Deutsches Team bei der Schwimm-WM:Aus Angst wird Spaß

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Marco Koch könnte auch in Rio 2016 für deutsche Erfolge sorgen. (Foto: AFP)
  • Dass Marco Koch in Kasan als erster Deutscher seit 2009 Gold gewinnt, ist nur ein Zeichen von vielen für den Aufschwung der deutschen Schwimmer.
  • Im Verband hat sich einiges geändert - die Zukunft sieht nun besser aus.

Von Claudio Catuogno, Kasan

Marco Koch, 25, der erste deutsche Schwimm-Weltmeister seit sechs Jahren, wachte also auf nach einer unruhigen Nacht, aber sein erster Gedanke war nicht: Hey, du bist Weltmeister! Sein erster Gedanke war: "Welcher Zug hat dich denn überfahren?" 200 Meter Brust schwimmt man halt doch nicht in 2:07,76 Minuten, ohne am Tag danach schwere Arme zu haben.

Und dann haben wohl auch die 20 Chicken McNuggets noch ihre Schwerkraft entfaltet, die Koch am Abend beim amerikanischen Fastfood-Weltmeister um die Ecke mit einem Genuss verzehrt hat, als handele es sich um flambierte Gambas. Um sich zu belohnen: "Man ist das ganze Jahr hart zu sich, da will man wenigstens einmal sinnlos irgendeinen Dreck essen."

Sein Rucksack lag da noch in einer Ecke seines Hotelzimmers, darin die Medaille. Und zum Glück haben ihn die PR-Leute seines Ausrüsters dann gebeten, das gute Stück mitzubringen zum Presse-Plausch in der Kasan-Arena am Samstagmittag. Für die Fotografen. Sonst hätte sich Koch seine bisher wertvollste Trophäe womöglich gar nicht mehr angeschaut. Marco Koch schwimmt nämlich nicht in erster Linie der Medaillen wegen. Sein WM-Silber von Barcelona 2013, sein EM-Gold von Berlin 2014? "Könnte ich jetzt gar nicht mal sagen, wo die eigentlich sind."

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Die deutsche Lagen-Staffel präsentiert sich gut im letzten WM-Rennen: Sie wird mit einer guten Zeit siebte. Der 21-jährige Jacob Heidtmann schwimmt Deutschen Rekord.

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Lutz Buschkow, der Leistungssport- Direktor des Deutschen Schwimm-Verbands (DSV), kann das Medaillen-Thema nicht so locker nehmen. Sein Job bringt es mit sich, dass er es mit Zielvereinbarungen und Förderrichtlinien zu tun hat, und deshalb sagte er, als er am Sonntag in Kasan zum Bilanz-Gespräch erschien, als Erstes: "Jetzt muss ich mir mal die Brille aufsetzen."

Buschkows wohl berühmtester Satz stammt von den London-Spielen 2012, da hatten seine Beckenschwimmer keine einzige Medaille gewonnen, und der Chef kommentierte: "Wir können aus Karpfen keine Delfine machen." Aber wenn er jetzt in Kasan auf seinen Bilanz-Zettel blickt, muss Buschkow feststellen: Die Evolution ist immer wieder für Überraschungen gut.

Man muss gar nicht in erster Linie den Weltmeister Koch bemühen, um festzustellen, dass die deutschen Schwimmer sich wieder jenseits des Karpfenteichs bewegen. Oder Paul Biedermann, 29, den Bronze-Gewinner über 200 Meter Freistil. Oder die gemischte Lagen-Staffel, die ebenfalls Bronze gewann. Das sind lediglich die drei Häkchen in Buschkows Medaillenbilanz: Ziel auf bescheidenem Niveau erfüllt. Die Zeichen des Aufschwungs zeigen sich eher anhand von Vergleichen wie diesem: Vor zwei Jahren bei der WM in Barcelona hatten es lediglich fünf deutsche Schwimmer in ein Einzel-Finale geschafft, diesmal waren es neun.

