DFB-Elf:Plötzlich hoffen Adler und Baumann

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Im Regen liegen gelassen: Torwart Bernd Leno (links) offenbarte in Kaiserslautern unerwartete Schwächen. (Foto: Marijan Murat/dpa)
  • Nach dem 5:1 gegen Aserbaidschan herrscht ein neuer Konkurrenzkampf um die Position des dritten Torwarts im DFB-Team.
  • Leverkusens Bernd Leno überzeugte nicht - nun bringen sich mehrere andere Bundesligatorhüter in Position.
  • Bundestrainer Löw muss erst im Mai 2018 seinen Kader festlegen. Deshalb flüchtet er sich noch ins Ungefähre.

Von Philipp Selldorf, Kaiserslautern

Der Konkurrenzkampf um einen Platz im WM-Kader hat sich nach den Eindrücken beim 5:1-Sieg der Nationalelf gegen Aserbaidschan in einer Weise verschärft, wie man das vorher nicht für möglich halten konnte. Prompt machen sich die Kandidaten in aller Öffentlichkeit startklar für den Wettkampf. Der eine sagt im Kicker, er würde es als "absolute Auszeichnung" empfinden, wenn ihn Jogi Löw noch mal zum Comeback aufforderte; der andere erzählt der Bild, für ihn würde ein Lebenstraum in Erfüllung gehen, sollte er nach sieben Jahren Profifußball doch noch mal ins Nationalteam berufen werden. Normalerweise würde man die aus Mainz und Hoffenheim gesendeten Wortmeldungen als Notizen aus der Provinz abtun, aber es war halt so manches nicht normal bei der Partie auf dem Betzenberg.

Im Gegensatz zu René Adler (Mainz) und Oliver Baumann (Hoffenheim) haben Timo Horn und Ralf Fährmann am Wochenende zwar nichts gesagt über ihre Ambitionen aufs Nationaltor, doch sie dürften sich nun bestätigt fühlen in ihrem stillen Begehren. Beide haben sich all die Jahre geweigert, die Hoffnung aufzugeben, obwohl sie vom Bundes- und vom Bundestorwarttrainer stets gelobt, aber bei der Nominierung standhaft ignoriert wurden. Nun ist womöglich aus der kleinen eine größere Hoffnung geworden. Man wünscht als Torwart dem Kollegen immer nur das Beste, aber wenn dann dem Kollegen so etwas passiert wie Bernd Leno auf dem Betzenberg, dann kann man ja auch nichts dafür.

Löw führt Serge Gnabry in die Diskussion ein

Als Leno im Juni mit der DFB-Auswahl ins Turnier um den Confed Cup ging, war der Rückstand auf seinen ewigen Rivalen Marc-André ter Stegen noch überschaubar. Den Abstand hat er seitdem selbst um viele Meilen vergrößert. Leno, 25, hat damals in Sotschi beim 3:2 gegen Australien nicht gut ausgesehen, womit das Turnier für ihn beendet war, und er hat jetzt in Kaiserslautern noch viel weniger gut ausgesehen, als er das Ausgleichstor zuließ und auch sonst einen irritierten und irritierenden Eindruck machte.

Der Wettstreit um den Posten des zweiten Ersatztorwarts ist sicher kein Thema für Sondersendungen, aber da nun überall seziert wird, wer wohl die Gewinner und wer die Verlierer der soeben mit zehn Siegen aus zehn Spielen beendeten WM-Qualifikation sind, lässt sich Leno als klarer Sowohl-als-auch-Fall betrachten. Er kommt zwar wie Joshua Kimmich durch ständige Kader-Zugehörigkeit in den Genuss der vollen Erfolgsprämie, was immerhin 200 000 Euro sind; er hat sich aber anders als der Münchner Kimmich nicht als unentbehrlich erwiesen, zumindest bislang nicht. Trapp, Horn, Fährmann, Adler und Baumann dürfen also noch Hoffnung haben, an Lenos Stelle zu rücken.

Es gab Momente während der überraschend kurzweiligen Partie in Kaiserslautern, da sah es aus, als wollte der Bundestrainer außer dem unglücklichen Torwart Leno auch dessen Vorderleute Niklas Süle, Shkodran Mustafi und Emre Can sofort von der DFB-Polizei abführen lassen. Aber die Anwandlungen von Zorn über das ungeschickte und unfreiwillig komische Verhalten in der deutschen Hintermannschaft ("wenn ich hinten schlecht einfädele, wird es harzig im Spiel nach vorne", so Löw) waren schnell vergessen, zumal sich Mustafi offenbar schwer verletzte - der erste Verdacht legte einen Muskelbündelriss nahe.

Später sah man wieder einen sehr entspannten Löw, und auch der Versuch, ihn mit der Aussicht auf eine WM-Vorrunde mit Gegnern wie Spanien oder Italien zu erschrecken, verfing nicht. "Ist mir eigentlich relativ egal", sagte er dazu bloß, "es ist wie immer: Es wird genommen, was kommt. Wir hatten bisher bei jedem Turnier Widerstände in der Vorrunde." Wer da K.o.-Spiele wie gegen Österreich (EM 2008) und Ghana (WM 2010) überstanden hat, fürchtet sich vor nichts mehr.

Festlegungen zur Besetzung des WM-Kaders stellte Löw selbstverständlich nicht im Entferntesten an, stattdessen erweiterte er den Horizont, indem er sagte, dass sich ja manchmal vor den Turnieren "noch etwas Neues ergebe". An dem Abend, an dem er mit recht gemischten Ergebnissen Julian Brandt und Leroy Sané als Flügel-Lösungen getestet hatte, führte er Serge Gnabry in die Diskussion ein. Bei Marco Reus (verletzt) müsse man "abwarten", und Ilkay Gündogan (zurück aus der Verletzung) werde in Manchester "beobachtet". Löw findet, dass noch viel Zeit ist bis Mai 2018, wenn die Entscheidungen über die Personalwahl anstehen. Dass die Erkenntnisse aus der erfolgreichen WM-Qualifikation wenig bindenden Wert haben, das wissen die Beteiligten.

Leon Goretzka, Doppeltorschütze beim 5:1, erfuhr die Launen des Fußball-Lebens binnen vier Tagen am eigenen Ruf. Nach dem Sieg in Nordirland hatte man ihn in der Mixed Zone noch ungefragt passieren lassen, weil er nichts zum Spiel beigetragen hatte; nun wurde er nicht nur wegen seines brillanten Hackentores mit Komplimenten überschüttet. "Nach dem ersten Spiel haben einige gesagt, dass ich der Verlierer war, heute scheine ich der Gewinner zu sein", stellte Goretzka amüsiert fest.

© SZ vom 10.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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