DFB: Nachwuchs für die Nationalmannschaft:Leichtfüße aus Deutschland

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Jugend forsch beim DFB: In den Nachwuchsmannschaften tummeln sich mehr Talente denn je, Bundestrainer Joachim Löw darf auf einen neuen Thomas Müller hoffen. Die Jungen sind hochbegabt, aber fast schon zu verspielt. Droht dem deutschen Fußball deshalb ein Kulturwandel?

Christof Kneer

Joachim Löw weiß jetzt, wer Stephan Sama ist, auch Mitchell Weiser ist ihm neuerdings ein Begriff. Löw weiß, wie der Mainzer Mittelstürmer Shawn Parker (Jahrgang 1993) sich bewegt, und er kennt den Vorwärtsdrang des Leverkusener Außenverteidigers Danny da Costa (auch Jahrgang '93).

Ohne Nachwuchssorgen: Bundestrainer Joachim Löw. (Foto: dpa)

Das ist ziemlich praktisch, weil es ja nicht schaden kann, wenn der Bundestrainer seine künftigen 20-Jährigen schon mit 17 oder 18 kennt. Stephan Sama zum Beispiel: ein stabiler Innenverteidiger, dunkelhäutig, Jahrgang 1993, spielt beim FC Liverpool. Oder Mitchell Weiser: ist erst 17, Jahrgang '94, spielt in Köln und kann etwas, was nicht viele können in Löws Land, er ist ein exzellenter Außenverteidiger. Seine Anlagen sollen noch deutlich besser sein als die seines Vaters, Patrick Weiser, der 270 Erstligaspiele für Köln und Wolfsburg bestritten hat.

"Jogi Löw und Hansi Flick wollen informiert sein, und wir haben inzwischen einen engen Draht zum A-Team", sagt Matthias Sammer, der im Deutschen Fußball-Bund das Ressort des Zukunftsministers besetzt. Er kennt heute schon die Helden von morgen, und es gibt keinen Grund, warum er Löw sein Wissen vorenthalten sollte.

Es ist weiterhin unwahrscheinlich, dass Löw und Sammer sich via Facebook zu dicken Freunden erklären, aber zur Fachsimpelei beim Espresso reicht es inzwischen locker. Vor kurzem saßen Sammer, Löw und Flick einträchtig im selben Konferenzraum in der Frankfurter Verbandszentrale, ein paar Trainer aus Sammers Nachwuchsstab hatten eine Präsentation vorbereitet, Löw bekam die aussichtsreichsten 17-, 18- und 19-Jährigen vorgeführt, erst per Powerpoint, dann mit ein paar Filmsequenzen.

Im Grunde hat der konspirative Männerbund in diesem Konferenzraum besprochen, mit welcher Elf Joachim Löw 2014 in Brasilien Weltmeister werden kann. Es ging zwar nicht so weit, dass sie schon den endgültigen WM-Kader an die Fifa gemeldet haben, aber der Bundestrainer verließ das Treffen mit einem guten Gefühl. "Es ging darum, welcher Spieler mal eine große Karriere machen kann", sagt Löw.

Und es ging auch darum, auf welchen der Kandidaten man besonders aufpassen muss - bei welchen Spielern also die Gefahr besteht, dass man ihnen bei der WM 2014 womöglich im Trikot eines anderen Landes begegnet. "Es wurde nicht nur über Qualität und Positionen gesprochen, sondern natürlich auch über die Wurzeln der Spieler", sagt Sammer.

Die Bundesliga-Saison ist längst vorüber, selbst das Länderspieljahr ist wider Erwarten doch noch zu Ende gegangen, aber Sammer hat noch eine Dienstreise vor sich. Er wird der deutschen U17-Auswahl hinterherfliegen, die an diesem Wochenende zur WM nach Mexiko aufbricht. Der 94er-Jahrgang gilt als außergewöhnlich im deutschen Fußball: weil er überhaupt nicht mehr nach deutschem Fußball klingt. Im Tor steht Odisseas Vlachodimos, vor ihm spielen, neben Mitchell Weiser, unter anderm Koray Kacinoglu, Emre Can, Levent Aycicek, Robin Yalcin, Okan Aydin und der gefürchtete Torjäger Samed Yesil.

Die Mannschaft des sehr deutschen Trainers Steffen Freund liefert die Pointe zum Fußballjahr 2010/2011, das vor einem Jahr am anderen Ende der Welt begann - mit einer Männer-WM, bei der Deutschland stolz Fußballspieler mit türkischen (Özil), tunesischen (Khedira), ghanaischen (Boateng) und brasilianischen (Cacau) Wurzeln präsentierte. Die Welt staunte über die tänzerische Ader der einst so plumpen Deutschen, "diese neue Spielkultur verdanken wir eindeutig den Spielern mit Migrationshintergrund", sagt Sammer. Er ist ziemlich gespannt, wie sich die U17 jetzt bei der WM bewährt, ob sie mehr in den Beinen hat als die lösbare Vorrunde gegen Ecuador, Panama und Afrikameister Burkina Faso.

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Das Spiel in Bildern.

Sammer ist nicht entgangen, dass der neue deutsche Juniorenfußball den guten, alten DFB-Fußball manchmal fast zu sehr verleugnet. "Manchmal sind unsere U-Teams fast zu verspielt, sie verschießen ständig Elfmeter, sie vergeben viel zu viele Chancen." Deutsche Teams, die zu leichtfüßig sind? Diese Art von Kulturwandel könnte nur noch übertroffen werden, wenn Holländer plötzlich dauernd im Elfmeterschießen gewinnen.

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Es ist eine neue Qualität von Sorgen, die den deutschen Fußball beschäftigt. Es ist jetzt so weit gekommen, dass die DFB-Junioren nicht mehr zu verbissen, sondern eher zu lässig spielen, aber es sind die Sorgen von Sammer, es sind nicht die von Löw. "Im Männerbereich ist dieses Problem nicht mehr erkennbar", sagt Sammer. Er würde das nie laut sagen, aber er findet schon, dass das auch sein Verdienst ist.

Es ist ja sein zentrales Anliegen, den jungen Leichtfüßen beizubringen, dass Fußball mit Gewinnen irgendwie mehr Spaß macht als mit Verlieren, "Spieler wie Mesut Özil, Sami Khedira oder Jerome Boateng sind extrem zielorientiert", sagt Sammer, "aber das war ein Prozess." In seinem Juniorenbereich haben sie Geschmack am Gewinnen gefunden, im Sommer 2009 sind sie gemeinsam U21-Europameister geworden.

Joachim Löw hat es gut, er kann entspannt abwarten, welche 17-, 18- oder 19-jährigen einmal in der Lage sein werden, an der Seite von Özil, Khedira, Müller oder Lahm zu spielen. Er kennt jetzt auch ihre Namen und Qualitäten, er weiß, wer von ihnen aus Köln stammt und wer aus der Türkei, und er weiß auch, dass die jungen Leute die Karriere von Özil oder Khedira genau verfolgt haben. Sie wissen, es kann schnell gehen.

Die Spieler der U17 können auf dem Flug zu ihrer WM nach Mexiko sogar bei einem Mannschaftskollegen nachfragen. Im defensiven Mittelfeld der U17 spielt Rani Khedira, der kleine Bruder vom großen Sami.

© SZ vom 11.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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