In Barcelona waren gerade mal 21 Prozent aller DSV-Starter schneller als vorher bei den deutschen Meisterschaften, in Kasan war es mehr als die Hälfte. In Barcelona wurde viel geweint, ständig fühlte sich jemand "dem Druck nicht gewachsen". In Kasan lief alleine Alexandra Wenk, 20, zig Mal durch die Pressezone und erzählte, wie "megamegacool" alles sei, wie motivierend auch mit Blick auf die Spiele in Rio in einem Jahr. Es traten Nachwuchsleute ins Rampenlicht wie Alexander Kunert, 19, Vanessa Grimberg, 22, Lisa Graf, 22, oder Jacob Heidtmann, 20, die alle so schnell schwammen wie nie zuvor.

Heidtmann verbesserte in seinem ersten WM-Finale am Sonntag gar den deutschen Rekord über 400 Meter Lagen, gleich um 39 Hundertstel, auf 4:12,08. Und wenn mal etwas nicht geklappt hat wie bei Franziska Hentkes viertem Platz über 200 Meter Schmetterling, lag das auch weniger am Druck als daran, dass man das Rennen "zu euphorisch angegangen" ist. In Barcelona hatten die Deutschen Angst, in Kasan hatten sie Spaß, was für den Bundestrainer Henning Lambertz aber auch kein Wunder ist: "Wenn man Erfolg hat, kommt der Spaß von allein." Umgekehrt ist es nicht ganz so einfach.

Wenn man Lambertz also fragt, wo der Erfolg herkommt, erzählt er doch wieder eine Geschichte über Marco Koch. Wie Koch ihn kürzlich von einem Weltcup anrief, weil er ein Zwicken im Rücken spürte, wie der neue Athletiktrainer des DSV - eine Position, die es früher nicht gab - dann drei Stunden mit dem Auto nach Darmstadt fuhr, um sich das Zwicken genau anzuschauen, und wie Koch schon am nächsten Tag wieder trainieren konnte.

Die wenigen Spitzenschwimmer, die der DSV hat, werden von Lambertz schon auch gefordert, sie müssen etwa häufiger als früher ihre Form nachweisen. Sie werden aber vor allem umsorgt - in Kasan hat Lambertz extra einen Betreuer abgestellt, um immer neue Wasserflaschen ins DSV-Zelt am Einschwimmbecken zu holen. "Natürlich kann sich auch jeder selber Wasser holen", sagt Lambertz, aber er versteht das auch als Zeichen. Wenn man Delfine will, darf man sie nicht wie Karpfen behandeln.

Dass ein Aufschwung im Kleinen nicht zwangsläufig zu Olympiasiegen führt, weiß aber auch Lambertz, deshalb hat er am Sonntag noch diesen Vorschlag gemacht: Warum sollte man für Olympia-Gold nicht eine Million Euro vom Staat bekommen statt wie bisher 20 000 von der Sporthilfe? Als Anreiz, sich auf den Sport einzulassen? "Kinder und Jugendliche fragen sich: Soll ich oder soll ich nicht? Sie sollen sagen: Ja, ich soll, weil ich theoretisch damit Millionär werden kann." Wofür so eine Million noch Anreiz sein könnte im Spitzensport, wäre wohl zu diskutieren.

Marco Koch bräuchte die Million nicht unbedingt. Ihn motivieren eher folgende Zahlen: die 2:07,47 (seine Bestzeit) und die 2:07,01 (der Weltrekord). Darum dreht sich für ihn alles, Olympia-Hoffnung hin oder her: "Ich werde auch im nächsten Jahr wieder sagen, ich will schneller als meine Bestzeit schwimmen", sagt er. Wenn dabei eine Olympia-Medaille herausspränge, würde Marco Koch die aber schon nehmen. Alleine, weil es dann zur Belohnung wieder einen Berg frittierte Hühnerstücke gäbe.

© SZ vom 10.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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