DFB-Fans in Brasilien:Offen für Hühnermagen

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Tausende WM-Touristen aus Deutschland reisen durch Brasilien. Die Fanbetreuer sind überrascht, wie gut die DFB-Anhänger in dem Land trotz Sprachproblemen und beschwerlicher Anfahrtswege zurechtkommen. Die Fifa sieht sich sogar zu einer Entschuldigung gezwungen.

Von Thomas Hummel, Fortaleza

Die Offenheit der deutschen Besucher bei der Weltmeisterschaft in Brasilien, sagt Martin Curi, die finde er schon bemerkenswert. Er erinnere sich da an eine Szene in Fortaleza. Die örtlichen Behörden riegeln die Straßen rund um das Estádio Castelão an Spieltagen kilometerweit ab. Für die Fans heißt das: unter einer sehr heißen Sonne sehr lange zu Fuß gehen. Für die Bewohner der angrenzenden Favela heißt das: Wer etwas zu bieten hat, geht raus auf die Avenida Oliveira Paiva und versucht, ein paar Reals abzukriegen.

Ein älteres Ehepaar kochte dort Moela, Hühnermagen. Eine hiesige Spezialität. Martin Curi sah zwei Männer in deutschen Trikots, wie sie eine Schale davon aßen. Auf seine Frage hin, ob sie wüssten, was sie da zu sich nahmen, antworteten beide: Nö. Die Frau sei aber so sympathisch gewesen, also hätten sie zwei Portionen gekauft.

Etwa 7000 WM-Touristen aus Deutschland sind am vergangenen Samstag beim Spiel gegen Ghana im Stadion gewesen. Der Rest des Anhangs waren Landsleute, die in Brasilien wohnen, oder Brasilianer, die zur DFB-Elf halten. Das schätzt die deutsche Fanbotschaft, die sich im Auftrag des Deutschen Fußball-Bunds (DFB), der deutschen Botschaft in Brasilien und der Koordinierungsstelle Fanprojekte (Kos) um die deutschen Fans bei der WM kümmert. Die mobile Fanbotschaft ist eine Anlaufstelle bei Informationsmangel und Kummerkasten in Notfällen. Wenn die Leute am Spielort eintreffen, ist die Fanbotschaft schon da.

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Martin Curi ist Doktor der Anthropologie, wohnt seit zwölf Jahren in Rio de Janeiro und gehört als Brasilien-Experte zum zwölfköpfigen Team der Fanbotschaft, das für die Fans an seinen T-Shirts und mit einem Kastenwagen zu erkennen ist. "Es ist erstaunlich, wie sich die Leute zurechtfinden", sagt er, "wie sie billige Unterkünfte finden, ihre Reise im Land planen, obwohl die allermeisten von ihnen kein Portugiesisch können." Kai Schootmann aus Emden reist der DFB-Elf seit 1996 zu jeder EM oder WM nach und hat sich für das Turnier in Brasilien sechs Wochen freigenommen. Er gehört der selbsternannten Gruppe "Fahnenmafia" an. Ein etwas monströses Wort für ein paar Fans, die im Stadion ihre Flaggen und Banner aufhängen. Und die in Fortaleza erheblichen Ärger mit den Ordnern bekamen.

Während der ersten Halbzeit rissen die Sicherheitskräfte die Fahnen von der Brüstung des Oberrangs ab. Irgendjemandem passten die bunten Banner nicht, obwohl sie nicht einmal Werbung verdeckten. Curi hält das rigorose Vorgehen für typisch für die brasilianischen Verhältnisse. "Fußballfans gelten hier als gewalttätig, weshalb die Vorstellung herrscht, mit denen kann man alles machen", sagt er.

Es folgte ein Aufstand im deutschen Block, die Deutschen skandierten "Fifa raus!" In der zweiten Halbzeit hingen einige der Fahnen wieder, der Weltverband entschuldigte sich tags darauf für die Aktion und versprach, dass diesen Donnerstag beim Spiel gegen die USA in Recife die Banner hängen dürfen. "Sieben oder acht Fahnen sind aber verschwunden", klagt Schootmann. Da er knapp vor der Brüstung saß, hatte er seine "Grossheide"-Fahne rechtzeitig in Sicherheit gebracht.

Für Schootmann ist der Besuch der WM "Urlaub mit ein bisschen Fußball", wie er sagt. Große Begeisterung bei den Brasilianern könne er allerdings nicht feststellen, außer wenn die Seleção spiele. Das "fußballverrückte Land" habe er sich ein wenig anders vorgestellt. Doch die Menschen seien sehr freundlich, von Gefahr für Leib und Leben habe er nichts gemerkt.

Dabei sind die Warnungen für Besucher Brasiliens intensiver als für manch anderes Land. Wer all die Sicherheitstipps liest, könnte meinen, hinter jeder Palme stehe ein böser Bube. Die Fanbotschaft hat "praktische Hinweise" auf ein Kärtchen zum Mitnehmen gedruckt. Darunter: Smartphones möglichst nicht auf der Straße und in öffentlichen Verkehrsmitteln verwenden. Keine großen Geldscheine verwenden, wenn es in Bus oder Metro auch Kleingeld tut. Und: Keine Heldentaten und Diskussionen bei Überfällen. Laut Michael Gabriel, Chef der Fanbotschaft, haben sich bislang fünf Deutsche wegen Vorfällen bei einem Konsulat gemeldet. Opfer von kleinen Trickdiebstählen habe es etwas mehr als 20 gegeben. "Das sind überraschend wenig", findet Gabriel, "wir glauben, dass die Leute gut vorbereitet angereist sind."

Die allermeisten haben auch eine Eintrittskarte mitgebracht, doch selbst ohne wäre es in Fortaleza kein Problem gewesen, ins Stadion zu kommen. Viele wurden ihre überzähligen Tickets gar nicht los, weil das Estádio Castelão mit knapp 60 000 Sitzplätzen genug Raum bot und Gegner Ghana kaum Anhang mitbrachte. Das wird sich zum letzten Gruppenspiel in Recife erheblich ändern. In die Arena Pernambuco passen 40 000 Menschen, die Stadt ist seit langem ausgebucht.

Da die Arena weit draußen vor der Stadt liegt, wird es rund um das Spiel kaum zu Begegnungen mit Einheimischen kommen. In Fortaleza ahnten die Menschen nicht nur, dass mancher Fan gerne Hühnermagen probiert. Auch für das Problem des langen Anmarsches hatten sie eine Lösung: Fahrradtaxis. Manch einer hatte sich vorne und hinten Gepäckträger montiert, einer schweißte sich hinter seine Rikscha fünf Bonanza-Räder und chauffierte die Leute gegen geringes Entgelt zum Stadion-Eingang. Das Wichtigste war den deutschen Fans dabei, ein Foto des ungewöhnlichen Transports mit nach Hause zu bringen. Also: Smartphone raus. Sicherheitstipps hin oder her.

© SZ vom 26.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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