer so."

Er wird gegen Frankreich aus diesem Grund abermals das Personal durcheinanderwirbeln, weil er verlässliche Erkenntnisse über einzelne Spieler erhalten möchte, er fragt sich zum Beispiel, ob sie schon gut genug sind für das höchste Niveau oder was ihnen noch fehlt. "Die Stärken und Schwächen sehen, ist ganz wichtig, um uns verbessern zu können", hob Hummels hervor. Jérôme Boateng wird jedenfalls wegen muskulärer Probleme erneut fehlen. Dafür wird Mario Götze wohl eine längere Zeit auf dem Platz stehen. "Dieses Jahr können wir noch etwas testen", sagte Löw zu seinen Überlegungen: "Richtig einspielen im Detail passiert erst im Trainingslager, wenn wir über eine längere Zeit zusammen sind."

Das englische Publikum war nach der Pause so gelangweilt, dass es Papierflieger bastelte und auf die Reise schickte; filigran waren diese und doch robust genug, um bis auf den Rasen zu fliegen. "Als ich dann später auf der Bank saß", erzählte Timo Werner, "flog einer ganz knapp über meinem Kopf." Die gute Nachricht: Der Tiefflieger verletzte den besten deutschen Stürmer nicht.

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